Wie beeinflusst Corona unser Leben „Es fehlt das bekannte Licht am Ende des Tunnels“
Dietmar Schwenke, Geschäftsführer des Naumburger Jugend- und Sporthotels Euroville, spricht über Folgen der Pandemie für das Haus.

Naumburg - Im Bemühen, die Verbreitung des Corona-Virus auszubremsen, droht das Miteinander auf der Strecke zu bleiben. Lokale, Sportstätten, Musikschulen, Kinos, Theater, Konzertsäle, Galerien, Museen und immer wieder auch Schulen sind seit November vergangenen Jahres erneut geschlossen. Wie erleben die verschiedenen Einrichtungen - kulturelle, sportliche, museale oder kirchliche - diese außergewöhnliche Zeit? Welchen Herausforderungen sehen sie sich gegenüber? Was treibt deren Mitstreiter um? Diesen und weiteren Fragen möchte Naumburger Tageblatt/MZ in loser Folge nachgehen. Mit Dietmar Schwenke, Geschäftsführer des Naumburger Jugend- und Sporthotels Euroville, sprach Redakteurin Jana Kainz.
Herr Schwenke, seit über einem Jahr steht das Leben ganz im Zeichen von Corona, ist das Reisen kaum noch möglich. Wie lange steht bei Ihnen schon der Betrieb still?
Dietmar Schwenke: Am 16. März vergangenen Jahres mussten wir zum ersten Mal schließen. Seither hatten wir unser Jugend- und Sporthotel lediglich für vier Monate öffnen können: Juli, August, September und Oktober.
Kehrte in diesen vier Monaten im Euroville wieder so etwas wie Normalität ein?
Ja, durchaus. Wir konnten wieder - selbstverständlich unter Einhaltung der aktuellen Hygieneregeln - uneingeschränkt arbeiten. Verhalten sah es anfangs mit den Klassenfahrten aus. Richtig gut liefen vor allem die Ferien- und Trainingscamps. Es hatte sich auch die Dance-Akademie aus Göttingen zum wiederholten Male bei uns einquartiert. Zuvor hatten wir uns mit den Verantwortlichen getroffen, um Vertrauen für unsere Maßnahmen aufzubauen, denn auch die Eltern der Jugendlichen wollten sichergehen, dass ihr Nachwuchs bei uns gut aufgehoben ist. Damals haben wir wieder Hoffnung geschöpft. Richtig Spaß hatte es auch gemacht, als wir den Kindergarten St. Nikolaus von Mai bis Dezember bei uns hatten. So war hier immer Leben im Haus. Im August kehrten auch die ersten Schüler für ihre Klassenfahrten aus verschiedenen Bundesländern ein. Allerdings durften wir Gäste aus Regionen mit einem Inzidenzwert von über 50 nicht aufnehmen. Wir kämpften damals gegen das Beherbergungsverbot - also speziell Mario Friedel, weil man nur als Einzelperson dagegen vorgehen konnte. Er hat auch Recht bekommen, doch das nützte nicht viel, stand da doch schon mit dem 1. November der nächste Lockdown ins Haus - das eine ging in das andere über.
Was gab und gibt es in der Zeit zu tun, in der Sie und Ihr Team keine Gäste beherbergen?
An Buchungsterminen wurde so lange wie möglich festgehalten, dann musste aber schnell umgebucht oder storniert werden. Es trat dann bei Neubuchungen die Situation ein, dass die Stornogebühren wegfallen mussten, weil die Gäste kein Risiko mehr eingehen wollten. Diese Situation hat sich manifestiert. Im November vergangenen Jahres zeichnete sich deutlich ab, dass für den Rest des Jahres nichts mehr läuft. So mussten wir auch den Silvestergästen absagen. Ebenso war uns klar, dass wir das Jahr 2021 mit Absagen beginnen werden. Nur, dass es so lange anhält, damit hatten wir nicht gerechnet. Wir fangen bereits jetzt an, Reisen auf das Jahr 2022 umzubuchen.
Was bedeutet diese Situation für Ihre Mitarbeiter, die da wie viele sind?
Es sind 25 und allen bin ich sehr dankbar, dass sie in dieser Zeit zum Betrieb stehen und nicht die Flucht in andere Branchen ergreifen. Immerhin sind alle seit dem 1. April 2020 in Kurzarbeit. Diese passen wir immer mal wieder den Erfordernissen entsprechend an. Vor allem für die Kollegen an der Rezeption und im Verkauf ist es eine große Belastung. Sie müssen sich die Nöte der potenziellen Gäste anhören, mit ihnen besprechen, ob Umbuchen möglich sind und dergleichen. Bei alledem erfahren wir aber immer wieder, dass die Menschen gern zu uns fahren wollen, aber eben leider nicht dürfen. Es ist für uns ein Leben zwischen Bangen und Hoffen. Und als Geschäftsführer versuche ich, den Hoffnungsschimmer immer leuchten zu lassen.
Wie gelingt Ihnen das?
Ich bleibe mit den Mitarbeitern in Kontakt, schreibe ihnen hin und wieder Briefe. Es gab auch kleine Weihnachtsgeschenke und einen Frauentagsgruß. Gelegentlich lade ich zu Treffen in unsere große Sporthalle ein. Dann rücke ich ein Bild ins Blickfeld - einen anschaulichen Zeitstrahl: Kinder- und Jugendreisen gibt es weit über 100 Jahre. In dieser langen Zeit ist so viel passiert, gab es Krisen, die erlebt und überlebt wurden. Genauso wollen und werden wir die aktuelle Krise meistern.
