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Texte Texte: Ausgaben bei Reclam

02.03.2015, 09:28
Christian Fürchtegott Gellert, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 300. Mal jährt, auf einem Gemälde von Anton Graff aus dem Jahr 1769.
Christian Fürchtegott Gellert, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 300. Mal jährt, auf einem Gemälde von Anton Graff aus dem Jahr 1769. archiv Lizenz

Es sind die Farben des Nach-Winters. Dunkles Grün, leicht mit Blau vermischt. Ocker, ein helles Braun, manchmal ins Rötliche wechselnd. Gelb schimmert durch. Schwarz setzen sich die Skelette der Bäume und Schlehensträucher gegen das Grau-Blau des Himmels ab, das weiße Sonnenlicht schafft scharfe Konturen. Wir gehen den Weg von Bonau nach Meineweh.

Karg, aber von bestechender Weite

Er zieht sich durch zwei, drei große Felder ganz leicht eine Steigung hinauf, keinerlei Schutz bietend vor dem uns ins Gesicht wehenden scharfen Wind. Als wir uns umdrehen, geht der Blick weit ins Land. Die Dächer der Häuser von Bonau sind teils noch hinter Bäumen verborgen, rechts davon reichen Felder bis zum Horizont, ragen Strommasten auf, schlängelt weißer Dampf aus Kraftwerk-Schornsteinen. Links des kleinen Dorfes, hinter mehreren Baumreihen, die einen Bach und Feldränder säumen, greifen dicht aneinander stehende Windräder hinauf in die Wolken. An diesem Sonnabendvormittag im Februar 2015 sind wir unterwegs auf dem Gellert-Wanderweg. So wie Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769) in den Jahren 1757 und 1758.

Die Landschaft hier ist karg. Aber sie besticht durch ihre Weite. Kaum etwas engt den Blick ein. Nur riesige Felder und die Weite des Himmels, das öffnet und befreit die Seele. Entfernen wir die Errungenschaften des modernen Menschen aus dieser Landschaft, die Windräder und Kraftwerke, die Geräusche der Autobahn und den Gebäude-Klotz eines Logistik-Dienstleisters, verkleinern wir die Feldflächen in Parzellen mit Rainen und mit Baumreihen dazwischen, so haben wir Gel-lerts Blick. Etwas Sommer dazu, mit wärmender Sonne, sich im Winde wiegenden, sattgrünen Kornfeldern und dem Gesang einer Lerche, dahinter die von hohen Bäumen beschützten Bauernhäuser - Gottes Land ist fruchtbar und es nährt seine Menschen. Es ist schön, es erquickt ihre Seelen und ihren Geist.

„Die freye Luft soll nicht allein den Umlauf ihres Blutes befördern, sondern die offne Natur soll auch ihre träge Seele in Bewegung setzen“, schreibt Gellert 1758. „Das Herz geht durch die Natur beseelt, schöpft Kräfte und kommt oft gestärkt aus der Einsamkeit zurück.“

Wer geht diesen Weg heute noch?

Wer geht diesen Weg heute noch, der Bonau mit Meineweh in der einen Richtung und Bonau und Schelkau in der anderen verbindet? Zwei nicht mehr ganz frische Tafeln in Bonau und Schelkau künden von ihm, dem 1997 von der Gemeinde Meineweh gestalteten und inzwischen in die Jahre gekommenen Gellert-Wanderweg. Der 300. Geburtstag des Dichters und Gelehrten, des Aufklärers und Lehrers der Nation, wie ihn Zeitgenossen einst nannten, am 4. Juli 1715 rückt Christian Fürchtegott Gellert, sein Werk und sein Wirken in unser Bewusstsein. Zumal er sich von Anfang August 1757 bis Mitte Mai 1758 im Wasserschloss der Familie von Zedtwitz in Bonau auf Einladung des Kammerherrn Christian Ferdinand von Zedtwitz aufhielt.

