Hintergrund Hintergrund: Über 10 000 Hektar Fläche

naumburg - 2 000 Seiten ist er dick. Gespickt mit kulturhistorischen Daten und Zusammenhängen. Doch, so viel scheint klar: Allein mit einem überzeugenden Antrag wird unsere „hochmittelalterliche Herrschaftslandschaft“ den erhofften Weltkulturerbe-Titel nicht gewinnen. Eine Unesco-Delegation wird Naumburg und Umgebung nächstes Jahr besuchen. Und sie wird schauen, wie sehr die Bevölkerung hinter dem Antrag steht, wie sie ihn verinnerlicht hat. „Jeder Kellner muss über unsere Bewerbung Bescheid wissen“, forderte Oberbürgermeister Bernward Küper jüngst im Hauptausschuss des Gemeinderates. Tageblatt/MZ hörte sich am Mittwochvormittag in der Stadt um, wie weit diese Forderung schon Realität ist.
Angefangen auf dem Markt, führt unser Weg zur Tourist-Info-Mitarbeiterin Katja Gehlfuß (40). Drei, vier Mal die Woche nehme ein Tourist einen Welterbe-Flyer mit. Fragen zum Antrag kommen „vielleicht einmal im Monat“. Von uns getestet, weiß sie, dass die Titel-Entscheidung im Jahr 2015 fällt. Der Name der Bewerbung fällt ihr nicht ein. Als dazugehörige Orte kann sie außer dem Dom Zscheiplitz, Bad Kösen, Schulpforte und die Neuenburg nennen.
Noch nicht weiter mit dem Antrag beschäftigt hat sich Pflanzen-händler Carsten Krehahn (44). Zwar weiß er, wann die Entscheidung fällt, doch beim offiziellen Antragstitel und Antragsgebiet muss er passen. Gut findet er den Slogan „Meine Welt. Mein Erbe“. „Vielmehr frage ich mich aber, ob uns der Welterbetitel nicht beschränken könnte. Etwa, wenn jemand eine Industrieanlage plant und diese vielleicht nicht ins Bild passt.“
Wenige Meter weiter fragt gerade Klaus-Jürgen Lübke aus Trier nach dem Weg. Mit seiner Frau und Freunden aus Edinburgh weilt er als Tourist für zwei Tage in der Domstadt. Welterbe-Antrag? „Davon habe ich gehört. Prima! Das wird Ihnen hier noch mehr Touristen bescheren. Und die bringen Geld.“ Die Naumburger Chancen schätzt er als sehr gut ein, auch wenn er denkt, dass wir uns nur mit Uta und Ekkehard bewerben. „Vor 22 Jahren, als ich zum ersten Mal in Naumburg gastierte, war hier alles dreckig. Es stank nach Briketts und Trabis. Bedient wurde man in den Gaststätten nur widerwillig. Aber jetzt ist doch alles schön und top saniert hier.“ Auch der Service stimme nun. Eine Stunde zuvor habe die 50-Cent-Eingangssperre am Marientor nicht funktioniert, erzählt Lübke. Aber: „Ein Anruf in der Tourist-Info - und fünf Minuten später wurde uns geholfen.“
Deutlich skeptischer sieht Taxifahrer Peter Scheibe (63) das Vorhaben von Stadt und Domstiftern. Bisher habe ihn noch nie ein Fahrgast auf die Unesco-Sache angesprochen. Mehr Kundschaft erhofft er sich durch den möglichen Titel nicht: „Die Touristen werden doch alle mit Bussen vor den Dom gekarrt.“ Zugreisende, die ein Taxi zum Hotel nehmen, seien absolute Ausnahme.
Auch Andrea Weidemeier (46), Optiker-Angestellte bei Fielmann, hat sich bisher nicht mit dem Thema Unesco-Weltkulturerbe beschäftigt. Bei den Fragen rund um Titel/Gebiet/ Entscheidungsdatum muss sie passen. „Aber ich hoffe trotzdem, dass es klappt. Das lockt Touristen an, und die brauchen wir.“
Doch nun endlich auf zur Gastronomie: Hier sollen, laut Oberbürgermeister Küper, ja bald „alle Kellner“ Bescheid wissen. Doch: „Ich bin mit meinen Gästen bisher noch nicht über dieses Thema ins Gespräch gekommen.“, sagt Marion Kattler (54), Inhaberin des gleichnamigen Cafés. „Wir werden nur nach Ausflugstipps, besonders ins Unstruttal, gefragt.“ Über Inhalte des Antrages („Freyburg ist doch sicher dabei, oder?“) weiß sie nicht Bescheid.
