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Karl-May-Kongress Karl-May-Kongress: Langer Ritt nach Naumburg

Von hans-dieter speck 14.10.2013, 08:03
Es ist nicht so, dass in Janisroda nichts geschieht: Die einen machen Mist, die anderen machen ihn weg ...
Es ist nicht so, dass in Janisroda nichts geschieht: Die einen machen Mist, die anderen machen ihn weg ... T. Biel Lizenz

naumburg - Bevor man sich auf die folgende Geschichte einlässt, sollte man sich von der Vorstellung lösen, dass es in einem Zirkus immer lustig zugeht. Vielleicht hilft es, sich einen traurigen Clown in der Manege vorzustellen (auch wenn der folgende Zirkus weder über Clown noch Manege verfügt; aber dazu später mehr).

Jetzt aber hereinspaziert! Die Show beginnt!

Gezeigt wird: eine Tragödie, nicht im antiken Sinn, eher inszeniert als deutsches Trauerspiel

Ort des Geschehens: Janisroda; auf dem Grundstück „gegenüber von Haus 17“ (nicht wundern, es heißt seit kurzem wirklich so)

Handelnde Personen: die Dorfbewohner (die Leidtragenden); der Grundstücksbesitzer (noch ein Leidtragender); zwei kaum zu unterscheidende Wanderzirkus-Familien (sich ebenfalls im Leid sehend); diverse Behörden (bemitleidenswert/sich selbst bemitleidend)

Requisiten: diverse alte Zirkuswagen (zum Teil polizeilich beschlagnahmt); Dreck; Gestank; über den Feldweg laufende Stromleitungen; Pferde, Esel, Kamele (zum Teil als Kadaver neben einer Scheune liegend)

Handlungszeitraum: Dezember 2012 bis März 2013 (erster Akt, „Die Ankunft“); März bis Oktober 2013 (zweiter Akt; „Wir bleiben länger“); von heute an (dritter Akt, „Wer macht endlich Schluss mit dieser Vorstellung?“)

Prolog: Bis in die 60er Jahre war der „Zirkus Schickler“ mit 160 Pferden und 100 weiß-blauen Wagen eine große Nummer in Norddeutschland. Doch 50 Jahre später vermittelt eine einfache Google-Suche ein anderes Bild. Vorstellungen werden unter den Namen „Schickler“ oder „Elano“, wie die zwei Unternehmen kaum auseinanderzuhalten sind, schon lange nicht mehr geboten. Stattdessen gibt es in Großobringen (Thüringen), Finsterwalde (Brandenburg) oder Bad Doberan (Mecklenburg-Vorpommern), um nur einige Orte zu nennen, immer wieder den gleichen Ärger: Der Zirkus schlägt - zunächst geduldet - ein Winterquartier auf privatem oder öffentlichem Grund auf und zieht dann einfach nicht weiter. Im Gegenteil: Man nistet sich ein. Und wie! Überall gibt es Klagen der Anwohner über die Tierhaltung, den Müll, den Gestank, Pöbeleien und Drohungen. Verfolgt man diverse Presseberichte, so wird die Masche klar. Der Rechtsweg, einen zunächst geduldeten Wanderzirkus fortzuklagen, ist riskant. Das wissen alle, auch die Behörden. Sie versuchen es mit Entgegenkommen, lassen Zirkus-Fahrzeuge Tüv-konform reparieren, kaufen Grundstücke auf. Bis die Karawane endlich weiterzieht. Im Dezember 2012 kam sie in den Naumburger Ortsteil Janisroda.

Auch bei der Justiz spielen die Vorgänge in Janisroda eine Rolle. Wie Staatsanwaltssprecher Hans-Jürgen Neufang bestätigte, wurde gerade ein Fall aus Worms, bei dem es um einen vermeintlich gestohlenen Zirkusanhänger geht, an die Naumburger Kollegen übergeben. Ein anderes Diebstahlsdelikt gegen Carlos Rojan wurde eingestellt. „Die Post konnte unsere Ladung nicht zustellen. Empfänger unbekannt“, so Neufang. Was für den Laien ungeheuerlich klingt, sei bundesweit ganz normal. Neufang: „Bei geringer Tatschwere kann man durch Untertauchen einer Anklage entgehen.“

1. Akt, „Die Ankunft“: Im Dezember 2012 ist der Janisrodaer Uwe Kirbst mit den Nerven am Ende. Als Tischler kann er wegen Beschwerden an Knie und Schulter nicht mehr arbeiten. Die Trennung von seiner Frau war teuer. Er hat nun eine Wohnung im Hinterhof. Vorn wohnt seine Ex. Doch die Wohnung brennt ihm ab. Wegen des Feuers macht die Versicherung Ärger. Kirbst lebt von Hartz IV, braucht Geld für neue Möbel. Er kommt in Kontakt mit Zirkusleuten. Er habe doch ein Grundstück mit Hallen, Feld, Wiese. Ob das nicht ein Winterquartier für ein paar Zirkusmitglieder und wenige Tiere werden könnte? Es wird Geld geboten, das gibt Kirbst heute zu. „Davon wollte ich mir neue Möbel kaufen.“ Der Janisrodaer stimmt der Ansiedlung zu. Doch das Geld wird er nie sehen.