Eine am Eingang des eher bescheidenen Schloss-Geländes aufgestellte bronzene Tafel erinnert an diese Zeit. Zusammen mit den beiden genannten Tafeln sind es die einzigen Hinweise auf Gellert, die wir auf unserer Wanderung finden können. Was, so fragen wir uns auf dieser knapp dreistündigen Tour, ist geblieben von den Ideen der Aufklärung, die Gellert mit seinen Schriften und mit seinem Wirken so unermüdlich bei den Menschen zu befördern suchte? Was von den aufklärerischen Tugenden wie Güte und Selbstlosigkeit, Toleranz und Würde, mutiger Zuversicht und freudigem Tun? Was von der Aufforderung zum freien Denken und Handeln, orientiert am Nutzen für andere? Von Friedfertigkeit und dem Vertrauen auf den Mitmenschen wie auf Gott, von Offenheit und von Mildtätigkeit? Bekanntgeworden und wohl am ehesten noch im heutigen Bewusstsein präsent ist Gellert als Fabeldichter. 1746 veröffentlicht er bei Johann Wendler in Leipzig sein erstes Buch der „Fabeln und Erzählungen“, zwei Jahre später folgt das zweite Buch. 1754 schließlich gibt er - ebenfalls bei Wendler - den dritten Band „Lehrgedichte und Erzählungen“ heraus. Es sind über 100 erzählende Texte in Versform, mit denen Gellert seine Leser belehren und ihnen mit einfachen Beispielen und auf vergnügliche Art zeigen will, was ein tugendhaftes Leben ausmacht. Als Personal seiner Texte benutzt er nicht nur Tiere, wie es frühere Fabeldichter, so Äsop, getan haben, sondern ebenso Figuren aus der Antike und oftmals seine Zeitgenossen.

Bekanntester Autor seiner Zeit

„Die Nachtigall und die Lerche“, „Der Kranke“, „Der Fuchs und die Elster“, „Der Arme und der Reiche“ oder „Der Jüngling und der Greis“ sind Texte, die zu ihrer Zeit viel gelesen werden und die Gellert damals zum bekanntesten deutschen Autor werden lassen. Später schaffen sie es über viele Jahrzehnte hinweg in die Lesebücher deutscher Schulen. Dabei belässt es Gellert in seinen frühen Fabeln nicht beim bloßen Erzählen. Offenbar, um die erklärende Wirkung des geschilderten Geschehens noch zu verstärken, schiebt er kurze Anhänge nach. So zur Fabel „Das Gespenst“: „Ein jeder, der dies Wunder liest, zieh sich daraus die gute Lehre, daß kein Gedicht so elend ist, daß nicht zu etwas nützlich wäre.“ Mit der Gattung Fabel hat sich Gellert auch methodisch intensiv beschäftigt.

So gibt er seinem ersten Teil der „Fabeln und Erzählungen“ den Aufsatz „Nachricht und Exempel von alten deutschen Fabeln“ bei, in dem er die Texte seiner Vorgänger analysiert, deren Witz und Geist rühmt. Und bereits 1744 schließt der junge Christian Fürchtegott Gellert sein Studium der Theologie und Philosophie, das er 1734 an der Leipziger Universität aufgenommen hatte, mit einer Doktorarbeit über die Theorie und Geschichte der Fabel ab. Für ihn jedoch ist die Fabel, trotz handwerklicher Erfordernisse wie Reim und Rhythmus, vor allem Dichtung: „Eine kurze und auf einen gewissen Gegenstand anspielende Erdichtung, die so eingerichtet ist, dass sie zugleich ergötzet und zugleich nutzet.“

Inspiration und Geist, Sinnhaftigkeit und Moral - so wohl lässt sich am ehesten diese Poetik begrifflich benennen, von der die Fabel „Die Nachtigall und die Lerche“ als Auftakt des ersten Buches beredtes Zeugnis gibt: „Ich singe kurze Zeit. Warum? Um schön zu singen. Ich folg im Singen der Natur; so lange sie gebeut, so lange sing ich nur; so bald sie nicht gebeut, so hör ich auf zu singen; denn die Natur lässt sich nicht zwingen“, sagt die Nachtigall. Und fast prophetisch nimmt sie damit vorweg, was Gellert nach seinem Aufenthalt in Bonau ab 1758 selbst schmerzlich erleben muss: Sein Dichten verstummt.

