Tagebau Tagebau: Unter Funden auch Uralt-Rebe

Ein wenig Nostalgie muss sein. Zumal wenn im Dorf mit Sammler Heino Kirbst einer der bekanntesten Sieglitzer wohnt. Und so geht es erst einmal eine Runde im Opel-Cabrio von 1931, dem letzten seiner Art, durch den hübschen Ort. Und der ist grün. Alte Linden und Kastanienbäume stehen in der Dorfmitte. In Vorgärten, auf Rabatten und in Blumenkästen blühen die letzten Sommerblumen. Sieglitz, das einstige Bauerndorf, verfügt über eine Großzahl stattlicher Dreiseitenhöfe mit imposanten Toreinfahrten. Dahinter Gebäude mit Holzgalerien, viel Fachwerk. Im Dorf wetteifern Backsteinfassaden mit farbfreudigem Putz und Häusern, die der wilde Wein umhüllt.
Kirbst steuert den Parkplatz vor der Festscheune an. „Zu Vaters 50. Geburtstag“, erzählt Björn Zier (30), „haben wir für die große Feier die alte Feldscheune leer geräumt. Da kam dann auch die Idee, für ständig etwas daraus zu machen.“ Das begeistere die ganze Familie, und alle packten an. Stück für Stück wurde ausgebaut. „Viel Geld haben wir da reingesteckt“, weiß auch Vater Bodo Zier. Wände wurden eingezogen, ein Büfettraum geschaffen, eine Küche eingerichtet und der große Saal urgemütlich rustikal gestaltet. Bis zu hundert Personen haben hier Platz und die Ziers vermieten sie für Feiern aller Art, stellen auch den Service und die Versorgung, wie in einer Gaststätte. Nun baut Björn Zier, von Beruf Physiotherapeut, im Gebäude eine eigene Praxis auf. Handwerker sind zur Zeit am Werk, im November soll eröffnet werden. Mit Zier wird dann noch eine Physiotherapeutin hier arbeiten.
In der Festscheune treffen wir uns mit Petra Kühne. „Nein, eine Ortschronistin sei sie nicht“, wehrt die ehemalige Lehrerin ab. Dennoch hat sie für die Gemeinde die Ortschronik vervollständigt und dabei „Blut geleckt“, wie sie sagt. Und da weiß sie natürlich genau, was es mit dem großen gezackten Stein auf sich hat, der an der Straßenkreuzung in der Dorfmitte als Verkehrsinsel fungiert. „Ein Waidstein ist es“, sagt Petra Kühne und „wir haben ihn auch als Dorfwappen.“ Sieglitz gehörte einst zu den Dörfern auf der Molauer Platte, die für das Färbermittel „Blau“ die notwendige Waidpflanze anbauten. Die angewelkten Blätter wurden dann von den Bauern unter dem steinernen Rad der Waidmühle zerquetscht, zu Ballen geformt, getrocknet und so auf den Waidmarkt zur Weiterverarbeitung verkauft. Das brachte Wohlstand in das Dorf.
Wie auch die Schafe, die Pfennigsucher, die einst zahlreich gehalten wurden, deren Wolle aber heute kaum noch etwas einbringt. Als genügsame „Rasenmäher“ sind sie schon noch geschätzt . Ziers Nachbarn, Günther (64) und Christian (34) Lorenz, halten eine kleine Herde von Heidschnucken. Sie betreiben auch eine Nebenbei-Landwirtschaft, wie man das noch auf dem Lande findet, mit Kartoffelanbau, Gemüse und Futter. Eine naturbelassene Idylle ist auf dem Grundstück der von einer Quelle gespeiste Teich in dem sich einvernehmlich Karpfen, Forellen, Schleie und Goldfische tummeln. Christian Lorenz ist Vorsitzender des Sieglitzer Freizeitsportvereins 87, der jeden Freitag ab 18 Uhr Fußballspiele organisiert und das mit großer Beteiligung der Jugendlichen des Dorfes. Er sorgt auch sonst für etwas Leben im Dorf, mit Ständchenblasen zum Pfingstsonntag und geselligen Stammtischrunden in der Festscheune, ist eine Art Heimatverein. 2009 wurde gemeinsam mit der Familie Zier und der Feuerwehr eine alte Tradition der Thüringer Dörfer wieder neu belebt: das Maibaumsetzen. Auch in diesem Jahr, am 4. Mai, wurde eine 29 Meter große Fichte aus dem Münchenbernsdorfer Holz (Thüringen) nach Sieglitz geholt und gemeinsam mit der Feuerwehr aus dem Thüringer Golmsdorf und den Feuerwehrleuten aus dem Molauer Land vor der Festscheune aufgerichtet und mit dem Bänderkranz gekrönt.
