Traditionell, dennoch neu
Halle/MZ. - Mitunter wurde Erika Liersch auch unerwartet fündig. Das waren dann Glückstage für die fleißige Frau, die nach der Wende zeitweilig im Gemeindebüro arbeitete. So, als bei der Familie Trautmann hinter einem gerahmten Bild des "Bauern Fischer" alte Zeitungsausschnitte von 1882 auftauchten. Oder, wenn alte Einwohner ihr was erzählten. Etwa vom einstigen Lutherdenkmal, von dem es heißt, "Es ist kein Denkmal aus Erz gegossen oder aus Steinen gebaut, das die Gemeinde dem Reformator errichtete; Luthers Denkmal ist eine prächtige Linde, die am Nordausgange des Dorfes auf dem Lutherplatz steht, dort, wo die Wege nach Kirchscheidungen und Thalwinkel sich trennen. Der Platz ist mit einer Steinmauer eingefasst, und um ihn herum stehen Pappeln, eine Kastanie und eine Akazie."Eine andere alte Dorflinde dagegen hat ihren Platz behalten. Sie wurde um 1840 von Wilhelm Stuhlträger gepflanzt und die Dorfjugend baute bald darauf eine Bank um den Stamm. Von dort geht der Blick auf die Bundesstraße 176 von Laucha nach Bad Bibra, die das Dorf in zwei ungleich große Teile trennt. Zu dieser Ortsdurchfahrt hat Frau Liersch eine Begebenheit der besonderen Art in den Aufzeichnungen gefunden. Da stand in einer unübersichtlichen Kurve das Haus des Bauern Walter Radestock. Das zog wie ein Magnet Motorrad- und Fahrradfahrer an, die an der Hausmauer landeten. Höhepunkt und Ende des Radestockschen Hauses kam im Frühjahr 1958. Da durchbrach ein Omnibus des VEB Kraftverkehr Merseburg die Hauswand und krachte in die Wohnstube. Die Einrichtung wurde dabei total zertrümmert und nach dem Herausziehen des Busses bestand Einsturzgefahr. Menschen kamen wie durch ein Wunder nicht zu Schaden, das Haus allerdings musste bald darauf abgerissen werden. Nun werden in Golzen nicht nur alte Geschichten erzählt und Geschichte gesammelt, es ist in den letzten 20 Jahren viel Neues entstanden. Voll Stolz verweist Ernst Handsche bei einem Dorfrundgang auf das Geschaffene. Der heute 72-jährige Diplom-Ingenieur für Milchverarbeitung und ab den letzten drei DDR-Jahren selbständiger Imker war 19 Jahre lang bis zur Eingemeindung nach Bad Bibra im Juni 2009 ehrenamtlicher Bürgermeister. Als einer der ersten Dörfer kam Golzen in das Dorferneuerungsprogramm. Straßen und Plätze wurden neu gestaltet, Abwasser- und Trinkwasserversorgung modernisiert, Straßenbeleuchtung errichtet, Strom- und Telefonkabel neu verlegt. Im vorigen Jahr wurde als krönender Abschluss noch der Dorfteich saniert und mit einer schmucken Steinmauer eingefasst. "Wir machen die Straßen und Plätze schön und ihr kümmert euch um eure Häuser", haben wir, und Handsche meint damit den Gemeinderat, damals gesagt. Dem folgten die meisten. Besonders reizvoll ist das Ensemble am Dorfplatz mit Kirche und den stattlichen Drei- und Vierseithöfen mit den großen Torbögen. Mitunter mussten neue Besitzer gesucht werden. Handsche: "Wir wollten das Alte auch erhalten."
Los fiel auf einen Markröhlitzer
Da gab es ein großes Gehöft am Dorfplatz, das schon auf der Abrissliste stand. Handsche und der Gemeinderat haben sich damals an die Presse gewandt und den Hof mit 3 800 Quadratmeter Land öffentlich angeboten. Bedingung: Das große Bauernhaus durfte nicht abgerissen werden. "Daraufhin haben sich viele gemeldet", erzählt der Ex-Bürgermeister. "Wir haben mit allen gesprochen und schließlich unter den Geeigneten das Grundstück ausgelost." Handsche sieht es noch heute als ein großes Glück, dass das Los auf den Markröhlitzer Sven Reißner fiel.
Bürgermeister a. D. Der, Maurer von Beruf, hat mit seiner Familie das Grundstück wieder aufgebaut. Es gehört heute zu den Perlen am Dorfplatz. "Allein in den letzten fünf Jahren wurden vier Häuser neu gebaut oder umgebaut", kann Handsche berichten. Und noch etwas: "Junge Leute kommen zurück und bleiben." 1994 hatte Golzen 163 Einwohner, 2004 waren es nur noch 122, jetzt sind es inzwischen wieder 152.
Derzeit acht Gewerbetreibende
Acht Gewerbetreibende gibt es im Dorf, vorwiegend in der Nebenerwerbslandwirtschaft. Auch hier wirken sowohl Junge, als auch die Alten: Der 18-jährige Nebenerwerbslandwirt Martin Gehauf und die 83-jährige Christa Trautmann, die noch immer Schafe und Hühner betreut und - hier allerdings mit Hilfe - ihr Ackerland bestellt. Einwohnerin mit der ältesten Familientradition ist Rosmarie Marx. Ein Urahn hatte 1739 das Grundstück 25 erworben. Am Mittwoch feierte Frau Marx ihren 80. Geburtstag. Mit Wehmut haben die Golzener ihre Selbständigkeit aufgegeben. Handsche: "Wir haben nie Schulden gemacht." Der Mann, der für sein Dorf nun in der Bad Bibraer Gemeindevertretung sitzt, hofft, dass der Zusammenhalt im Dorf auch unter den neuen Verwaltungsstrukturen erhalten bleibt.