Durch die neue, offene Show-Küche im Bistro des Restaurants am Steinweg kommt der Bocks-Küchenchef Thomas Allstaedt (29) nun immer häufiger mit Gästen ins Gespräch, „jedoch nicht übers Welterbe“, sagt er. Auch die Einheimischen seien eher skeptisch. „Ich übrigens auch. Letztens war ich in Kassel. Dort war gerade der Bergpark Wilhelmshöhe zum Welterbe ernannt worden. Da muss man schon sagen: Die sind dort viel weiter als wir. Alles noch sauberer, die Menschen unheimlich stolz.“ Von den positiven Folgen eines möglichen Welterbe-Titels ist Allstaedt aber überzeugt: „Dann wäre hier jeden Tag die Bude voll.“
In ständigem Kontakt mit Touristen steht zurzeit Souvenir-Shop-Betreiber Steffen Hoyme (52). „Oft spreche ich da auch das Welterbe an und ernte viel Interesse“, sagt Hoyme. Die Naumburger seien da viel phlegmatischer. „Sie denken, dass sie das eh nicht beeinflussen können. Da ist noch viel DDR-Mentalität vorhanden.“ Er selbst hofft stark auf den Titel, „denn dann würden wir nicht nur mehr, sondern auch interessiertere Kulturtouristen anziehen, die, wie bei der Landesaustellung, nicht nur für zwei Stunden bleiben.“ Er selbst weiß auch ganz gut über den Antrag Bescheid. Als einziger aller Befragten (!) kann er sich zum Titel der Bewerbung äußern: „Irgendwas mit hochmittelalterlich“. Auch einige Orte des Antragsgebietes nennt Hoyme. „Ob aber Saalecks- und Rudelsburg wirklich drinbleiben, wenn diese Umgehungsstraße kommt, von der ich gar nichts halte, bezweifle ich.“
„Ich wünsche mir, dass es mit dem Welterbe klappt, da es sich Naumburg und die Umgebung verdient haben“, sagt der Betreiber des Galerie-Cafés am Dom, Steffen Pretzsch (46). In den Köpfen der Touristen und Einheimischen sei das Thema aber noch nicht drin. Dass allein der Titel reicht, um mehr Touristen anzulocken, kann der Wirt aus eigener Erfahrung versprechen: „Ich war letztens in Kutná Hora nahe Prag. Da ist die Altstadt auch Weltkulturerbe. Aber dort ist alles schmutzig und ungepflegt. Furchtbar. Die sind dort gar nicht auf so viele Gäste eingestellt. Und alle fahren nur dahin, weil die sich Unesco-Weltkulturerbe nennen dürfen“, so Pretzsch.
Voll auf Gäste eingestellt ist hingegen Kerstin Weiß (49), Servicemitarbeiterin des Naumburger Doms. Sie macht die Erfahrung, dass das Thema präsenter wird. „Viele Touristen gehen sogar davon aus, dass wir den Titel schon lange haben und sind ganz erstaunt, dass wir uns erst bewerben.“ Zudem teilt Weiß die Meinung, dass eine erfolgreiche Bewerbung nicht nur mehr, sondern auch fachkundigeres Publikum anlockt. Obwohl sie von Welterbe-Aufklebern und Prospekten umringt ist, muss sie bei der Frage, wann entschieden wird, passen. Und den sperrigen Titel „Der Naumburger Dom und die hochmittelalterlichen Herrschaftslandschaft an Saale und Unstrut“ hatte selbst sie nicht parat.
Fazit: So endet unser Rundgang mit dem Gefühl, dass noch einiges an Euphorie und Interesse geweckt werden muss. Kleiner Trost: Auch direkt vor der Landesausstellung 2011 hielt sich das Interesse der Naumburger arg in Grenzen. Es brauchte etwas, bis Stolz und Freude über die Ausstellung und ihre große Anziehungskraft aufkamen.