Lehrerstreik Lehrerstreik: Unterricht und Ostereier

naumburg - Es ist kurz vor 21.30 Uhr. Im Auktionshaus Wendl im thüringischen Rudolstadt neigt sich die 75. Auktion von Kunst und Antiquitäten dem Ende. Der kleine Saal im schicken historischen Auktionsgebäude ist am vergangenen Sonnabendabend noch recht gefüllt. Manch Käufer hat gerade das eine oder andere „Schnäppchen“ gemacht und ein gutes altes Stück Vergangenheit für einen günstigen Preis ergattert. Nun gelangt die Katalognummer 4 629 zum Aufruf. Auf dem Bildschirm über der routiniert agierenden Auktionatorin leuchtet neben der Katalognummer ein Bild auf, eine Ansicht vom Naumburger Dom.
Es ist ein sehr gutes Ölgemälde in einem einfachen, recht unpassenden jüngeren Rahmen, welches etwa 130 mal 100 Zentimeter groß ist. Signiert ist die Arbeit von Friedrich Karl Walther und datiert mit der Jahreszahl 39 (1939). Die Bäume vor dem Dom sind nicht belaubt, es soll ein Herbstbild sein, wirkt aber wie ein lichtdurchflutetes Frühlingsbild. Der sehr niedrig angesetzte Preis im Katalog weist 650 Euro aus – ein mehr als günstiges Angebot.
Lehrer war auch Fritz Rentsch
Das aufgerufene Bild hängt derweil im ersten Stockwerk des Auktionshauses und dominiert die zahlreichen anderen durchschnittlichen Bilder im Umfeld, welche seit Tagen zur Vorbesichtigung der Auktion zur Schau gestellt sind. Eigentlich nicht verwunderlich. Ist doch der 1905 in Zeitz geborene und in Leipzig aufgewachsene Künstler kein unbeschriebenes Blatt. Das Internetlexikon Wikipedia weist immerhin fünf Seiten Lebenslauf und Werk des Meisters auf, der nach der Lithographenlehre an der berühmten Kunsthochschule in Leipzig studiert hatte. Lehrer war unter anderem auch der Naumburger Kunstmaler Fritz Rentsch.
Leipzig richtete Exposition aus
Das Werk von Karl Walther befindet sich heute in zahlreichen großen Museen und Sammlungen, wie zum Beispiel in der Städtischen Galerie München, in den Kunstsammlungen Chemnitz, im Museum der Bildenden Künste in Leipzig, in der Kunsthalle Mannheim, in der Staatsgalerie Stuttgart oder im Museum im Kulturspeicher Würzburg. Die Stadt Leipzig veranstaltete für den bedeutenden Künstler im Stadtgeschichtlichen Museum im Alten Rathaus 1995 eine Retrospektive - ebenso wie die Galerie der Bayerischen Landesbank zehn Jahre später in München. Sollte das alles den Mitarbeitern des Auktionshauses verborgen geblieben sein? Es war noch manch anderes verborgen geblieben über den bekannten Spätimpressionisten, dessen ausgewiesene Spezialität Architektur- und Städtebilder waren.
Die Gäste der Auktion staunen. Nicht der Katalogpreis (650 Euro) wird, ähnlich wie bei den meisten der vorhergehenden Auktionslose, aufgerufen. Ein schriftliches Gebot liegt über 3 600 Euro vor, und schnell geht es weiter. Der einzige Bieter im Saal, ein Naumburger, steigt bei 6 000 Euro aus dem Rennen. Es geht zügig voran, und auch die Bemerkung der Auktionatorin, „es ist ja nur der Naumburger Dom“, hilft da nicht weiter. Hoffnung für den Telefonbieter: Der Bieter im Internet war durch technische Verzögerungen bei 18 000 Euro hängen geblieben.