„Der ganzen Nation eine Hülfe“

Als Gellert jedoch auf dem Anwesen der Familie von Zedtwitz ankommt, ist er ein überaus erfolgreicher und anerkannter Schriftsteller. Nicht nur seine Produktivität, seine Kunst und seine Gelehrsamkeit, auch das sich entwickelnde Bürgertum und ein teils reformwilliger Adel - beide sehen in ihm einen geistigen Impulsgeber - verhelfen ihm zu enormer Bekanntheit. 1765, vier Jahre vor Gellerts Tod, urteilt beispielsweise der Schriftsteller und Philosoph Thomas Abbt (1738-1766) über ihn: „Allein für ganz Deutschland ist es ohne Widerspruch Gel-lert, dessen Fabeln wirklich dem Geschmacke der ganzen Nation eine neue Hülfe gegeben haben.“

Geboren wird Christian Fürchtegott Gellert im Sommer 1715 im sächsischen Hainichen, einer Stadt, die auch heute noch weder groß noch klein, weder anziehend noch abstoßend ist. Sachsen in seiner seltsamen Mischung aus aufbegehrender Eigenwilligkeit und Kleingeisterei. Der Vater ist Pastor, die Mutter hat bereits vier Söhne zur Welt gebracht, insgesamt bekommt das Paar 13 Kinder. Die Familie muss sehen, wie sie über die Runden kommt. Gern nimmt deshalb der Vater die Nachricht auf, dass sein Sohn Christian, inzwischen 14 Jahre alt, dank einem Stipendium ab dem 14. Juli 1729 die Fürstenschule Sankt Afra in Meißen besuchen kann. Doch bereits nach zwei Jahren muss der Zögling für ein Vierteljahr zurückkehren ins Elternhaus. Eine schwere Krankheit - „wegen Geschwulst der Schenkel“, wie der Meißener Amts-, Schul- und Stadtphysicus Johann Christian Müller konstatiert - hatte ihn stark geschwächt. Als Gel-lert wieder etwas hergestellt ist, geht er erneut nach Meißen. Doch bereits am 31. Oktober 1733 schreibt der Vater ein Entlassungsgesuch mit der Begründung, dass der Sohn „nicht nur allerhand besorgliche Zufälle erlitten, sondern auch ganz außerordentliches Herzklopfen, kurtzen Odem und Engbrüstigkeit empfindet“. Es sei deshalb zu befürchten, dass er „gar crepieren und statt seines erwiesenen Fleißes unwiederbringlichen Schaden seiner Gesundheit leiden“ müsse.

Der Hypochonder hört in sich hinein

Diese körperlichen Leiden werden Gellert bis zu seinem Tode immer wieder beschäftigen und peinigen. Zwar ist er tatsächlich oftmals krank, allerdings treibt seine Psyche das Leiden an und verstärkt es. Denn jedes Anzeichen in seinem Körper deutet der Hypochonder als Boten einer möglichen neuerlichen Erkrankung. Seine Tagebücher und Briefe lesen sich deshalb oft wie Kranken-Akten. Auch in Bonau, am 7. Oktober 1757 von einer schmerzhaften Rippenfellentzündung heimgesucht, liegt er darnieder, muss „von einem Balbier aus Naumburg“ zur Ader gelassen werden. Am 9. Oktober gar sieht er sich mit dem Tode konfrontiert. Fünf Tage dauert der Kampf mit der Krankheit, schließlich kann er genesen. „Ich bin in der siebenten Woche so weit hergestellt, dass ich diesen Brief habe schreiben können; und wenn Gott uns Friede schenkt, hoffe ich bald in Leipzig zu seyn“, heißt es in einem Brief nach überstandenem Leiden. Auch in der fragmentarisch gebliebenen Autobiografie „Unvollständige Nachrichten aus meinem Leben“, die in Bonau entsteht, klingt das Thema der Krankheit mehrfach an.