Stattdessen sieht er: immer mehr Wagen, immer mehr Leute, immer mehr Tiere, immer mehr Dreck. In seine Halle wird eingebrochen. Die ersten Nachbarn beschweren sich. Sie fühlen sich belästigt. Zirkusanhänger versperren Straßen und private Einfahrten. Einsicht der „Schausteller“? Entschuldigungen? Normale Kommunikation? Null. Die Hilfsarbeiter der Zirkusleute verrichten ihre Notdurft tagtäglich auf den umliegenden Feldern. Die Haltung der Lamas, Esel, Pferde bringt einen beträchtlichen Misthaufen mit sich.

Man sagt, Uwe Kirbst hätte bereits in den Jahren zuvor einen schwierigen Stand in der Dorfgemeinschaft gehabt. Jetzt, mit dem selbst verschuldeten Heranschleppen des Wandervolkes, sinkt sein Stern immer weiter. Kirbst hat die Schnauze voll. Will die Geister, die er rief, loswerden. Doch er weiß nicht wie. Weder das Ordnungsamt der Stadt noch das Kreis-Veterinäramt haben bei ersten Begehungen viel zu beanstanden. Das Gelände habe ja auch vorher nicht gerade sauber geglänzt. In einem ersten Tageblatt/MZ-Bericht klagt der Janisrodaer sein Leid. Die Zirkusleute nehmen Kirbst nicht für voll, bedrohen ihn. „Wir hauen dir mit dem Spaten den Kopf ab, haben sie gesagt.“ Dann Hoffnung: Es heißt, wenn einer der Zirkus-Chefs aus dem Gefängnis kommt, werde man weiterziehen. Im März. Jedoch: Der März kommt, der Zirkus bleibt.

2. Akt, „Wir bleiben länger“: Der Unmut im Dorf wächst weiter. Die Angst auch, um die Kinder, um die Älteren. Noch hat es keine Diebstähle oder Einbrüche gegeben. Gerüchte um Hausverbote in diversen Supermärkten machen die Runde. Eine Schlägerei an Himmelfahrt mit Jugendlichen gab es, aber da waren wohl beide Seiten nicht schuldlos. Dass Uwe Kirbst mit allen Mitteln versucht, die mittlerweile ungebetenen Gäste loszuwerden, nimmt man ihm im Dorf nicht ab. „Wie auch? Man sieht ja, wie er den Menschen hilft und sich auch von ihnen helfen lässt“, sagt Ortsbürgermeister Herwig Becker. Das leugnet Kirbst auch nicht. Und seine Ex-Frau, Margret Kirbst, hat eine Erklärung parat: „Ihm hilft hier ja sonst keiner mehr. Irgendwie muss er seine vielen Tiere ja versorgen.“ Auch sie ist sauer. Schließlich hatten die „Schausteller“ versucht, sich auf ihre Adresse anzumelden. „Da hätte ich ja für 25 Leute Müllgebühren zahlen müssen“, sagt sie und fasst sich an den Kopf.

Die Müllgebühren: Ein Beispiel dafür, was die Dorfbewohner eigentlich am meisten auf die Palme bringt. Sie zahlen brav ihre Müll-, Strom- und Abwassergebühren. Die Zirkusleute nicht, beklagt man bei einem Anfang dieser Woche stattgefundenen Treffen mit Tageblatt/MZ. Die Zirkusleute, über die die ganze Zeit geredet wird, wollen sich hingegen nicht äußern. Tageblatt/MZ wird von Sofia Rojan, der „Chefin“, an der Tür ihres Anhängers abgewimmelt. „Wir sagen nichts!“ Noch im März 2012 hatte sie sich an die Medien gewandt: Damals war eine Lagerhalle voll mit Futter und Requisiten bei einem ungeklärten Feuer abgebrannt. Rojan warb um Hilfe. Doch über die Vorwürfe in Janisroda will sie nicht sprechen.

Dafür hat Uwe Kirbst Erklärungen parat: „Das Wasser klauen sie bei mir oder holen es sich aus der Boblaser Quelle. Den Müll verteilen sie überall auf dem Gelände. Strom hatten sie erst bei mir abgezapft. Nun steht ein Verteiler am Grundstück.“ Die Anwohner befürchten, dass er an das Straßenlicht angeschlossen ist. Genaues weiß man nicht. Datenschutz. Und der allgegenwärtige „Datenschutz“ lässt auch den wahrscheinlich irrwitzigsten Vorwurf nicht aufklären. Denn: Uwe Kirbst hat derzeit Probleme beim Hartz-IV-Bezug. Grund: Er bekäme doch Pachteinnahmen von den Zirkusleuten. „Mit gefälschten Papieren waren die beim Amt und haben Wohngeldzuschuss verlangt“, sagt Kirbst, der ehrenamtlich für die „Tafel“ arbeitet. Zuschuss für eine Wohnfläche, für die man nicht bezahlt und auf der man nicht gewollt ist. So dreist müsste man erst einmal sein. Die Stadtverwaltung, die Wohngeld ausgibt, darf jedoch weder bestätigen noch dementieren.

