Projekt Projekt: Zwölf Blätter voller Kunst und Welterbe

burgscheidungen - In Burgscheidungen schien am Wochenende die Zeit stehengeblieben zu sein. Geschrieben wurde das Jahr 1710. Im pompösen Schloss, hoch über der Unstrut, schwelgten die Gäste im Glanz einer vergangenen Epoche, im Barock. Keine Geringere als die Reichsgräfin Anna Constantia von Cosel lud zum barocken Ball in das Schloss des Grafen von Hoym, ihrem Ex-Mann und Minister am Hofe von August des Starken. Die bekannteste Mätresse des Kurfürsten Friedrich August von Sachsen und König von Polen gab sich die Ehre, und so konnten all die geladenen Grafen, Fürsten und Herzöge mit ihren Gemahlinnen den erlauchten und Kurfürsten ebenfalls zum großen Sommerfest begrüßen.
Knapp 200 Gäste tauchten ein in die üppige Pracht des Hochbarock. Im wundervollen Ambiente des Schlosses, in den Sälen und Salons erlebten sie den historischen Barockball „Gräfin Cosel“. Gleichtuend wie seine Majestät und die Reichsgräfin lustwandelten die Gäste im geschmückten und beleuchteten Laubengang, im Terrassengarten und im Park.
Strikter Kostümzwang
Das wohl interessanteste an dieser sehr verspielten und überbordenden Barock-Epoche ist mit Sicherheit die Kleidung. Und so herrschte während des Balls strikter Kostümzwang. Die Damen zeigten sich im Ballkleid mit Reifrock und zum Teil atemberaubenden Dekolletés, künstlerisch frisiert, weiß gepudert und mit stilgerechtem Schönheitsfleck, die Herren im Justaucorps, Kniebundhose, Schnallenschuh, Allonge- oder Zopfperücke und dem Dreispitz. Ganz dem Hofzeremoniell entsprechend, wurden die Gäste vom Zeremonienmeister Baron de Künzel, alias Stephan Künzel, bereits ab 13 Uhr empfangen und durch Tag und Abend geleitet. „Wir laden ein zum Ball. Lasset uns die Gunst der Stunde nutzen und zelebrieren“, verkündeten zwei Stunden später vom Schlossbalkon herab seine Majestät und die Reichsgräfin. Er stehe natürlich in ihrem Schatten, gab der Kurfürst freimütig zu. Die Cosel ließ während des Balls mehrmals ihren Machthunger erkennen. Mit vier Salutschüssen, abgefeuert von der sächsischen Artillerie zur Begrüßung des Kurfürsten, nahm das prächtige Fest seinen Lauf.
Und was wäre ein Barockball ohne Musik und Tanz. Auf einer Tanzfläche im Garten unterwies Tanzmeister Frank Ditze die Gäste in den richtigen Schritten und den Etiketten der Reigentänze Branle und Courante, die man am Hof des Sonnenkönigs in Versailles einst getanzt hatte. Am späten Abend, auf dem Parkett im herrlichen Festsaal, nahmen all die ehrenwerten Paare noch einmal für die historischen Gesellschaftstänze Aufstellung. Wer nicht tanzen wollten, lauschte den Klängen des Ensemble „Les Matelots“, das auf historischen Instrumenten mit Kammermusik und Tanzmusik aus dem 17. und 18. Jahrhundert unterhielt und den Barockball begleitete. Um auch optisch das Flair der Zeit wiederzubeleben, traten die vier Musiker ebenfalls im Kostüm auf.
Einführung in die Fächersprache
Nach dem festlichen Einzug am späten Nachmittag über die Gartenterrassen in den Schlosspark erlebte die höfische Gesellschaft ein Programm mit der Aufführung eines Menuetts, das würdevoll und elegant von Mitgliedern des Rokoko-Vereins Potsdam getanzt wurde. Der Hofstaat lauschte Gedichten und erotischen Erzählungen und wurde in die Fächersprache eingeweiht. So sei ein Fächer im Barock und Rokoko nicht nur benutzt worden, um sich Luft zu zu wedeln, sondern diente mit Hilfe einer Zeichensprache, um sich in amourösen Belangen zu verständigen. Die großen und beliebten Holzspiele, die im Schlossgarten aufgestellt waren, waren nicht nur Zeitvertreib des Adels, sondern ebenso für das Verabreden zu wollüstigen Abenteuern geeignet. Die Spieler traten so in Kontakt, kommunizierten miteinander und verabredeten sich auf ein Schäferstündchen, wie Gräfin Barock aus Hohen Neuendorf offenherzig plauderte. Zum unvergesslichen Abend für die Besucher gestalteten sich die opulenten Büfetts. Neben Schwein am Spieß fiel den Herrschaften die Auswahl bei Fasan, gefülltem Perlhuhn, Rentier, Hasen und Ente nicht leicht. Das erlauchte Publikum war aus allen Teilen Deutschlands angereist. In einem faszinierenden rosa Kleid mit ausladender Schleppe weilte Anja Müller aus Bayern mit ihrer Baronesse Jennifer an einem schattigen Plätzchen im Park. „Ich habe lange im Internet nach solch einem Event gesucht und dann gleich gebucht“, sagte sie. Es sei einfach toll, nicht nur einen Abend, sondern einen ganzen Tag in eine andere, vergangene Welt einzutauchen, den höfischen Umgang zu erleben. Das Kleid sei kein Problem gewesen. Das Sammeln von Barockkostümen sei ihr Hobby.
Kratzfuß als Begrüßung
Sich auf eine Zeitreise zu begeben, wollten auch Dagmar und Walter Thiele. Sie kommen aus Karsdorf und zählten wie Verbandsgemeindebürgermeisterin Jana Grandi bereits auf dem Ball vor drei Jahren zu den Gästen. Frau Grandi hatte sich Olaf Schumann als Partner mitgebracht. Doch wie Karsdorfs Bürgermeister bekannte, sei es nicht schwer gewesen, ihn vom Glamour zu überzeugen. Unter den Besuchern befanden sich viele Stammgäste von Barockbällen. Diese begrüßten sich mit Kratzfuß und Komplimenten. Ein Modedesigner aus Berlin, gehüllt in cremefarbigen Brokat mit Spitze und roter Perücke in übersteigerter Form, brachte es auf den Punkt: „Heute wird in Burgscheidungen Barock gelebt. Es ist kein Traum“.