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Integration Syrer in Deutschland: Aladin Nasr engagiert sich in Merseburg und lernt für seinen Traum

Von Silvia Zöller 21.08.2017, 09:58
Im Internationalen Frauencafé Merseburg betreut Aladin nicht nur Kinder, sondern hilft auch bei Deutschkursen.
Im Internationalen Frauencafé Merseburg betreut Aladin nicht nur Kinder, sondern hilft auch bei Deutschkursen. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Wenn Aladin Nasr am diesem Montag zum ersten Mal auf der Schulbank seiner neuen Klasse in Halle sitzt, ist das für ihn schon die Erfüllung eines großen Traums: Der 20-jährige Syrer darf seinen Realschulabschluss nachholen.

Was für andere Jugendliche und junge Erwachsene ein recht unspektakulärer Schritt wäre, ist für Aladin etwas ganz Besonderes. „Wegen des Kriegs in Syrien musste ich die Schule nach sechs Jahren verlassen. Ich will mich weiterbilden“, sagt der junge Mann, der Informatiker werden will.

Deutschkurs an Volkshochschule Halle

Dafür hat sich Aladin Nasr, der derzeit in Merseburg lebt, in den letzten Monaten schwer ins Zeug gelegt. Auf eigene Faust hat er einen ersten Deutschkurs bei der Volkshochschule besucht - das Warten auf einen Kurs dauerte ihm zu lange. „Die deutsche Sprache ist der Schlüssel für das Leben hier“, sagt er. Deshalb belegte er auch noch einen Fortgeschrittenenkurs, den er vor Kurzem bestanden hat.

Viel Zeit investierte er daneben in ehrenamtliches Engagement im internationalen Familiencafé der Netzwerkstelle des evangelischen Kirchenkreises Merseburg. Hier unterstützt er Flüchtlinge bei Deutschkursen oder begleitet sie als Dolmetscher bei Behördengängen. Dabei leistete Nasr auch in dramatischen Situationen Hilfe, etwa, als er bei einer Totgeburt im Krankenhaus für Landsleute übersetzte.

Syrer erhält Bürgerpreis der Mitteldeutschen Zeitung

Für sein Engagement ist der junge Syrer im Frühjahr mit dem Bürgerpreis „Der Esel, der auf Rosen geht“ der Mitteldeutschen Zeitung ausgezeichnet worden. Was für Aladin Nasr keineswegs ein Signal war, sich zurückzulehnen.

Im Gegenteil: Mit einem jungen Syrer hat er in den letzten Wochen täglich bis zu sechs Stunden Deutsch geübt, damit auch er die Aufnahmeprüfung für das Projekt „Loop“ in Halle besteht, bei dem er genau wie Nasr seinen Schulabschluss nachholen kann.

Bomben sind Alltag in Syrien

Was macht den 20-Jährigen zu dem zielstrebigen Menschen, der sagt: „Mir ist in Deutschland viel geholfen worden. Deswegen möchte ich auch etwas zurück geben“? Zwischen Bomben und Kriegsalltag konnte Aladin in seiner Heimat nur einen Hauptschulabschluss machen.

Ende 2015 floh er - damals gerade 18 Jahre alt - auf dem gefährlichen Weg über das Mittelmeer, um der Rekrutierung als Soldat in Syrien zu entgehen und wahrscheinlich zu sterben. „Es gab keine andere Möglichkeit“, sagt Aladin. Er ist dankbar, nun in Deutschland mit einer dreijährigen Aufenthaltserlaubnis zu sein, „in einem Land, in dem man in Frieden und Freiheit leben kann.“

Syrer möchte seine Familie nach Deutschland holen

Erstes Ziel ist für ihn nun, einen guten Realschulabschluss abzulegen. „Wenn ich nicht gut bin, hätte ich auch einfach so Arbeit suchen können. Wenn ich etwas von der Ausbildung haben will, strenge ich mich an.“ Deswegen hat er in den letzten Wochen auch viel Stoff gepaukt: Biologie, Mathematik, Englisch, alles, was seit dem letzten Schulbesuch schon ein wenig eingestaubt war.

Schon seit er Kind war, haben ihn Computer fasziniert: „Die habe ich wie ein Wunder empfunden“, sagt er. Deswegen ist auch eine Ausbildung zum Informatiker sein absoluter Wunschtraum.

Dahinter steckt aber noch ein weiterer Wunsch: Der, Geld zu verdienen und seine Eltern ebenfalls nach Deutschland zu holen. Auch wenn sowohl sein Bruder mit seiner Ehefrau als auch seine Schwester mit Familie in Merseburg leben und er beide jeden Tag besucht - Mutter und Vater fehlen ihm. „Es tut mir weh, dass sie so weit weg sind.“

Trauriges Zuckerfest am Ende der Fastenzeit

Weil er über 18 Jahre alt ist, seine Geschwister noch älter, ist eine Familienzusammenführung nicht möglich. Doch gerade die Familie ist im syrischen Lebensgefühl wichtig. Undenkbar, aber leider seit zwei Jahren Realität, war so für Aladin Nasr, dass er das Zuckerfest am Ende der Fastenzeit ohne die Eltern feiern musste. „Es macht mich so traurig, dass sie nicht da sind“, sagt Nasr.

Da hilft es ihm auch nicht, dass er jeden Tag per Telefon und WhatsApp mit seinen Eltern in Kontakt ist. Denn die Situation ist für sie nach wie vor schlecht: „Auch wenn sie in Damaskus leben, wo es ein wenig sicherer ist als in anderen Städten, ist die Lage dort kritisch“, sagt er.

Für Flucht aus Damaskus nach Deutschland 1.300 Euro bezahlt

Der Vater hatte einen Laden für Lampen und Möbel, der durch Bomben zerstört wurde. Dennoch hatte der 55-Jährige die 1.300 Euro gespart, die die Flucht des Sohnes nach Deutschland gekostet hat. Auch Nasrs Schwager hofft, bald eine Arbeit zu bekommen.

Er absolviert gerade einen Deutschkurs - die Voraussetzung dafür. Der gelernte Fotograf würde gerne wieder in seinem Beruf arbeiten, während Nasrs 29-jähriger Bruder noch einen Ausbildungsplatz als Friseur sucht.

Syrer fühlt sich in Merseburg wohl

Sicherlich liegt es auch an den engen Familienbanden und an seinem zweiten Zuhause, dem Merseburger Familiencafé, dass Aladin Nasr seine Umzugspläne über den Haufen geworfen hat. Eigentlich wollte er gerne nach Halle umziehen, weil die Kontaktmöglichkeiten auch zu Deutschen mangels Angeboten in Merseburg ziemlich beschränkt sind. „Ich möchte aber weiter Menschen hier in Merseburg helfen und für sie dolmetschen“, sagt er, allerdings unsicher. Denn ob das weiterhin klappt, ist fraglich, wegen der Schule.

„Das Wichtigste ist für mich jetzt, die Schule zu schaffen.“ Wie viel er dafür lernen muss, kann er jetzt noch nicht abschätzen. Doch das habe jetzt Vorrang. Auch wenn er nachdenklich wird, dass vielleicht auch die Zeit für das Ehrenamt knapp werden könnte. „Ich fühle mich einfach dann wohl, wenn ich Probleme für andere lösen kann“, sagt Aladin Nasr. Denn Hilfe, das weiß der 20-Jährige, brauchen viele Flüchtlinge nach wie vor. (mz)