Seine beste Zeit, so scheint es, hat Christian Fürchtegott Gellert während seines Studiums, das er 1734 an der Leipziger Universität aufnimmt, allerdings 1739 aus Geldmangel für ein Jahr unterbrechen muss. Er gibt Unterrichtsstunden, um Kost und Logis bestreiten zu können. Nach der Dissertation 1744 hält er ab 1745 in Leipzig Vorlesungen über Poesie, Beredsamkeit und Moral, wird 1751 zum außerordentlichen Professor für Philosophie ernannt. Der junge Johann Wolfgang Goethe (1749-1832), der später die aus seiner Sicht fade und erklärend-trockene Dichtung Gellerts ablehnt, gehört zu seinen Schülern.

Zeugen einer diffus gewordenen Zeit

Wir sind in Meineweh angekommen. Der Gutspark, in sozialistischen Zeiten mit einem Sportplatz versehen, empfängt uns mit seinen hohen, dürren Bäumen. Anton Röska hat ihn in den 1990er Jahren beschrieben, hat dem Dorf, dessen Gut, Park und Kirche liebenswürdige Texte gewidmet. Mehrmals sucht Gellert während seines Aufenthaltes in Bonau in der kleinen, mit blauem Schiefer gedeckten Meine-weher Kirche Erbauung und Stärkung. An diesem Vormittag, aber wohl auch sonst, sind Gotteshaus und Kirchhof verschlossen. Brombeer-Ranken und eine verwitterte Tür künden dem Besucher von einer diffus gewordenen Zeit.

Auf unserem Rückweg, in Bonau, werden wir weitere Zeugen finden. Stolze, einst aus roten Klinkerziegeln gebaute und mit Zierelementen versehene Bauernhäuser, die von der Kraft und vom Wohlstand ihrer Besitzer kündeten, die heute, von Gestrüpp umwachsen, verlassen und zerfallen an den Straßen stehen. Was sind die Mühen und die Lebenszeit wert, die in früheren Jahrhunderten in den Bau dieser Häuser investiert wurden? Und was, so überlegen wir auf dem Rückweg von Meineweh hinunter nach Bonau, wird aus den Reichtümern unserer Zeit, aus den vielen Windrädern und Autobahnen, aus den für uns scheinbar so guten Werken und Werten?

Eines der Gedichte, die Gellert 1757, also in seinem Bonauer Jahr, im Band „Geistliche Oden und Lieder“ veröffentlicht, kommt uns in den Sinn: „Von der Quelle der guten Werke“. Der Band ist die letzte große Publikation, die Gellert vorlegt. Einige ihrer Texte finden Eingang in kirchliche Gesangbücher, werden von namhaften Komponisten wie Ludwig van Beethoven (1770-1827) vertont. „Bau Häuser auf, und brich dein Brot, das Volk der Armen zu verpflegen; entreiß die Witwen ihrer Not, und sei der Waisen Schutz und Segen! Gib alle deine Habe hin! Noch hast du nichts vor Gott gegeben. Wenn Lieb und Pflicht dich nicht beleben: So ist dir alles kein Gewinn“, schreibt Gellert. Wir stellen uns vor, wie er auf der Bank unter den hohen Bäumen des Bonauer Parks sitzt, vor sich einen kleinen Tisch, um sich die Natur, Gottes Schöpfung. „Vernimm's, und siehe die Wunder der Werke, die die Natur dir aufgestellt! Verkündigt Weisheit und Ordnung und Stärke dir nicht den Herrn, den Herrn der Welt?“, heißt es im Gedicht „Die Ehre Gottes aus der Natur“, das ebenfalls in den „Geistlichen Liedern und Oden“ enthalten ist.

Den Gellert-Wanderweg am Bachlauf in Richtung Schelkau weiter hinunter gehend, an der einstigen Bonauer Mühle und an den verlassenen Stall-Ruinen sozialistischen bäuerlichen Genossenschaftstums vorbei, können wir trotz nach-winterlichem Grau fühlen, wie Gellert hier die grünende Natur genossen haben mag. Er findet in ihr neue Kraft. Und die kann er brauchen in einer Zeit, in der die Wirren des Siebenjährigen Krieges, in den Preußen ab 1756 Gellerts sächsische Heimat und bald weitere Reichsstände sowie Österreich, Frankreich, England und Russland verstrickt, bis hin nach Bonau spürbar werden.

