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Wenzel vom 29. Dezember Wenzel vom 29. Dezember: Guten Morgen,liebe Leser

30.12.2012, 09:31

D

a fehlt doch etwas. Richtig, das Schnattern auf den Wiesen am Dorfeingang von Cauerwitz. Seit Martinstag ist die Vogelschar sichtbar kleiner geworden. Nun sind die Gänse ganz verschwunden. Es war ja Weihnachten. Am Dorfeingang trifft man auf das Gehöft von Friedhelm Duderstedt (57). Dem Herrn der Gänse. Auf einer Tafel an der Toreinfahrt werden noch andere fleischliche Genüsse anvisiert: Spanferkel, Schweinhälften und ganze Schlachtschweine. Der alteingesessene Landwirt mit Familientradition in der Region hat nach der Wiedervereinigung die bäuerliche Landwirtschaft seiner Vorfahren wieder aufgebaut. Mit Anbauflächen für Raps, Weizen, Zuckerrüben und Grünland und einer Viehzucht mit Schweinemast und Freilandhaltung von Gänsen und Enten. Auch Schafe sind in der Landschaft zu sehen. Zum bäuerlichen Betrieb gehört eine Herde von 100 Tieren zur Landschaftspflege.

Cauerwitz, Utenbach und Seiselitz sind die kleinsten Dörfer an der Wethau. Leicht überschaubar. Friedhelm Duderstedt, bis zur Eingemeindung nach Mertendorf Bürgermeister der selbständigen Gemeinde Utenbach, muss da nur kurz nachdenken: Utenbach hat 57 Einwohner, bei Cauerwitz kommt er auf 49 und in Seiselitz wohnen 27. Indes: Aussterben werden die Dörfer wohl nicht. "Wir haben hier mehr kleine Kinder als anderenorts", sagt der Bauer und kommt allein in Utenbach auf fünf Kleinkinder. Junge Familien sind in ihre Elternhäuser zurückgezogen, einige haben auch gebaut. Wie jene Familie aus Jena, die sich vor zwei Jahren ein schmuckes Holzhaus in Seiselitz errichtet hat. Zwei Kinder, zwei und sieben Jahre alt, gehören zur Familie. Hier, hart an der Thüringer Grenze, die die Wethau, das munter plätschernde Flüsschen, bildet, ist die leicht hügelige Landschaft anmutig und weit abseits jeglichen Trubels. Klar, beweglich möchte man schon sein, und mit der Arbeit muss es auch passen.

Wie bei Siegfried Töpfer, der vor einem Jahr in Seiselitz ein Grundstück gekauft hat und nun hier ein Trainingszentrum für Sportpferde betreibt. Der 55-Jährige ist ein bekannter Name im Gespannfahren, ist Landestrainer in Sachsen-Anhalt, war Weltmeisterschaftsteilnehmer und Vizeweltmeister mit Zweispänner.

Utenbach, Cauerwitz und Seiselitz am Rande der Welt? Naja, ein bisschen schon. Als Gemeinde Mertendorf sind die drei kleinen Dörfer nun drei von 13 Ortsteilen. Mertendorf wiederum gehört zum Gemeindeverband Osterfeld. Dort sind auch die kommunalen Behörden konzentriert. Feste Einkaufsmöglichkeiten, wie sie einst der Dorfkonsum bot, sind schon lange Vergangenheit. Dafür haben ambulante Händler aus Thüringen die Dörfer im festen Tourenplan. Gaststätten gibt es nicht mehr.

Auch der einst agile Heimatverein in Utenbach hat schon vor Jahren die Segel gestrichen. Über dem Klavier im Büro von Friedhelm Duderstedt hängt noch die schön gestickte Vereinsfahne und drumherum etliche Erinnerungsstücke an reges Dorfleben. Im Dorfreporter-Wettbewerb von Radio Sachsen-Anhalt war Utenbach Landessieger und im Fernsehen präsent. Alljährlicher Höhepunkt im Gemeindeleben ist derzeit das Erntedankfest, das Duderstedt organisiert. Mit Dankgottesdienst in der Utenbacher Kirche und Veranstaltungen im Festzelt in Cauerwitz.

