Würdigung Würdigung: "Heimatliebe ist Kompass des Handelns"

Nebra - Es sei schon ein ziemlicher Schock gewesen, als sie im Juni das Schreiben mit der Ankündigung der hohen Auszeichnung im Briefkasten fand, erinnert sich Sabine Reich. Jetzt hat sie in der Staatskanzlei in Magdeburg aus den Händen von Ministerpräsidenten Reiner Haseloff die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschlands erhalten. Das Herzklopfen hatte sich etwas gelegt, doch die Übergabe der Medaille, verliehen vom Bundespräsidenten, sei dennoch bewegend und aufregend gewesen.
Stolz berichtet die Nebraerin von der Ehrung, die sie jedoch nicht als ihr alleinigen Verdienst betrachtet. In ihrem Wirken wusste und weiß sie stets engagierte Wegbegleiter an ihrer Seite. So sei die Auszeichnung auch ein Dankeschön an ihre vielen Mitstreiter.
Mit früherem Amt abgeschlossen
Der Einsatz als Kommunalpolitikerin für eine attraktive Stadt, die Wahrung und Wiederbelebung von Traditionen, die Förderung des Tourismus bestimmten die vergangenen 25 Jahre im Leben von Sabine Reich. Die Auszeichnung war für sie zugleich Anlass zum Rückblick auf eine aufregende und nicht wiederkehrende Zeit.
Auch wenn sie als früheres Stadtoberhaupt noch vielen in Erinnerung ist, sei die „Bürgermeisterei“ für sie vorbei, sagt Sabine Reich. Doch auch in diesem Gespräch gelingt es nicht, das frühere Amt zu umgehen. In ihrer Amtszeit von 1991 bis 2001 hat sie unübersehbar Spuren in der einstigen Kreisstadt hinterlassen: Das sanierte Bäckerhaus, das Heimathaus, der Weinberg an der Schlossruine, die Fortführung der Partnerschaft mit Plattling in Bayern, das von ihr initiierte Weinfest, die Jugendherberge, die sie nach Nebra holte. Sabine Reich, so sagt mancher, hat Nebra ein Gesicht gegeben.
Der zweite Teil des Ausspruch des italienischen Dichters Dante: „Der eine wartet, bis die Zeit sich wandelt, der andere packt sie kräftig an und handelt“, trifft auf die couragierte Nebraerin zu. Das war auch in der Vorwendezeit so, als sie mit auf die Straße ging, sich dem Neuen Forum anschloss, für den neuen Gemeinderat kandidierte, als Vorsitzende des Stadtrates fungierte und schließlich zum Stadtoberhaupt gewählt wurde.
Heimatlicher Tradition verschrieben
Aus persönlichen Gründen, wegen der schweren Erkrankung ihres Mannes, hat sie 2001 nicht wieder für das Amt kandidiert, das ein Kürzertreten nicht zulässt. „Aber was mache ich jetzt?“, mit dieser Frage, so Frau Reich, habe sie sich beschäftigt, und sie lenkte ihr Leben in andere Bahnen. Seitdem wirkt sie tatkräftig in den verschiedensten Vereinen mit, lässt mit vielfältigen Initiativen die Geschichte lebendig werden. So sieht man oft die Heimatfreundin mit Schulklassen durch Nebra ziehen, ihnen die Landschaft und Sehenswürdigkeiten erläutern, die Bedeutung des Wasserweges mit dem einstigen Wassertor und der Näwerschen Pfütze erklären.
Seitdem sich 2004 der Förderverein Himmelsscheibe von Nebra unter dem Vorsitz von Sabine Reich gründete, wird jährlich das Lichterfest „Unstrut in Flammen“ gefeiert. Im Heimathaus wurde die Dauerausstellung „Leben in der Bronzezeit“ eingerichtet. Aktiv arbeitet sie im Förderverein Kloster und Kaiserpfalz Memleben mit, hat selbst Besucher durch die Klosteranlage geführt. Als stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Sparkassenstiftung Burgenlandkreis für Kultur und Sport, entscheidet sie mit über die finanzielle Förderung von Vereinen. Weiterhin gehört Frau Reich dem im vorigen Jahr gegründeten Förderverein Terrassenschwimmbad Nebra an. Und sie ist, wie kann es anders sein, dem Förderverein Weltkulturerbe beigetreten. Nicht mehr unterwegs ist Sabine Reich mit den Näwerschen Buttenweibern, der jahrelangen Attraktion vieler Feste und Umzüge. „Die Sachen sind verstaut, der Verein existiert noch, aber die großen Auftritte sind vorbei. Wir sind alle älter geworden. Alles hat seine Zeit“, findet die Nebraerin. Wenn sie sich kostümiert, sei sie ein anderer Mensch. In stilechter Perücke und Kleidung der Bronzezeit nahm sie 2004 am Landesfest Sachsen-Anhalt am Sitz der Europäischen Union in Brüssel teil. Dem damaligen Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer las sie aus der Hand und sagte ihm eine Karriere in Berlin voraus. Na, vielleicht klappt es ja noch.
Durch Heirat in Region gekommen
Sabine Reich, deren Mann vor sechs Jahren verstorben ist, war 1968 durch die Heirat nach Wangen gekommen und 1974 war die Familie ins Eigenheim nach Nebra gezogen. Die geschichtsträchtige Region habe sie von Anfang an fasziniert, sie sei schnell ihre Heimat geworden. In ihrer Freizeit sehe sie sich im Fernsehen gern Dokumentationen vor allem über den Zweiten Weltkrieg an, aber auch an Politik sei sie sehr interessiert und gegenwärtig drückt sie der Löw-Elf die Daumen für den Sieg im Finale der Fußball WM.
Familiengeschichte nachgespürt
Mit großem Interesse recherchiert Frau Reich die Familiengeschichte ihres Mannes. Ein erstes Buch über die Linie des Vaters liegt vor. Jetzt sei die Linie der Mutter in Arbeit. Liebevoll widme sie sich den Enkelkindern ihrer beiden Töchter. So der zehnjährigen Johanna von Tochter Bettina, die als Rechtsanwältin in Berlin tätig ist, sowie dem neunjährigen Moritz und der fünfjährigen Luise von Tochter Astrid, die in Zwenkau wohnt, für den Klett-Verlag tätig ist und Schulbücher illustriert. Als Oma helfe sie sofort, wenn sie gebraucht wird, und die Enkelkinder kommen gern zu ihr nach Nebra.
Im April feierte Sabine Reich mit ihrer Familie, all ihren Freunden und Bekannten, die sie bisher auf ihrem Weg begleiteten, ihren 70. Geburtstag. Das Alter sieht man der schlanken, adretten Frau nicht an. Und auch sie selbst sieht noch keinen Grund zum Ausruhen. Sie umgebe sich gern mit Menschen, die wie sie sich dafür einsetzen, dass die herausragende Historie Nebras und der Region nicht in Vergessenheit gerät. Organisieren und etwas bewegen, das bereite ihr nach wie vor Spaß. Sie sei weniger der stille Beobachter, sie liebe es eher stürmisch bei der Umsetzung ihrer Visionen.