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Kopfsteinpflaster bleibt Problem App hilft Rollstuhlfahrern beim Besuch in Quedlinburg

Menschen mit Gehbehinderung können so herausfinden, welche Orte sie besuchen können. Wie die Stadtverwaltung Hindernisse beseitigen will.

Von Uta Müller 21.06.2021, 16:10
In der Wheelmap-App sehen Rollstuhlfahrer schon vor Antritt der Reise, ob Geschäfte und Sehenswürdigkeiten erreichbar sind.
In der Wheelmap-App sehen Rollstuhlfahrer schon vor Antritt der Reise, ob Geschäfte und Sehenswürdigkeiten erreichbar sind. (Screenshot Wheelmap)

Quedlinburg - Wie behindertenfreundlich ist Quedlinburg? Das Thema Barrierefreiheit ist für den Oberbürgermeister der Welterbestadt besonders wichtig. „Es ist mehr als ein Rundgang durch die Stadt“, sagt Frank Ruch. „Wir wollen vor allem intern und extern Aufmerksamkeit erzeugen.“

Einwohner, die schwerbehindert sind oder Menschen mit einer Gehbehinderung, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, wollen die Stadt besuchen - sie benötigen Barrierefreiheit, um uneingeschränkt am öffentlichen Leben teilzuhaben. Einmal jährlich lädt der Oberbürgermeister zu einem Rundgang Rollstuhlfahrer ein, um mit ihren Tipps die Stadt barriereärmer zu machen.

Wie Sprecherin Romy Wisniewski aus der Stadt mitteilt, wurden an etlichen Stellen in der Stadt Bordsteine abgesenkt, defekte Gehwegplatten ausgetauscht und neu verfugt. Kleinmosaikpflaster wurde ausgetauscht und Poller gegen unzulässiges Parken auf Gehwegen aufgebaut. Auch wurden mobile Rampen angeschafft, um den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen zu erleichtern. Doch trotz vieler Fortschritte: An manchen Stellen hapert es noch.

Es ist der Alptraum jedes Rollstuhlfahrers: Im Zug zu sitzen und an seiner Haltestelle anzukommen - doch dort ist niemand mit einer Rampe zu sehen, mit der man den Spalt zwischen Waggon und Bahnsteig überwinden könnte. Wer Glück hat, dem helfen andere Passagiere. Wer großes Pech hat, muss weiterfahren.

„Innerhalb des Stadtkerns gibt es viele Vorschriften für den Denkmalschutz, um den Welterbestatus nicht zu gefährden.“

Quedlinburgs OB Frank Ruch (CDU) über Barrierefreiheit

Für eine Stadt mit einem mittelalterlichen Stadtgrundriss, der seit 1.000 Jahren unverändert ist, sei Barrierefreiheit eine große Herausforderung, wie Oberbürgermeister Ruch zugibt. „Innerhalb des Stadtkerns gibt es viele Vorschriften für den Denkmalschutz, um den Welterbestatus nicht zu gefährden“, so Ruch.

Im Internet gibt es eine Karte, über die sich Rollstuhlfahrer vor Antritt einer Reise über die Barrierefreiheit informieren können. Wheelmap.org ist ein Projekt des Berliner Vereins „Sozialhelden“. In einer offenen Datenbank können Freiwillige bestimmte Orte wie Bahnsteige, öffentliche Einrichtungen, Kinos, Restaurants mit Hilfe eines Ampelsystems als rollstuhlgerecht, teilweise oder nicht rollstuhlgerecht markieren.

Für Quedlinburg zeigt diese Karte einige grüne Punkte, aber auch viele gelbe, die für Hürden wie Stufen zu einer Kirche oder Geschäften stehen. Daneben gibt es auch rote Punkte. Sie stehen für Orte, die für Rollstuhlfahrer ohne Hilfe unerreichbar sind.

Die Rollstuhlgerechtigkeit sei in Städten mit älterer Architektur herausfordernd, sagt Helge Inselmann von Wheelmap. „Oft stehen sich Denkmalschutz und Barrierefreiheit gegenüber. Daher freut es mich zu sehen, dass viele Orte als rollstuhlgerecht markiert sind“, sagt er bei einer Ferndiagnose über Quedlinburg. Verbesserungsbedarf gebe es immer.

Dies gelte aber für jede Stadt in Deutschland, so der Projektmitarbeiter bei Wheelmap. Viele Orte scheinen eine Stufe vor dem Eingang zu haben. Das sei für eine alte Stadt nicht ungewöhnlich, sagt Inselmann. Abhilfe können mobile Rampen schaffen, wie sie etwa bei wheelramp.de erhältlich sind.

Vor allem auch aus touristischer Sicht sei es schwierig, dass der Bahnhof nur teilweise rollstuhlgerecht ist. Viele Bushaltestellen sind als nicht oder nur teilweise rollstuhlgerecht markiert. Gerade Orte ohne Alternative wie Rathaus, Museum oder die Tourismus-Information sollten voll rollstuhlgerecht sein, sind es aber laut Karte nicht, so Inselmann weiter.

„Die Bodenbeschaffenheit können wir bisher nicht erfassen.“

Helge Inselmann von wheelmap.org

Wenn ein Café nicht rollstuhlgerecht sei, ist das nervig, oft könne man aber auf ein anderes in der Nähe ausweichen. Bei öffentlichen Einrichtungen ginge das nicht, daher sei es umso wichtiger, dass sie zugänglich sind.

Das mittelalterliche Kopfsteinpflaster in historischen Städten sei ein weiterer wichtiger Punkt. „Die Bodenbeschaffenheit können wir bisher nicht in der Wheelmap erfassen“, sagt Inselmann. Dennoch sei sie ein wichtiger Faktor, der besonders in älteren Städte oft zum Problem wird.

„Ein bis zwei Stufen können gut mit mobilen Rampen überbrückt werden“, sagt er. Wenn die Lücken beim Kopfsteinpflaster sehr groß sind, könnten Menschen mit wenig Kraft dort nicht mehr eigenständig manövrieren.

Verbesserungsbedarf sieht Oberbürgermeister Frank Ruch vor allem in einer kreativen Lösung, um den Zugang zum Stiftsberg mit Schlossmuseum und Stiftskirche barrierearm zu gestalten. Eine weitere Herausforderung sei die Umsetzung einer barrierefreien Website und Kommunikation.

Barrierefreie Einrichtungen kommen aber nicht nur Menschen mit Handicap zugute. Auch Familien mit Kinderwagen, Reisende mit viel Gepäck und Fahrradfahrer freuen sich über uneingeschränkte Zugänglichkeit. (mz)