Ja, und dann blüht da noch am Ende der Welt eine "Blaue Blume." Konrad Mehlhorn (33), ein Zimmerer aus Casekirchen, der als zünftiger Tippelbruder den amerikanischen Kontinent von Kanada bis Kap Horn bereiste und am südafrikanischen Kap der guten Hoffnung arbeitete und jetzt selbständig ist, hat 2008 den alten Gasthof von Willi und Erna Kalb gekauft, saniert und baut ihn jetzt von Grund auf aus. Ein Großteil ist schon geschafft. "Die blaue Blume" soll wieder eine richtig schöne Gaststätte werden", setzt sich Mehlhorn das Ziel. Inzwischen hat er mit Freunden im Umfeld der "Blauen Blume" Veranstaltungen organisiert, sinnigerweise World end Openairs genannt. Im nunmehr dritten Jahr lockt er seit 2012 junge Leute zu trendigen Konzerten angesagter Gruppen mit Reggae, Rock, Rock'n'Roll, Latin, Punk, Pop, Jazz und Indiepop in das abgelegene Dorf. Dann erklingen an der Wethau Elektrobeats und schrille Gitarrenriffs.

"Es klappert die Mühle am rauschenden Bach", wird dagegen schon lange nicht mehr gesungen. Einst hatten alle drei Dörfer ihre Mühlen, die die Wethau antrieb. Die in Seiselitz, eine der ältesten von einst 17 Mühlen an der Wethau wurde in den 1980er Jahren in einer "Zivilschutzübung" der Kampfgruppen dem Erdboden gleichgemacht. Auch in Utenbach ruht schon lange der Mühlstein, und in Cauerwitz künden nur noch ein Schriftstein und das Müllerwappen (Kammrad, Winkel und Zirkel) von der Dornbuscher Mühle. Schmuck steht gleich neben der 1993 im Dorfprogramm sanierten Utenbacher Kirche auch das kleine Feuerwehrhaus an der Dorfstraße. Das sichert nun das Überleben der Ortswehr als Stützpunkt im Gemeindeverband. Ortswehrleiter Christian Puschendorf und 13 Kameraden haben indes kaum mit Bränden, aber doch in manchen Jahren mit dem Hochwasser der ansonsten friedlichen Wethau zu kämpfen. Zu DDR-Zeiten gab es Pläne für einen Stausee an der Wethau. Seiselitz wäre da unter den Fluten verschwunden. Heute spricht da niemand mehr davon.

Nicht aus der Welt sind dagegen die Träume von einer sanften touristischen Belebung des Wethautales. Freie Fahrt hieß es im Sommer auf einem ersten Teilabschnitt der Bahnstrecke Zeitz-Camburg. Nicht für Dampf- und Dieselloks, wohl aber für Radfahrer und Wanderer. Dafür setzt sich ein Förderverein ein, dem die Wethautaler Verbandsgemeindebürgermeisterin Kerstin Beckmann vorsteht und dem auch Friedhelm Duderstedt angehört. Ziel ist es, die alte Bahntrasse von Zeitz nach Camburg in einen Rad- und Wanderweg umzuwandeln. Die 1897 in Betrieb genommene Bahnstrecke führt durch ein landschaftlich reizvolles Gebiet und stellte einst mit ihren 99 Kurven und der enormen Steigung vom Saaletal auf die Molauer Platte über 37,34 Kilometer eine große Herausforderung an den Dampflockbetrieb dar.

Der Zugverkehr wurde dann etappenweise nach 1945 eingestellt. Der letzte Zug auf dem letzten noch verbliebenen Gleisstück zwischen Osterfeld und Zeitz fuhr im Jahr 2000. Die einstigen Bahnhöfe sind heute meistens Wohnhäuser. In dem Backsteinbau des abgelegenen Crauschwitzer Bahnhofs ist eine junge Familie eingezogen, selbst der imposante Wasserturm an der Strecke hat einen Besitzer gefunden, der ihn als Wohn-Atelier ausbaut. Nicht nur Leute wie Mehlhorn und Duderstedt setzen große Hoffnungen auf den Bahnradwanderweg. Wenn dieser rundum ausgebaut ist, besteht in Verbindung mit den anderen Radwegen eine touristische Route zwischen den östlichen und westlichen Gebieten des Burgenlandkreises und darüber hinaus nach Thüringen. 140 000 Euro hat die Verbandsgemeinde in den ersten Teilabschnitt bis Weickelsdorf investiert. Wenn alles gut geht und die Gelder bereit stehen, soll der Ausbau im nächsten Jahr in Cauerwitz ankommen.