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Ausstellung Imaginäre Reisen im Kunsthaus Apolda Avantgarde

Die am Wochenende eröffnete Cornelia-Schleime-Schau „An den Ufern ferner Zungen“ gleicht einer virtuellen Tour durch ein Künstlerleben.

Von Jana Kainz 03.05.2022, 10:32
Eigene Welten erschafft Cornelia Schleime in ihren Werken. Im Kunsthaus Apolda Avantgarde ist ihr bis 3. Juli  eine Retrospektive gewidmet.
Eigene Welten erschafft Cornelia Schleime in ihren Werken. Im Kunsthaus Apolda Avantgarde ist ihr bis 3. Juli eine Retrospektive gewidmet. (Foto: Torsten Biel)

Apolda - Es dürfte nicht nur der Hunger nach Kunst gewesen sein, wegen dem wochenlang Jung und Alt ins Kunsthaus Apolda Avantgarde strömten, wie Bürgermeister Rüdiger Eisenbrand vermutet. 11.200 Besucher ließen sich die im Januar eröffnete Ernst Barlach- und Käthe Kollwitz-Schau „Über die Grenzen der Existenz“ nicht entgehen.

Wegen „der Schwere des Themas“ sei das nicht vorhersehbar gewesen, meint er. Vielleicht hätten die Menschen Käthe Kollwitz wiederentdeckt? Wie auch immer. Die Schau war ein beachtlicher Erfolg. Ein solcher dürfte dem Kunsthaus mit der nächsten Ausstellung beschieden sein, die mit einer Vernissage vergangenen Sonnabend sozusagen stehenden Fußes der Barlach-Kollwitz-Schau folgt. Bis zum 3. Juli begegnen die Besucher nun einer der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen der Gegenwart: Cornelia Schleime.

Kuratierte die Apoldaer Cornelia Schleime-Austellung: Andrea Fromm.
Kuratierte die Apoldaer Cornelia Schleime-Austellung: Andrea Fromm.
(Foto: Torsten Biel)

Sie ist Malerin, Fotografin, Performerin, Autorin. Als all das - vor allem aber als Malerin - wird sie in Apolda erlebbar. Um sie mit einer umfangreichen Retrospektive ehren zu können, stellte sich der Kunstverein Münsterland unterstützend an die Seite des Kunstvereins Apolda Avantgarde. So konnte Kunsthistorikerin Andrea Fromm 2019 Kontakt zu der gebürtigen Berlinerin aufnehmen, wobei sie bei dieser mit dem Vorschlag, in der thüringischen Kreisstadt auszustellen, offene Türen einrannte. Mit einem Jahr coronabedingter Verspätung wird nun die Cornelia Schleime-Schau „An den Ufern ferner Zungen“ präsentiert.

In dieser sind 103 klein- wie großformatige Werke versammelt, die alle aus dem Privatbesitz der Künstlerin stammen. Das Gros - vor allem „ihre monumentalen Werke aus der jetzigen Zeit und auch aus ihrer DDR-Zeit und ihrer frühen West-Berliner Zeit - werden in Apolda exklusiv gezeigt“, betont Andrea Fromm, die die Schau feinfühlig kuratierte. Über die Künstlerin sagt sie: „Cornelia Schleime steht für sich, sie ist ein einzigartiger Solitär.“ Und wer dessen Schaffen auf sich wirken lassen will, sollte vor allem eines ausreichend mitbringen: Zeit.

„Punkerin“ (2017) - ein Hinweis auf die Punkband-Zeit der Künstlerin?
„Punkerin“ (2017) - ein Hinweis auf die Punkband-Zeit der Künstlerin?
(Foto: Torsten Biel)

Auf den drei Ausstellungsebenen des Kunsthauses läuft der Besucher die, in diesem Falle wunderbare, Gefahr, ganz und gar im Betrachten zu versinken. Vor allem die erste Etage ist von einer märchenhaft-magischen Atmosphäre erfüllt, die von großformatigen Acryl-Lack-Malereien ausgeht. Fällt der Blick zuerst auf Schleimes „Punkerin“, wandert dieser unweigerlich weiter zu „Rotkäppchen“. Ein auf einem Pferd sitzendes Mädchen mit roter Kappe und weißem Kaninchen im Rücken wirkt wie eine Mischung aus Grimms „Rotkäppchen“ und Carrolls „Alice im Wunderland“. „Es ist eine ihrer Traumlandschaften und hat nichts mit den literarischen Vorlagen zu tun“, geht die Kuratorin auf die Märchen-Assoziationen ein. Cornelia Schleime spiele in ihren jüngeren Werken mit kollektiven Bildern, Märchen, Mythologien, schaffe Parallelwelten, Assoziatives, Mehrdeutiges, Flüchtiges und lasse dabei stets den eigenen Wandel einfließen.

