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Rentner sprüht Frau an 79-Jähriger wegen gefährlicher Körperverletzung vor Amtsgericht Quedlinburg - Urteil gefallen

Von Petra Korn 20.10.2021, 10:06
Weil er eine Frau angesprüht hat, stand ein 79-Jähriger nun vor Gericht. Welche Substanz er sprühte, konnte im Prozess  nicht geklärt werden.
Weil er eine Frau angesprüht hat, stand ein 79-Jähriger nun vor Gericht. Welche Substanz er sprühte, konnte im Prozess nicht geklärt werden. Symbolfoto: DPA

Quedlinburg/MZ - Die beiden Frauen gehen oft mit dem Kinderwagen auf dem Feldweg bei Quedlinburg spazieren. An einem Nachmittag im Mai dieses Jahres aber haben sie ein Erlebnis, das für die jüngere der beiden Frauen mit einem tränenden Auge und schmerzhaften Rötungen der Haut im Gesicht und am Hals endet - und für einen 79-Jährigen nun auf der Anklagebank im Amtsgericht Quedlinburg.

Hier musste der Senior sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Die Staatsanwältin warf ihm vor, mindestens fünf Sekunden mit einem Fliegenspray in Richtung des Gesichts der jungen Frau gesprüht zu haben.

„Ich habe das Spray mitgebracht. Ein Mückenspray mit Hautschutz“, erklärte der 79-Jährige. An jenem Tag sei er mit seinem Wohnmobil auf dem Feldweg gefahren, habe die beiden Frauen mit dem Kinderwagen gesehen, die ihm entgegengekommen seien, und angehalten, um sie vorbeizulassen.

Im Vorbeifahren hat die Frau mit Fäusten gegen mein Auto geschlagen.

Angeklagter

Doch diese seien stehengeblieben, weshalb er langsam vorbeigefahren sei. „Im Vorbeifahren hat die Frau mit Fäusten gegen mein Auto geschlagen.“ Er habe angehalten, sei ausgestiegen. „Da kam die Frau wie eine Furie auf mich zu, die Fäuste hoch.“ Er habe sich das Mückenspray gegriffen und „einen Sprühstoß“ in ihre Richtung gesprüht. Dann sei er wieder eingestiegen.

Ein solches Spray habe er immer im Auto, erklärte der 79-Jährige auf Nachfrage von Richterin Antje Schlüter. Warum er mit dem Spray auf die Frau zugegangen sei? „Wenn eine Frau mit den Fäusten gegen mein Auto schlägt, ist sie aggressiv. Dann muss ich damit rechnen, dass sie mich angreift. So ist es ja dann auch gekommen“, erklärte der Rentner.

„Sie sind nicht angegriffen worden“, hielt Antje Schlüter dem Angeklagten vor. „Und es ist nicht angemessen, auf jemanden, der auf Sie zukommt, zu sprühen.“ Er sei doch zwei Meter weg gewesen, „ich habe auf die Frau gezielt, aber bei zwei Metern kommt doch kaum etwas an“, zeigte der 79-Jährige sich wenig einsichtig. „Es hätte sonst etwas passieren können“, entgegnete die Richterin. „Die Frau hätte auch bleibende Schäden davontragen können.“

Mutter bestätigte die Schilderungen ihrer Tochter

Angehalten, sagt die jüngere der beiden Frauen als Zeugin vor Gericht, habe der Wohnmobilfahrer nicht. Er sei auf dem sehr engen Feldweg auf sie zu gekommen. Als das Auto an ihnen vorbeigefahren sei, habe ihre Mutter - sie schob den Kinderwagen - gerufen: „Der Kinderwagen! Der Kinderwagen!“ Sie habe mit der flachen Hand gegen das Auto geschlagen. „Ich wusste nicht, schleift er den Wagen mit oder nicht“; ihr Kind habe ja darin gesessen. Der Wohnmobil-Fahrer habe gehalten, sei ausgestiegen, sie habe ihn angeschrien: „Der Kinderwagen! Haben Sie das nicht gemerkt?“

Er habe zurückgebrüllt, sich umgedreht und etwas aus der Fahrerkabine geholt. Die Spraydose, die der Angeklagte dem Gericht übergeben hat? „Auf keinen Fall“, sagt die Zeugin. „Die war kleiner, lag richtig in der Hand drin. Deshalb konnte ich sie nicht sehen.“ Der 79-Jährige sei auf sie zugekommen, sie zwei Schritte zurückgewichen, und dann habe der Mann auf die Spraydose gedrückt. Sie habe sich noch weggedreht. „Ich habe nicht verstanden, warum er das überhaupt gemacht hat.“ Der Mann sei zur Fahrerkabine gegangen, ohne auf die Frage zu antworten, was das solle. Als sie gesagt habe, dass sie ihn anzeigen werde, habe er reagiert: „Mach doch.“

Die Mutter bestätigte die Schilderungen ihrer Tochter. Das Auto sei so dicht an dem Kinderwagen vorbeigefahren, „da passte die flache Hand gerade so noch dazwischen“, beschrieb sie. „Ich habe zu meiner Tochter gesagt: Der nimmt den Kinderwagen mit.“ Sie habe ihre Tochter gegen das Auto schlagen gehört - „Schaden war nicht, wir haben geguckt“. Dann habe der Fahrer angehalten, sei ausgestiegen, erst auf sie zugekommen, habe sich dann wieder umgedreht. Ihre Tochter und der Mann hätten sich angeschrien, aber „für mich war das kein Grund, ein Spray rauszuholen.“ Mit diesem habe er zwei lange Sprühstöße abgegeben, „das weiß ich genau.“

Er hätte doch angehalten, um sie vorbeizulassen, wandte der 79-Jährige ein. Die Zeugin verneinte das. Fakt sei, fasste Richterin Antje Schlüter die Aussagen sowohl des 79-Jährigen als auch der Zeuginnen zusammen, dass der Angeklagte an den Frauen vorbeigefahren, dabei zwei Mal gegen sein Auto geschlagen worden sei, er irgendein Spray geholt und damit auf die Frau gesprüht habe. „Das ist eine gefährliche Körperverletzung, die durch nichts, aber auch gar nichts gerechtfertigt ist.“ Werde man angegriffen, könne man sich angemessen wehren. Doch hier „handelt es sich weder um Notwehr noch Notstand“.

Das Gericht verurteilte den nicht vorbestraften 79-Jährigen zu einer Freiheitsstraße von sechs Monaten - der Mindeststrafe, die das Gesetz für eine solche Straftat vorsieht. Diese wurde zur Bewährung ausgesetzt. Zudem muss der 79-Jährige, damit die Strafe spürbar wird, 500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen. Und im Übrigen, so die Richterin weiter, stehe auf der Sprayflasche, die der Angeklagte mitgebracht habe, dass deren Inhalt nicht direkt ins Gesicht gesprüht werden, sondern mit der Hand aufgetragen werden solle.