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Musikschule im Burgenlandkreis Trompete als Familienerbe - Kameruner Jazzmusiker übernimmt Taktstock bei Bigband

Terrance Ngassa kam in den 90er-Jahren nach Deutschland, studierte in Köln an der Musikhochschule, lehrte bei Bonn und ist nun in Naumburg zu Hause.

Von Jana Kainz 27.11.2022, 09:55
Gibt neuerdings den Takt bei der Bigband der Kreismusikschule in Naumburg an: der Jazztrompeter und Instrumentalpädagoge Terrance Ngassa.
Gibt neuerdings den Takt bei der Bigband der Kreismusikschule in Naumburg an: der Jazztrompeter und Instrumentalpädagoge Terrance Ngassa. (Foto: Torsten Biel)

Naumburg - Die Freude stand den Musikern ins Gesicht geschrieben, als sie mit ihrer Bigband der Kreismusikschule zum Jubiläumsfest der Naumburger Straßenbahn aufspielten - endlich wieder öffentlich auftreten zu dürfen, das hatte den Musikschulschülern gefehlt, auch dem Publikum. Und diesem fiel besonders ein Gesicht in der Bigband auf - ein neues. Denn nicht wie üblich gab Rolf Lachmann als Leiter der Bigband der Musikschule des Burgenlandkreises den Takt vor. Der 75-Jährige hatte gar in der hintersten Reihe am Keyboard Platz genommen. Den symbolischen Taktstock hatte er da längst seinem Nachfolger, Terrance Ngassa, übergeben.

Netzwerke aufbauen

Seit Oktober vergangenen Jahres ist der aus Kamerun stammende Jazzmusiker Lehrer für Trompete an der Kreismusikschule. Kaum, dass er da war, sei alles sehr schnell gegangen. Neben seinen Trompetenschülern in Naumburg und an den Standorten Zeitz und Weißenfels wurde ihm die Bigband-Leitung anvertraut. „Dass man mir das zutraut und mich die Bandarbeit gestalten lässt, wie ich mir das vorstelle, hat mich überrascht“, so Terrance Ngassa.

Ideen und Banderfahrungen hat der 48-Jährige reichlich, dennoch suchte er den Kontakt zu seinen Kollegen, von denen der Großteil seiner Bigbandschüler unterrichtet wird. So tauschte er sich mit Wolodja Pankiv und Detlef Werther (beide Trompetenlehrer), Eugen Larin (Saxofonlehrer), Annette Katschinski und Petra Meseck (beide Klavierlehrerin) und Gundula Lypp, die Querflöte unterrichtet, darüber aus, was er für das Ensemble denn so alles plant. Von dem fruchtbaren Miteinander ist Ngassa angetan und seinen Kollegen dafür auch sehr dankbar.

Neue Instrumente an Bord

Mit jeder Probe kamen mehr Schüler hinzu. Und auch neue Instrumente reihten sich im Ensemble ein, so beispielsweise eine Percussion. Aktuell ist die Bigband sechs Saxofone, vier Trompeten, ein Kontrabass, drei Pianisten und in Kürze drei Posaunen stark. Dass die Proben jetzt immer gut besucht sind, freut Ngassa ebenso wie die wachsende Motivation seiner Bigband-Mitglieder.

Inzwischen unterrichtet er auch andere Blechblasinstrumente sowie Klavier und netzwerkelt er für die Kreismusikschule mit anderen Vereinen oder Schulen wie mit der Landesschule Pforta, in der eine Blechbläsergruppe entstehen soll. Manchmal habe er das Gefühl, im Auto zu wohnen, meint Ngassa augenzwinkernd angesichts der vielen Fahrten zu seinen Musikschulschülern. Immer dabei hat er, wie könnte es anders sein, seine Trompete.

Schon als Knirps trug er für seinen Vater John den Trompetenkoffer. Er, ein in Kamerun bekannter Musiker und Solotrompeter im Nationalorchester, war Terrance Ngassas großes Vorbild. Dass er sich wie der Vater und dessen Bruder beruflich der Musik verschreiben würde, lag beinahe auf der Hand. Beinahe deshalb, weil er sich auch eine Profi-Fußballerlaufbahn gut vorstellen konnte - und nicht nur er. Hätten seine Verwandten, Freunde und Bekannten einen Tipp abgeben müssen, wohin Ngassas berufliche Reise geht - alle hätten auf Fußball getippt. „In der Schule war ich in der Fußballmannschaft, wurde Kapitän und Trainer“, erzählt er. Doch die Musik setzte sich durch. Jahre später, fern seiner Heimat spielte er mit einem Nachbarn Fußball, der angesichts Ngassas Spielweise meinte: „Was für eine Verschwendung.“

„Papa sagte immer, dass die Trompete unser wichtigstes Familienerbe ist. Das Beste, was er mir gegeben hat, ist die Musik.