So meint er, am 5. November 1757 die Geräusche der Schlacht von Roßbach zu vernehmen: „Ich hörte die fürchterlichen Donner der Canonen, die Zimmer erschütterten, ich wollte für die Sterbenden und die Lebenden beten, und konnte nicht; ich wollte wissen, was ich fühlte, und ich fühlte nichts als Starrheit der Seele. Ich glaubte, daß die Preussen siegen würden und erschrak doch unendlich, als ich hörte, dass sie Sieger waren.“ Österreichische Husaren gar nutzen das Gut als Quartier, später treffen Soldaten der mit den Österreichern verbündeten Reichsarmee ein. Obwohl sie gegen den von Gel-lert nicht geliebten Friedrich II. und dessen Armee kämpfen, sind sie Boten eines Geistes und Wirkens, die der Dichter beide als zutiefst verwerflich und zerstörerisch ansieht. Nicht nur seine Krankheit, auch der Krieg mit der Besetzung Leipzigs durch die Preußen ist es, der ihn nach Bonau fliehen lässt. Dabei widersetzt er sich immer wieder dem kriegerischen Ungeist. Und das bereits während der Schlesischen Kriege, die 1740 bis 1742 sowie 1744 bis 1745 für Unruhe sorgen, ihn in Leipzig heimsuchen. Soldatische Werte, wie sie im preußischen Heer aufkeimen und sich später im Ersten und Zweiten Weltkrieg zu perfider Perfektion und gehorsamen Funktionieren ausbilden, sind Gellert fremd. Davon will er auch die Offiziere seine Zeit überzeugen: „Kann man nicht anders berühmt werden, als wenn man der Liebe zum Leben entsagt: so will ich lieber hinter dem friedfertigen Pflug verzagt leben, als auf dem fürchterlichen Bette der Ehren mit Tapferkeit sterben. Ist es möglich, so vergessen Sie den Lorbeer, den man durch sein Blut erkaufen muss“, fordert er den Rittmeister Christian August Friedrich von Bülzingsleben auf, der 1742 an der Seite FriedrichII. am Feldzug gegen Österreich teilnimmt. Enthalten ist der Text in den „Briefen nebst einer praktischen Abhandlung“, die Gellert 1751 veröffentlicht.

Neun Jahre später, am 12. Dezember 1760, steht er im von den Preußen besetzten und von ihnen ausgelaugten Leipzig Friedrich II. gegenüber, der dort sein Hauptquartier aufgeschlagen hat. Dabei hofft Gellert einerseits, den König im Sinne der Botschaft seiner geistlichen Lieder von dessen kriegerischem Wege abzubringen. Andererseits wird er sehr deutlich: „Der König: Sind itzt böse Zeiten? Ich: Das werden Ew. Majestät besser bestimmen können, als ich. Ich wünsche ruhige Zeiten. Geben Sie uns Frieden, Sire. Der König: Kann ich denn, wenn Dreye gegen Einen sind? Ich: Das weis ich nicht zu beantworten. Wenn ich König wäre, so hätten die Deutschen bald Frieden.“

