Kichern auf Streckbank
Naumburg. - Max kringelt sich und zappelt mit Vergnügen auf der Streckbank. Der Zehnjährige kichert, obwohl er auf einem der schrecklichsten mittelalterlichen Folterinstrumente liegt. Seine Mitschüler aus der Grundschule Albert-Schweitzer kitzeln ihn ohne Erbarmen unter den Achseln und am Bauch. Seine Brille rutscht ihm von der Nase. Foltermeister Ralf "Teschi" Teschendorf kennt die Wirkung des auf den ersten Blick recht unspektakulär aussehenden Holzbrettes: "Damit konnten die Gelenke auseinandergerissen werden. Manchmal wurde dem Gefolterten auch ein Trichter in den Mund gesteckt und ihm Wasser in den Schlund gekippt, bis der Bauch nahezu platzte." Auch der berühmte Pranger wartet auf seine Opfer.
Kinder-Ritterspiele
Die Bernauer Briganten reisten für ihren Auftritt während des diesjährigen Hussitenlagers entlang der Naumburger Stadtmauer nicht nur mit diesen Folterwerkzeugen an. Im Gepäck haben die 32 Mitglieder rund um ihren Chef Bernd Eccarius eine kleine Schmiede und allerlei Rüstungen und Waffen. Seine Heimatstadt gehört wie Naumburg zu den Städten mit hussitischer Tradition und Geschichte. In der Domstadt weilt er im Rahmen des Lagers zum bereits zehnten Male. "Die Naumburger waren in diesem Jahr nicht bei uns", beschwert er sich mit einem Augenzwinkern und erklärt den Reiz des Hussitenlagers: "Geschichte heißt nicht nur anschauen und erklären, sondern auch anfassen und begreifen. Dieses Interesse an der damaligen Zeit birgt allerdings auch eine gewisse Suchtgefahr."
Lebendige Geschichte
Die Augen der Kinder, die in Grüppchen zwischen den Zelten und Holzbuden schlendern und meist zudem noch die Kirschen mit rot-grüner Farbe auf den Wangen tragen, glitzern, ob bei den Fachsimpeleien über die Turnierkämpfe der Ritter oder bei dem Griff nach den Holzschwertern. Die haben es vor allem dem siebenjährigen Konrad angetan. Mit Schulfreund Maximilian und dessen Mutter Cornelia Kästner streift er entlang der Stadtmauer. Die Naumburgerin gibt Obacht auf die regen Jungen, die dank gleichfarbiger Mützen in Blau sofort erkennbar sind. "Für die Kinder ist es ein großer Spaß. Für uns Ältere schon Tradition, hierher zu kommen", erklärt die junge Frau ihren Besuch und den Zeitsprung in das Mittelalter.
Vergessen ist dann der Elektroherd, da stattdessen die selbst gemachten Fladen über dem offenen Feuer brutzeln, die noch mit einem großen Klecks Pflaumenmus gekrönt werden. Vergessen sind lärmende Computerspiele. Beim Bogenschießen muss ein Pappkamerad herhalten, der bereits von unzähligen winzigen Löchern durchsiebt ist. Fehltreffer landen in den Strohballen. Vergessen ist auch das spülmaschinenfeste Geschirr. Im Ausschank stapeln sich eine Vielzahl an braunen Tonbechern. Auch bei Manuela Schulze. Sie ist bis zum Sonntag eine der vielen Wirtsleute im Hussitenlager und schenkt neben Met und Honigbier auch Obstweine und Fassbrause aus. Von jedem Getränk hat sie gleich mehrere Fässer à 30 Liter auf Vorrat gelegt. Für die Quedlinburgerin ist es eine besondere Premiere, das erste Kirschfest. "Ich bin gespannt auf die Resonanz. Mal sehen, wie viele Besucher kommen", sagt die Gastronomin, während sie mit ihrer Kollegin auf einer Bank sitzt und auf ihre ersten durstigen Gäste wartet. Andere "Hussiten" müssen dagegen ihre Zelte noch aufbauen. Einige Stände sind noch geschlossen. Hinter der historischen Stadtmauer ist von diesem Spektakel aus Markt, Waffenlager und Schmausbuden nur wenig zu spüren. Ab und an erschallt das Hämmern der Schmiede, das Lachen der Kinder. Da vielleicht eines gerade wieder auf der Streckbank liegt.