Wieder ein Stück weiter im Dorf lässt uns Familie Bolle in ihren Hof blicken. Yves und Anke Bolle, Psychologen, in Weißenfels und Bad Kösen tätig, haben den Dreiseitenhof, einen sogenannten Fränkischen Hof, 2004 gekauft und sind 2006 mit ihren drei Kindern, ein, vier und zehn Jahre alt, hier eingezogen. Die schöne alte Hofanlage ist vollständig erhalten und zum Großteil saniert bei Beibehaltung der alten Raumverhältnisse. „Wir versuchen hier ländlich zu leben“, ist Credo der Bolles. Das bedeutet, viele Nahrungsmittel wieder für den Eigenbedarf zu erzeugen und zu verarbeiten. Sie backen Brot, brauen Bier und erzeugen Säfte und Marmeladen. Da darf man staunen: Im großen Garten hinter dem Haus stehen viele Bäume und Pflanzen, die man anderenorts nur noch selten sieht. Fast alles Neuanpflanzungen. „Wir versuchen viele einheimische Pflanzen hier wieder anzusiedeln“, erklärt Yves Bolle. So wachsen neben alten regionalen Obstsorten, Birnen, Äpfeln, Pflaumen, Kirschen und Walnüssen auch die Quitte, die Kornelkirsche, Eberesche, Mispel, Speierling und Esskastanie. Aus den Früchten werden leckere Marmeladen gekocht, werden Saft und Wein und Trockenobst bereitet. An den Bäumen hängen Nistkästen. Stolz sind die Bolles auf die kleine, im Land stark rückgängige Feldsperlingspopulation, die Streuobstwiesen und Hecken bevorzugt.
Was es nicht mehr im Dorf gibt, sind Mühle, Bäcker, Fleischer und Gastwirtschaft. Dafür kommen mehrmals in der Woche Verkaufswagen aus Thüringen ins Dorf. Gern gekauft wird in der Landfleischerei in Crölpa-Löbschütz, zum Einkauf fahren Sieglitzer nach Camburg, Hermsdorf und Naumburg. Von vielen wird bedauert, dass die einst für Leistungskegeln und Freizeitsport täglich genutzte Kegelbahn aufgegeben wurde. Sie soll noch voll funktionsfähig sein.
Die 1982 erweiterte Schule hat Sieglitz indes bislang verteidigen können. Teilweise zumindest, was Grundschule und Hort betrifft. Die Sekundarschule musste aufgegeben werden. In den Klassenräumen hat Heino Kirbst sein Raritätenkabinett eingerichtet. Der Tischlermeister hat sage und schreibe in Jahrzehnten 25000 Gegenstände zur ländlichen Geschichte aus zwei Jahrhunderten gesammelt und daraus solche Schaustücke wie ein bäuerliches Wohnzimmer, eine Arztpraxis oder den Dorfkonsum originalgetreu aufgebaut. Dazu nutzt er 30 Räume in der einstigen Sekundarschule und auf eigenem Anwesen. Womit sich der Kreis unseres Dorfreports schließt. Ein wenig Nostalgie muss halt sein.