Ein ganz großes Thema ist für die in der DDR Aufgewachsene und 1984 nach West-Berlin Ausgereiste das Reisen, vor allem - als einstige DDR-Bürgerin blieb ihr nichts anderes - das imaginäre Reisen. „Das ist in ihrer Kunst eine wichtige Komponente geblieben“, betont die Kuratorin. Imaginär - so sind denn auch Schleimes Selbstporträts und ebenso ihre Selbstinszenierungen.

Selbstinszenierung auf La Palma: „Das Holz, das Haar“ von 2019
Selbstinszenierung auf La Palma: „Das Holz, das Haar“ von 2019
(Foto: Torsten Biel)

Ihre Kindheit, ihre Erfahrungen in ihrer Heimat, in der sie als Künstlerin den Weg in die Subkultur fand, um so gegen das DDR-System zu rebellieren, und die spätere Entdeckung, von einem guten Freund bespitzelt worden zu sein, verarbeitet Cornelia Schleime in den großformatigen „Zopfmädchen“-Bildern. Die Zöpfe, zeigt die Schau, werden für sie zum Symbol für Verstrickungen und Unfreiheit, aber auch für Tradition. Den Verrat des Freundes dokumentiert sie künstlerisch mit Kopien aus ihrer Stasiakte. Es entstand die Leporello-Stasi-Serie „Bis auf weitere gute Zusammenarbeit, Nr. 7284/85“. Ein Teil liegt in der Schau unter Glas aus.

Als sie 1985 nach Griechenland reiste, verwirklichte sie sich nicht nur einen Traum. Es sei für sie eine „imaginäre Neugeburt gewesen“, bei der sie die Eröffnung des Raumes erfahren habe, erklärt die Kuratorin. Seither malt Cornelia Schleime in „pastellartigen Tönen“, sind ihre Bilder durchlichtet, verspielt und stets von Melancholie beseelt. Wie vielfältig ihr Schaffen ist, belegen ihr Irland-Reisetagebuch, das ebenso in einer Vitrine ausgelegte Buch „Das Lob der Torheit“ von Erasmus von Rotterdam, welches von ihr illustriert wurde, und einige ihrer auf Tafeln gedruckten Gedichte.

Cornelia Schleime - Selbstinszenierung.
Cornelia Schleime - Selbstinszenierung.
(Foto: Torsten Biel)

Im Apoldaer Kunsthaus durchschreitet der Besucher regelrecht eine virtuelle Biografie, wobei sich vor diesem das spannungsreiche Leben einer Künstlerin entblättert, die mit der Leipziger Schule und folglich mit Künstlern wie Neo Rauch verglichen wird. „Damit“, so die Kuratorin, „hat sie aber nichts zu tun. Cornelia Schleime hat sich eine persönliche Welt entwickelt.“

Zu sehen ist die Schau, zu der ein hochwertiger Katalog erschienen ist, dienstags bis sonntags, 10 bis 17 Uhr; Infos unter www.kunsthausapolda.de

Cornelia Schleime - die frühen Jahre

Am 4. Juli 1953 wird Cornelia Schleime in Ost-Berlin geboren. Um Maskenbildnerin zu werden, absolviert sie eine Friseurlehre. Nach zwei Jahren Studium der Maskenbildnerei in Dresden bricht sie dieses ab, um sich für ein Malerei- und Grafikstudium zu bewerben. Ein solches Studium beginnt sie 1975 in Dresden. 1979 engagiert sie sich in der Subkulturszene der DDR und gründet mit Ralf Kerbach die erste ostdeutsche Punkband „Zwitschermaschine“. 1980 schließt sie ihr Diplomstudium ab. Im thüringischen Hüpstedt iniziiert sie eine spontanen Mal- und Körperaktion im Wohnhaus von Ralf Klement. Ihr wird die Aufnahme in den Verband Bildender Künstler verwehrt und damit offiziell auszustellen. Es entsteht Protestkunst wie „Ich halte doch nicht die Luft an“ (1982), wofür sie sich eine Plastiktüte über den Kopf zieht. 1983 kehrt sie nach Ost-Berlin zurück und schließt sich der Künstler-Bohéme am Prenzlauer Berg an. 1984 reist sie nach West-Berlin aus.