Was Oberbürgermeister Bernward Küper jedoch auch gegenüber dem Gemeinderat bestätigt hat, ist, dass sich „19 Personen, darunter neun Kinder und Jugendliche bei uns angemeldet haben“. Hartz-IV-Leistungen und Kindergeld sind so gesichert. Mit der Anmeldung in Naumburg wurde eine Adresse zugeteilt. Witzig: „Gegenüber von Haus 17“, heißt sie, was der Besitzer von Haus 17 aber überhaupt nicht witzig findet, „und ich kann mich auch nicht dagegen wehren“, sagt er gegenüber Tageblatt/MZ. Mit der Anmeldung in Naumburg folgte aber auch die Schulpflicht - in der Albert-Schweitzer-Grund- sowie Sekundarschule. „Sicher gab es am Anfang Probleme. Aber nachdem wir die Richtung klar gemacht haben, klappt jetzt alles wie am Schnürchen. Die drei Kinder, die zu uns kommen, sind pünktlich und zuverlässig da. Die Eltern kümmern sich. Es gibt keine Beanstandungen“, sagt Annette Scholz, Leiterin der Grundschule.

Es sprechen nicht alle schlecht über die „Schausteller“. So auch Jörg Bethmann, der hiesige Polizeisprecher. „Bis auf wenige Einsätze können wir da nicht von einem Schwerpunkt reden“, sagt er. Kirsten Wilke, städtische Fachbereichsleiterin für Bürgerdienste, Recht und Ordnung, hat Verständnis für die Beschwerden der Anwohner, sagt aber auch: „Wenn es darum geht, konkrete Sachverhalte zu nennen, die in unsere Aufgabengebiet fallen, tun sich die Anwohner schwer.“ Auf der anderen Seite: Die Anwohner fühlen sich nicht ernst genommen. „Man leitet uns von einem Amt zum nächsten. Nie ist einer zuständig“, lautet der Vorwurf.

3. Akt, „Wer macht endlich Schluss mit dieser Vorstellung?“: Der geneigte Leser mit juristischem Interesse wird sich fragen, warum Uwe Kirbst seine „Untermieter“ noch nicht per Räumungsklage los geworden ist. Die Antwort liegt wohl darin begraben, wie schwer dem Janisrodader Papierkram, aber auch das Annehmen von Hilfe fällt. Sowohl die Stadt als auch die Agrargesellschaft Prießnitz würden das Gelände und damit seine Sorgen kaufen. „Aber das mache ich nicht. Das Grundstück ist das letzte, das mir für meine Tiere noch bleibt. Da hängt mein Herz dran“, sagt Kirbst. Eine erste Räumungsklage mit einer ersten Anwältin scheiterte an einem Formfehler. Damit war die Prozesskostenhilfe aufgebraucht. „Da hat er sich von uns nicht helfen lassen“, sagt Kirsten Wilke.“ „Mich lassen ja alle im Stich“, sagt Uwe Kirbst. So geht das hin und her. Gegenüber dem Gemeinderat sagte OB Küper, man werde behilflich sein und die Klageschrift für den Eigentümer vorbereiten. Doch auch hier musste das Rechtsamt auf die Bremse treten. Wenn man plötzlich allen Privatpersonen bei ihren Klagen helfen würde, stünde sofort die Kommunalaufsicht vor der Tür. Wenigstens in einem Punkt konnte Kirsten Wilke den Janirodaer Anwohnern Hoffnung machen: „Wenn Herr Kirbst die Klage zustande bekommt, könnte da binnen Wochen eine Entscheidung gefällt werden“, sagt sie. Urteil natürlich offen. Und gestern Mittag konnte auch Angelika Krüger vom Kreis-Veterinäramt einen neuen Stand verkünden: „Wir geben dem angeblichen Zirkus bis Ende des Jahres Zeit, seine Tierhaltung komplett aufzulösen, ansonsten werden wir eingreifen und sie dazu zwingen oder es per Ersatzvornahme selbst tun.“ Die Zustände, „abgemagert, ohne Auslauf, nicht artgerecht“, seien schlimm, so Krüger

Heißt es also bald „herausspaziert, herausspaziert“ in Janisroda? Die Zirkusmenschen scheinen das anders zu sehen: Sie haben zwei weitere Kinder für den Sommer als Erstklässler an der Schweitzer-Schule angemeldet. Dazu sind sie verpflichtet. Schulleiterin Scholz: „Aber ich hatte den Eindruck, dass sie durchaus hier bleiben wollen.“