Ein Frühlings-, kein Herbstbild
Es geht aber weiter. Zum Schluss gewinnt der Telefonbieter mit seinen 22 000 gebotenen Euro, das dritthöchste Ergebnis aller verauktionierten Gegenstände dieser Jubiläumsauktion im Auktionshaus Wendl. Nach dem Zuschlag sind nun noch zusätzlich 18 Prozent Auktionsaufschlag zu bezahlen und die Mehrwertsteuer auf die Differenz zwischen Zuschlag und Endpreis. Ein mehr als gediegener Gesamtpreis für das großformatige Gemälde eines spätimpressionistischen Malers, der den Naumburger Dom in ein schönes Licht gesetzt hatte. Auf der Rückseite des Bildes haftete noch der Aufkleber der Großen Deutschen Kunstausstellung in München aus dem Jahre 1939, die im Juli eröffnet worden war. Das ebenfalls 1939 signierte Bild konnte also nur ein Frühlingsbild sein, und nicht der Dom „an einem sonnigen Herbsttag“, wie im Katalog ausgewiesen.
Platz in der Reichskanzlei
Soweit, so gut - die Geschichte ist aber noch nicht zu Ende. Eine große überregionale Zeitung hatte wenige Tage vor der Auktion einen Stein ins Rollen gebracht, der über die Agenturen lief und zahlreiche Medien erreichte - wohl ohne Sichtung des Originalbildes. „Nazibild zum Naumburger Dom“ geisterte in den letzten Tagen durch die deutsche Medienlandschaft.
Ein Kunsthistoriker hatte der Zeitung gesteckt, dass das Bild mit dem Naumburger Dom 1939 am Ende der Münchener Kunstausstellung von Adolf Hitler angekauft worden war und einen Platz in der Berliner Reichskanzlei gefunden hatte. Das Gemälde kostete damals immerhin 3 500 Reichsmark, ein durchschnittliches Jahreseinkommen. Es sei nicht besonders, sollte eigentlich wegen des zeitweiligen Besitzers nicht gehandelt werden, sollte wohl am besten in das Deutsche Historische Museum gelangen und dort unter Verschluss bleiben und wäre aber trotzdem viel zu billig angesetzt - letzterem kann man zumindest zustimmen.
Seit 1962 Eigentum des Bundes
Nach dem Kriegsende hatten amerikanische Soldaten neben zahlreichen anderen kriegsbedingt ausgelagerten Werken im Salzstock von Bad Aussee das Gemälde mit dem Naumburger Dom zum Central Collecting Point (CCP) nach München verbracht. Da es vor 1945 nachweislich legal erworben war, gelangte das Ölgemälde unter die Verwaltung des Bayerischen Ministerpräsidenten und schließlich in die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes der „alten“ Bundesrepublik Deutschland.
Es wurde 1955 von München nach Bonn verbracht und hing in verschiedenen Büros, bevor es 1962 endgültig Eigentum der Bundesrepublik wurde. Nun reiste das Gemälde mit dem berühmten Naumburger Dom durch die Welt als Dekorationsstück in diplomatische Vertretungen, bis es schließlich 2001 als „entbehrlich“ eingestuft und veräußert wurde. Für wenig Geld gelangte es jetzt in Privathände, der geringe Erlös floss in der Bundeshaushalt.
Zahlreiche offene Fragen
Eine deutsche Geschichte mit vielen Fragen. Hätte das Bild nicht eventuell Naumburg angeboten werden können? Hatte der übernehmende Privatbesitzer keine Ahnung von der Qualität des Bildes, ebenso wie das Auktionshaus? Hätte der Münchener Kunsthistoriker nicht mal seinen Kollegen in den Vereinigten Domstiftern einen diskreten Hinweis geben können, statt in die Posaune zu stoßen und genau das zu erreichen, was er angeblich nicht wollte, eine Devotionalie schaffen? Nun ging das Gemälde zu einem hochgetriebenen Preis vorerst in einen weiteren Kreislauf - ins Nachbarland Österreich. Schade.
Trotz manch künstlicher Aufgeregtheit hätte das schöne Gemälde den Bestand der Vereinigten Domstifter bereichert. Zur angestrebten Aufnahme in das Unesco-Welterbe gehört auch das Erbe mit schwieriger Geschichte.