Teenieband Teenieband: Riesenzwerge des Rock'n'Roll
Halle (Saale)/MZ. - Auf einmal steht er da. Derrick Leon Green, ein Kerl wie ein Baum mit endlos langen Dreadlocks und Kinnbart. Im Backstage-Bereich des Wacken-Festivals stellt sich der Sänger der brasilianischen Rockband Sepultura höflich in die Reihe, um seine Band anzumelden. "Wir haben den gleich erkannt", sagt Franz Schirotzek und seine Augen leuchten noch einmal vor Begeisterung auf. Sepultura! Im Backstage! In derselben Reihe! Und nicht zum Händeschütteln, sondern weil man sich kollegenmäßig trifft!
Auch Franz Schirotzek, sein Bassmann Jan Heinrich und Schlagzeuger Johannes Schöneburg sind schließlich nicht als Besucher auf das größte Heavy-Metal-Festival der Welt gereist, das jedes Jahr im Örtchen Wacken bei Itzehoe veranstaltet wird. Sondern um 75 000 Metallern mit ihrer Band F.D.J. mächtig einzuheizen. Das Erstaunliche daran ist einerseits, dass das Trio aus Querfurt es überhaupt zum Kulttreffen der Hartmetaller geschafft hat - eine Einladung zu bekommen, war bisher nur einer Handvoll Bands aus Ostdeutschland vergönnt. Das Besondere im Fall der Rocker aus dem Saalekreis ist aber noch: Franz, Jan und Johannes sind zwölf Jahre alt.
"Ich habe einfach eine DVD mit bisherigen Auftritten der Jungs an die Veranstalter geschickt", erzählt Kai Schirotzek, der Vater von Franz und Manager der Band. Zwei Tage später klingelte das Telefon und die Veranstalter des Wacken Open Air luden die Rock'n'Roll-Riesenzwerge ein, auf der sogenannten Wet-Stage aufzutreten, einem Zelt, von dem in den ganz heißen Konzertmomenten das Schwitzwasser von der Decke regnet. "Wir Eltern mussten unterschreiben, dass wir dabei sein werden", berichtet Jans Mutter Susann Heinrich vom Familienausflug, "aber das war ja gar keine Frage."
Schon gar nicht für Franz, der Gitarre spielt, seit er vier oder sechs war, so genau weiß er das selbst nicht mehr. "Am Anfang hatte ich noch so eine Holzgitarre", beschreibt er, "aber die ist für Hardrock und Metal nicht so gut." Und mit Metal - dem echten, harten Stoff, den Bands wie AC / DC, Kreator, Metallica und Green Day spielen - ist Franz aufgewachsen. "Wenn wir Auto gefahren sind, lief immer sowas", erinnert er sich. Wo Gleichaltrige für Teeniegruppen schwärmen, brennt das Herz des F.D.J.-Frontmannes für knallige Gitarrenriffs. Zwar sei das erste Lied, das sein Sohn auf der Gitarre spielen konnte, die Titelmelodie des Kinderfilms "Wilde Kerle" gewesen, sagt Kai Schirotzek. "Aber als er dann seine erste E-Gitarre hatte, gab es nur noch Metal."
Mit zwölf ist Franz schon ein gestandener Metaller. "Meine erste Band hatte ich mit meinem Cousin, da war ich acht", erinnert er sich im Stil eines Altstars, der auf eine lange Karriere zurückblickt. Irgendwie kam dann Jan dazu, der mit Franz in eine Klasse geht, passenderweise Bass spielt und dieselben Bands gut findet. Auch ein Schlagzeuger fand sich, der Dorian Neumann hieß, und mit Mike "Andrew" Andrae, dem Sänger der Querfurter Metalband Manos, sogar ein szenekundiger Musiklehrer. Einmal die Woche proben sie seitdem in einem kleinen Raum im Querfurter Europahaus, der vollgestellt ist mit Verstärkern, Kabeln, Notenständern, Drumsets und Boxen. An der Wand hängen Konzertplakate neben Kinderzeichnungen. Bierkisten und Aschenbecher dagegen fehlen selbstverständlich.
"Wir haben dann auch manchmal schon beim Karneval und so gespielt", sagt Jan Heinrich. Den Namen F.D.J. haben sie sich nicht gegeben, um an die Freie Deutsche Jugend der DDR zu erinnern. "Wir fanden es cool, wenn wir unsere Vornamen abkürzen und daraus unseren Namen machen", erzählt Franz. Wie bei allen großen Kapellen der Rockgeschichte wechselte aber natürlich irgendwann der Trommler. "Deshalb muss Johannes jetzt Der Johannes heißen", schmunzelt Jan Heinrich.
Richtig losgerockt haben sie mit neun zum ersten Mal. Musiklehrer Mike lud seine Schützlinge ein, bei einem Manos-Konzert das Vorprogramm zu bestreiten. "Die drei eint die Liebe zur Hard-Rock-Musik. Das ist in dem Alter schon merkwürdig, aber es passt", hat der gestandene Metaller beobachtet. Und er wurde nicht enttäuscht: Mit Songs von AC / DC rockten die jüngsten Hardrocker des Landes nicht nur die Manos-Fans, sondern später auch die Querfurter Oldienacht und das Campus-Fest in Nordhausen, wo schon ein paar tausend Leute vor der Bühne standen. Aber Lampenfieber kennt Franz nicht. Der Junge mit der Schüttelfrisur spürt allenfalls in den letzten paar Minuten vor einem Auftritt, wie das Adrenalin ins Blut schießt. "Sonst bin ich ganz ruhig und freue mich auf die Bühne." Konzerte sind immer cool, Wacken aber war am coolsten. Mächtige Metaller klopften ihnen vorher auf die Schultern, viel mehr Leute als sie erwartet hatten, pilgerten ins Wet-Zelt. "Ich habe dann mal kurz daran gedacht, ob auch alles klappt", sagt Franz, "dann standen wir draußen und haben gespielt."
Und wie. Die jüngste Band, die jemals ins Metal-Mekka eingeladen wurde, rockt mit dem AC / DC-Klassiker "TNT" los - ein Stück, das schon ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hatte, als Jan, Franz und Johannes geboren wurden. Der Frontmann röhrt ins Mikro auf dem ganz heruntergedrehten Ständer. Der Saal tobt. Beim Refrain singt das Publikum mit, Mähnenschütteln setzt bei "Breaking the Law" von Judas Priest ein und beim "Lied 23", das Franz damals in der vierten Klasse geschrieben hat, klatscht die Menge wie ein Mann.
So muss sich Ruhm anfühlen, auch wenn er bis auf den Schulhof in Querfurt noch nicht durchschlägt. "Die meisten bei uns in der Schule wissen das gar nicht", sagt Johannes, dem das eigentlich auch ganz recht so ist. F.D.J. müssen noch viel mehr üben und eigene Lieder schreiben, nicken sie alle drei. Ob es dann eine professionelle Rockkarriere wird, möchten Jan, Franz und Johannes noch nicht entscheiden. "Aber wir haben doch alle Zeit der Welt", beruhigt Franz.