Historisches Historisches: Ortsgrenze trennte im Bahnhofsgebäude Speisesaal von der Toilette

Nissmitz - Sie hatten sich viel vorgenommen, die zahlreich erschienenen Einwohner des nur 98 Seelen zählenden Dorfes Nißmitz: Die Gemarkung ihres heutigen Freyburger Ortsteils wollten sie umschreiten - 15 Kilometer schätzten die einen, 20 Kilometer andere. Wie auch immer. Bei schönem Sommerwetter wurde das eine geschichtsträchtige Wanderung, und am Ende stand fest: 17 Grenzsteine säumen den Weg. Nach gut 50-jähriger Pause wurde eine alte Tradition wieder belebt - der Flurzug, mit dem einst die Flurgrenzen kontrolliert und etwaige Unstimmigkeiten geklärt worden sind.
Versprechen zu Kinderspielplatz
Aber nicht die Alten, die Jungen im Dorf waren die Vorreiter des Neubeginns. Die Organisatoren Sebastian und Christian Witt, Sven Melchior und Christoph Sterz, alles Nißmitzer im besten Männeralter, waren sich sicher: Mit dieser Wiederbelebung des alten Brauchtums können die Neuzugezogenen integriert und Jung und Alt zusammengebracht werden. Das ist gelungen. Ein respektabler Zug formierte sich am Denkmal, Sebastian Witt hielt eine kleine Rede, und dann ging es, die einst von Sabine Witt genähte Fahne mit dem Lindenbaumwappen voran, zur Unstrutwiese.
Dort wurden zwei Apfelbäume gepflanzt. Freyburgs Bürgermeister Udo Mänicke hob die Pflanzgrube aus und versprach den Bürgern, für einen Kinderspielplatz zu sorgen. Denn: So klein das Dorf auch ist, so kinderreich ist es. 20 Kinder sind hier zu Hause, viele junge Familien sind in letzter Zeit zugezogen. „Nißmitz ist der kinderreichste Ortsteil von Freyburg“, bekräftigte Mänicke.
Neues Kreuz für alten Grenzstein
Neben dem Bürgermeister waren auch Andreas Baum als Vorsitzender der Agrargesellschaft Großwildorf und der Jagdpächter Hubert Leidenroth erschienen. Das gab dem Flurzug, bei dem es heute natürlich keine Grenzstreitigkeiten mehr zu regeln gibt, auch ein wenig offizielles Gewicht. Und die älteren Einwohner freuten sich, dass das über Jahrhunderte gepflegte Brauchtum wiedererstanden ist.
Helmut Mosberg hatte die letzten Flurzüge in den 1950er Jahren mit organisiert. Nun war der 84-Jährige wieder dabei, als eine Schalmei zum Aufbruch ertönte. Jörn Swoboda spielte Akkordeon, und auf ging es: die Unstrut entlang zum ersten Grenzstein. Hier wollte man authentisch sein. Uwe Voit hatte das Steinbrechbeil seines Schwiegervaters wieder hervorgeholt, das etwa 100 Jahre alte Werkzeug geputzt und mit frischem Grün umwunden. Nun schlug Sven Melchior in den Grenzstein ein kleines Kreuz ein - als Zeichen, dass hier kontrolliert wurde. Etwas Neues hatten sich die Flurzugorganisatoren auch ausgedacht: An den Steinen gab es Dorfanekdoten und humorige Verse zu Einwohnern. Tina Schimmerkowski musste auf den ersten Stein steigen. Ihr wurde auf diese Art zum 33. Geburtstag gratuliert. Und weiter ging es durch die Große und Kleine Propstei und Flurstücke, die putzige Namen tragen - wie Hähnchen oder Eulengeschrei. An der Flurgrenze bei Wilsdorf war dann Rast angesagt, mit Grillen, Fischbrötchen und Getränken. Auf die Kinder wartete ein Hufeisenwerfen, und für müde Wanderer stand ein Shuttle für die Rückfahrt ins Dorf bereit.