Böse Zeiten des Krieges erlebt auch der Graf in Gellerts Roman „Das Leben der schwedischen Gräfin von G“, der in zwei Teilen 1747 und 1748 anonym erscheint. Der Text kann als erster eigenständiger moderner Roman der deutschen Literatur angesehen werden. In ihm lässt es der Autor an nichts fehlen. So muss die Gräfin wegen einer Intrige nach Amsterdam fliehen. Ihr Gemahl, der Graf, gerät in russische Kriegsgefangenschaft und wird nach Sibirien verschleppt. Weil die Gräfin glaubt, er sei tot, heiratet sie nach einigen Jahren dessen Freund. Doch der Graf kehrt zurück, die drei leben in trauter Eintracht. Hinzu kommt die frühere Geliebte des Grafen, die zwei Kinder geboren hat, die jedoch nichts voneinander wissen. Auch sie führt der Zufall zusammen. Sie heiraten, bekommen ein Kind. Erst durch eine scheinbar von Gott verfügte Wendung - Karlson fällt in der Schlacht, Marianne öffnet nach Aderlass ihre Pulsadern - kann größeres Unheil verhindert werden. Hinzu kommen weitere personelle Linien. So heiratet des Grafen Mitgefangener die Witwe des russischen Gouverneurs. Ihre Schicksalsschläge jedoch bewältigen die Figuren des Romans mit Güte und Verzeihen, mit Mildtätigkeit, die sie anderen erweisen, und mit Gottvertrauen. Das Buch wird zu seiner Zeit viel gelesen. Erst Goethes Roman „Die neuen Leiden des jungen Werther“ mit seinem Geniekult lässt dessen Glanz verblassen. Beklemmend, und, so fragen wir uns, weshalb so zeitlos und noch immer aktuell, sind Gellerts Schilderungen der Gefangenschaft des Grafen. „Das Schrecklichste, was wir erfahren haben, ist der Mangel an frischem Wasser gewesen.“ „Ich ward kurz darauf krank und konnte nicht mehr gehen. Allein, ehe mich meine Landsleute zurückließen, so trugen sie mich lieber etliche Tage lang in Stöcken, an Stricken gebunden.“ „Wir mochten unser wohl drei- bis vierhundert sein, die man in einem sehr traurigen Aufzuge dem Pöbel einen halben Tag lang öffentlich darstellte.“ „Man ließ ihn niederwerfen. Er stand diese Marter vor unseren Augen standhaft aus und ließ unter den Händen der Barbaren, die ihm mit zwei Stäben auf den bloßen Leib schlugen, nicht die geringste Klage hören.“

Bis heute in Vergessenheit geraten

Nein, diese Ablehnung des Krieges passt nicht zur Verehrung, die in Deutschland für Friedrich II. als Kämpfer gegen die verhassten Franzosen einsetzt und die Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) im Jahr 1757 in seinen „Preussischen Kriegsliedern in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem Grenadier“ dichten lässt: „Krieg ist mein Lied! Weil alle Welt Krieg will, so sey es Krieg! Berlin sey Sparta! Preussens Held gekrönt mit Ruhm und Sieg!“ Nicht nur Goethe, auch andere führende Köpfe des deutschen Geisteslebens sehen in dieser Tatkraft die wahre Zukunft. Denn nicht die belehrende, die erklärende und gütige, die geduldige und verzeihende, die friedfertige und mildtätige, die gelassene und freudige Art ist es in ihren Augen, die die Nation voranbringt. Gellerts Einfluss verringert sich. Er wird zunehmend weniger gehört, gerät mit dem aufkommenden „Sturm und Drang“ in Vergessenheit, aus der er auch bis heute nicht entrissen ist.

Wir sind zurück in Bonau. Ein Hund bellt, eine Frau hängt Wäsche auf, sonst ist niemand zu sehen. Ein Sonnabendmittag, der so gewöhnlich ist wie jeder Mittag. Es sei denn, man liest - Gellerts Texte: „So wird es doch genug Belohnung für mich seyn, wenn sie sich mit Erbauung lesen lassen.“

Das Wasserschloss Bonau, in dem sich Gellert 1757 bis 1758 aufhielt, mit der Gellert-Bank.
Das Wasserschloss Bonau, in dem sich Gellert 1757 bis 1758 aufhielt, mit der Gellert-Bank.
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Das Wasserschloss Bonau befindet sich heute in Privatbesitz. Der Gellert-Wanderweg führt an ihm vorbei durch einen kleinen Park.
Das Wasserschloss Bonau befindet sich heute in Privatbesitz. Der Gellert-Wanderweg führt an ihm vorbei durch einen kleinen Park.
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Die Weite der Felder und des Himmels: Unterwegs auf dem Gellert-Wanderweg von Meineweh nach Bonau.
Die Weite der Felder und des Himmels: Unterwegs auf dem Gellert-Wanderweg von Meineweh nach Bonau.
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Die Natur ist eine Gabe Gottes und kündet von ihm: der ehemalige Gutspark von Meineweh mit seinen alten Bäumen im Nach-Winter.
Die Natur ist eine Gabe Gottes und kündet von ihm: der ehemalige Gutspark von Meineweh mit seinen alten Bäumen im Nach-Winter.
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