Letztlich ist es aber eine Frage des Geldes, ob man überlebt. Was bedeuten die vielen Monate des Schließens wirtschaftlich?
Wirtschaftlich ist es eine fatale Situation. Die Umsätze sind gleich null. Andererseits mussten wir geleistete Anzahlungen zurückerstatten. Und die Fixkosten müssen natürlich auch beglichen werden. Das Geld zerrann wie Sand zwischen den Fingern. Wir haben die Überbrückungshilfe 1 und 2 beantragt. Jetzt melden wir Überbrückungshilfe 3 an. Es ist wie eine Fahrt durch Nebel. Problematisch waren die November- und Dezemberhilfe. Als Anhaltspunkt diente der Umsatz aus dem Vorjahr. November und Dezember haben wir hier regulär wenig Gäste und damit einen geringen Umsatz. In diesen Monaten leben wir noch von der sonst toll laufenden Saison von März bis Oktober. Belastend ist bei alledem, dass wir nicht wissen, wie es weitergeht. Wir haben wie die Hotellerie-Branche momentan keine Perspektive. Es fehlt das bekannte Licht am Ende des Tunnels.
Was bewegt Sie gegenwärtig besonders?
Dass die Klassenfahrten auf der Strecke bleiben. Im Fachverband für Kinder- und Jugendreisen „Reisenetz“ machen wir uns für Klassenfahrten stark. Sie bieten nicht zu unterschätzende außerschulische Lernerlebnisse. Zum Programm einer Klassenfahrt gehören zum Beispiel Führungen durch unseren Welterbe-Dom und die Stadt Naumburg. Zudem sind diese Fahrten für die Klassengemeinschaft unheimlich wichtig. Es sind diese Fahrten, die ein Zusammengehörigkeitsgefühl, ein Teamgefüge entstehen lassen. Man hat Spaß mit den Mitschülern und erinnert sich sein Leben lang an diese Fahrten. Außerdem schafft man etwas für die Zukunft. Was ich als Kind oder Jugendlicher gesehen habe, möchte ich später meinen Kindern zeigen oder fahre selbst noch einmal dorthin. Das fällt alles weg.
Noch irgendetwas?
Nun ja, als ich das Euroville 2009 kennengelernt habe, hatte das Team die Probleme aus der Gründung gerade überwunden und begonnen, erfolgreich zu arbeiten. Nun heißt es plötzlich, man sei nicht systemrelevant. Das trifft jeden Einzelnen von uns tief.
Wie wird man damit fertig?
Indem man dennoch zur Verfügung steht. So haben wir bei dem großen Corona-Ausbruch bei Tönnies der Firma hier ein Quarantänequartier geboten - auch, um unsere Mitarbeiter wieder in Beschäftigung zu bringen. Und wir gaben dem Gemeinderat und dem Kreistag die Möglichkeit, hier zu tagen. Dadurch hatten wir die Gelegenheit, den Gemeinde- und Kreisräten zu zeigen, wie es uns derzeit geht.
Wie tanken Sie derzeit Kraft?
Zuerst zu Hause. Meine Frau gibt mir Rückhalt! Zwei-, dreimal die Woche Individualsport treiben, um auf andere Gedanken zu kommen. Weil Besuche von Theateraufführungen nicht möglich sind, lese ich nun mehr oder höre klassische Musik, wobei ich auch für mich neue Werke entdecke. Ich habe mir auch den vom Theater Naumburg gestreamten „Kirschgarten“ angehört. So schöpfe ich wieder Kraft.
Was würden Sie sich angesichts aller Corona-Maßnahmen wünschen?
Dass den Menschen nicht gedroht wird nach dem Motto: „sonst gibt es kein Ostern“ oder „sonst gibt es kein Weihnachten“ oder aktuell „sonst gibt es keinen Sommer in Mecklenburg Vorpommern“. Dass Landesgrenzen geschlossen werden, ist sehr bedrückend. Es wird zu wenig gemeinsam nach Machbarem gesucht, es wird nicht geschaut, was trotz alledem möglich sein könnte. Warum darf zum Beispiel der Profisport weiter machen, während der Breitensport verboten wird. Das ist ein Problem auch für den Nachwuchssport.
Was vermissen Sie persönlich?
Meine Enkel, die zwei, sechs, sieben und zehn Jahre alt sind, und die ich nun schon über ein halbes Jahr nicht mehr gesehen habe - persönlich. Sie leben größtenteils in Mecklenburg-Vorpommern und dort gibt es ja wieder ein Einreiseverbot. Sich online zu sehen, ist kein Ersatz. Es fehlen auch die freundschaftlichen Kontakte. Allgemein das herzliche Aufeinanderzugehen, das Händeschütteln. Es ist irritierend, dass es mich jetzt erschreckt, wenn mir jemand zu nahe kommt.
Sehen Sie trotz alledem Chancen, die die aktuelle Situation bietet?
Es ist wohl weniger eine Chance als die Hoffnung, dass etwas nicht verloren geht: der Wunsch zu verreisen. Die Anrufe, die wir erhalten, zeugen davon, dass dieses Bestreben ungebrochen ist. Die Menschen sind traurig, dass sie nicht wegfahren dürfen. Hoffentlich erkennen wir, wie wertvoll das Reisen ist - auch das Reisen, um Freunde und Familie zu treffen. Für solche Fahrten sind künftig Ausreden nicht mehr erlaubt.