Vita Vita: Chefsekretärin wandte aus Not eingeschlagene Bürolaufbahn ab

Naumburg - Musik ist bekanntlich die beste Medizin. Dass es das Musizieren selbst auch sein kann, darauf ist Wahl-Naumburgerin Angelika Ullmann während ihrer Berliner Klavierlehrer-Laufbahn gestoßen. Wenig später entwickelte sie das therapeutische Klavierspielen.
Bei diesem gehe es zum einen um die Entspannung. „Gibt es Spannungen im Körper, drückt sich das klanglich aus“, so die 60-Jährige. Erst mit einem aufrechten, entspannten Körper werde die manuelle Tätigkeit am Klavier möglich. „Also muss der Patient körperlich in eine elastische Situation gebracht werden“, sagt die Pianistin. Zum anderen ist bei manuellen Einschränkungen wie nach einem Schlaganfall für die Therapie am Klavier hilfreich, was beim Erlernen des Instruments so schwer ist: Die Hände müssen von den Aktionsmöglichkeiten getrennt werden. „In der Therapie“, erklärt sie, „kann die gesunde Hand die kranke Hand mitnehmen, sie anregen. Wie sich die kranke Hand entwickelt, ist über den Klang zu hören.“
Davon ahnte sie 2002 noch nichts als ihr Neffe leidvolle Erfahrungen machen musste. Nach einer Gehirnblutung, die er sich 2002 bei einem Sturz vom Fahrrad zugezogen hatte, benutzte er eine Hand nicht mehr. Während der Reha verfielen Mediziner auf die Idee, dem Jungen die gesunde Hand festzubinden, damit er die gehandicapte bewegen muss. „Das war für ihn frustrierend, er fühlte sich wie amputiert“, erinnert sich Angelika Ullmann. Diese Qualen, ist sie heute überzeugt, hätte man ihm ersparen können. „Er brauchte die gesunde Hand, um die kranke zu unterstützten“, ist sie sich sicher.
Die Erkenntnis gewann sie gut sechs Jahre später, als sie begann, an ihrem Beruf zu zweifeln. Nach über einem Jahrzehnt Lehrtätigkeit an der Kreuzberger Musikschule hatte sie eine „schreckliche Stunde“. Bei einer Musikschülerin war sie mit ihrem Latein am Ende. „Über mehrere Wochen ging nichts vorwärts, immer wieder begannen wir, Ordnung und Gefühl in ihre Finger zu bekommen.“
Auch bei anderen Schülern nahm das unentwegte „Fingersortieren“ zunehmend mehr Raum im Unterricht ein. Neben mangelnden Fähigkeiten beobachtete sie, dass mit den Ganztagsschulen die Mädchen und Jungen immer weniger Gelegenheit zum Üben hatten. Es war für sie keine glückliche Zeit. „Man muss mit seinen Schülern auch Vorspiele bringen, ich konnte diese aber nicht anbieten.“ An einem trüben Herbsttag fragte sie sich schließlich, was passieren würde, wenn sie den musikalischen Anspruch beiseite und nur die zehn Finger anschlagen lässt. Das wäre was für gehandicapte Menschen, schlussfolgerte sie. Als sie wenig später mit einer ehemaligen Schülerin - inzwischen Landärztin bei Meißen - über ihre Idee des therapeutischen Klavierspielens sprach, habe sie diese gedrängt, so etwas anzubieten. Auch andere Bekannte, zumeist im medizinischen Bereich tätig, bestärkten sie darin. Erste und sogleich gute Erfahrungen sammelte sie noch in Berlin mit einem Jungen, der an Rheuma erkrankt war, mit einer an Arthrose leidenden älteren Frau und mit einem Musiker, dessen linke Hand nach einer Tumoroperation stets zitterte. Als die Tante ihres Mannes, eine Apothekerin, die in einem Altersheim ein neues Zuhause gefunden hatte, von dieser besonderen Therapie erfuhr, war sie begeistert. Das sei was für ihre Mitbewohner, die auf diese Weise geistig rege bleiben könnten, meinte die Frau.
In der Tat könne Angelika Ullmann jedem das therapeutische Klavierspielen anbieten. „Man muss nicht Klavier spielen oder Noten lesen können oder musikalisch sein“, sagt sie.
Die Methode hänge von den Gegebenheiten ab und basiert auf einfachen Übungen wie den Einzelanschlägen und reicht bis zum Spielen einfacher, kleiner Melodien im Fünf-Ton-Raum. „Wie gesagt, der musikalische Anspruch tritt in den Hintergrund, was nicht heißt, dass sich daraus nicht mehr entwickeln könnte“, so die Klavierlehrerin.
Nach ihrem Umzug im Sommer 2011 nach Naumburg hat sie ihre musikalische Therapie dem Klinikum und den Rehakliniken vorgestellt. Sie sei auf Interesse gestoßen. Leider scheiterte eine Art Kooperation an den Gegebenheiten und am Geld. Es ist eben eine Privatleistung. Bei dieser sei der Patient „sich allein schon ein guter Therapeut“, so Angelika Ullmann, „indem er sich die Mühe macht, sich ans Klavier zu setzen und auch selbst zu üben.“
Interessierte können Kontakt aufnehmen unter 03445/6590151.