Terrance Ngassa, Leiter der Bigband der Kreismusikschule

Doch die Musik lag ihm einiges mehr im Blut. „Papa sagte immer, dass die Trompete unser wichtigstes Familienerbe ist. Das Beste, was er mir gegeben hat, ist die Musik“, so Ngassa. Seit er fünf Jahre alt war, hat er kein Konzert seines Vaters, der auch eine eigene Jazzband hatte, verpasst. Er war mit besagtem Trompetenkoffer stets der Erste am Auftrittsort und wartete auf die großen Musiker. Die fragten immer wieder den Vater, wann der Junge endlich Trompete lernen würde. Im Alter von sieben Jahren war es soweit. „Ich musste lange Zeit die Tonleiter üben“, erinnert sich der Sohn. Aus Respekt habe er nur geübt, wenn der Vater nicht daheim war.

Spontan sechhändig am Klavier: Terrance Ngassa mit Rolf Lachmann und dem zehnjährigen Benjamin Kraft
Spontan sechhändig am Klavier: Terrance Ngassa mit Rolf Lachmann und dem zehnjährigen Benjamin Kraft
(Foto: Torsten Biel)

Irgendwann zog es ihn auch zu anderen Instrumenten hin. Nach dem Jazzclub trug der kleine Terrance gern das Keyboard seines Nachbarn nach Hause - das war die Gelegenheit, heimlich darauf zu üben. Während der Konzerte seines Vaters beobachtete er genau die anderen Musiker und später seine Schulband-Kollegen. Vor den Bandproben war er viel früher da, um unbemerkt auf den anderen Instrumenten zu üben. So brachte er sich weiterhin Klavier und auch Schlagzeug bei. Übrigens punktete die Schule bei Musikwettbewerben, die Schulen in Kamerun untereinander austragen, mit Terrance als erstem Trompeter in einer Schulband. Zu hören bekam er auch, dass er allein wie vier Trompeter spiele, er „eindeutig Johns Sohn ist“.

Europa im Winter

Bekanntschaft mit Europa machte Ngassa als Mitglied des Kameruner Rundfunkorchesters. 1989 begleitete es die Nationalmannschaft zur WM nach Frankreich, Mitte der 90er-Jahre war es für einen Monat in Italien auf Tournee - es war Winter. „Man sagte uns noch, wir sollten warme Sachen einpacken“, erinnert er sich. Man nahm es nicht so ernst. „Für viele war das ein Kälteschock und sie meinten, nie wieder nach Europa kommen zu wollen“, so Ngassa. Ihn schreckte es nicht ab.

Nach der allgemeinen Zwangspause trat die Bigband der Kreismuikschule ertmals wieder zum Fest „130 Jahre Straßenbahn Naumburg“  auf - und das mit ihrem neuen Leiter Terrance Ngassa.
Nach der allgemeinen Zwangspause trat die Bigband der Kreismuikschule ertmals wieder zum Fest „130 Jahre Straßenbahn Naumburg“ auf - und das mit ihrem neuen Leiter Terrance Ngassa.
(Foto: Torsten Biel)

Kurz darauf lernte er den Leiter des Goethe-Instituts in Kamerun kennen. Ngassa erzählte ihm, dass er sich musikalisch in Kamerun nicht weiterentwickeln könne. Der Leiter schlug vor, er solle in Deutschland studieren. Ngassa war begeistert. Da der Leiter bemerkt hatte, dass der junge Mann ernst nimmt, was er tut, meldete er Ngassa am Institut für einen Sprachkurs an, übernahm die Kosten und drückte ihm einen Hochschulführer in die Hand.

Spontaner Solo-Mitschnitt

Ngassa bewarb sich an den Musikhochschulen in Köln, Berlin und Dresden. Eine von zwei Antworten kam aus Köln vom bekannten Jazztrompeter Manfred Schoof. Dieser wollte eine Tonaufnahme von ihm hören, worauf Ngassa vorm nächsten Auftritt eine Kassette kaufte und den Techniker bat, seinen Soloauftritt mitzuschneiden. Einen Monat später kam die Antwort: Schoof übernahm ihn nicht nur als Studenten, sondern hatte ihm auch ein Stipendium besorgt. So kam Ngassa nach Deutschland, studierte Jazztrompete und Instrumentalpädagogik und blieb nach Diplom- und Bachelorabschluss hier. Nach über zehn Jahren Lehrtätigkeit an der Musikschule in Königswinter, wo er auch eine Jazzband gründete, kam der Vater dreier älterer Kinder 2021 nach Naumburg.

Für die, wie er sie jetzt nennt, BLK-Bigband der Kreismusikschule hat er noch viele Ideen - vor allem, wohin sie sich musikalisch entwickeln könne. Hin und wieder sollen ihn die Bigband oder vereinzelte Mitglieder als Gastmusiker zu einigen seiner bundesweiten Auftritte begleiten.