Polonaise durch die Straßen
Merseburg/MZ. - Überall bildeten sich Trauben, wurden Erinnerungen ausgetauscht, oft war auch Wehmut im Spiel. Die Worte: "Weißt du noch..?" waren wohl die am häufigsten gebrauchten an diesem Tag.
Was die vielen ehrenamtlichen Helfer um die "Gagfah-Göre" Kristina Kliche da auf die Beine gestellt hatten, stellte so manchen Profi-Organisator weit in den Schatten. Zahlreiche Stände gab es, nahezu überall war etwas los. Kinderspiele, Basteltische mit Überraschungen wie Ballons mit Vanille-Durft, Plüsch-Tombola, Musik vom Jugendblasorchester und der Musikschule Fröhlich und noch vieles mehr.
Vor nahezu 80 Jahren war die Siedlung mit ihren 750 Wohnungen in vier Typen samt den dortigen neun Straßen entstanden. Sie bot vor allem kindereichen Familien von Industriearbeitern ein Zuhause, an das zahlreiche Fotos mit lachenden Kindern erinnerten. "Es war eine glückliche Zeit", so auch die einstige Lehrerin Kristina Kliche, die ihr Erinnerungsbuch an die Gagfah-Ära unentwegt signieren musste, bis es völlig ausverkauft war.
Dabei waren die Wohnungen so toll gar nicht gewesen. Fünf bis sieben Türen gingen rundum von Wohnzimmer ab. Fensterfront, daneben gleich der Balkon, an der einzigen freien Wand stand der Ofen. "Man konnte Möbel überhaupt nicht richtig stellen", erinnert sich Gagfah-Bewohner Eberhard Keck, der ebenso etwas wehmütig ihren Abriss bedauerte wie Heinz Krüger, der seine Kindheit hier verbrachte.
Sigrid Wagner hatte in der Marquardtstraße 18 eine Endwohnung mit Glasbalkon, "Das waren eigentlich vier schöne Räume", sagt sie rückblickend, "und der Hausmeister war ein Zerberus." Die Schlüssel zur Wohnung hat sie noch dank Rüdiger Schmidt, der alle eine Wochen lang sortiert hat und sie bei dieser Gelegenheit den einstigen Bewohnern als Andenken präsentierte. Bürgermeister Jens Bühligen (CDU) gab einen Ausblick auf die Standort-Zukunft: kein Einkaufsmarkt, die Alu-Folie mit ihren Werkhallen werde nicht vergrößert. Jeder, der wolle, könne hier Parzellen kaufen, Einfamilienhäuser sollen her. Hinter Schildern mit den alten Straßennamen versammelten sich dann viele einstige Bewohner um bei einem Rundgang durch die Siedlungsreste an früher zu denken. "Wir wollen aktiv Abschied nehmen und mit diesem Fest unsere Erinnerung behalten", sagte Kristina Kliche. Händels Feuerwerksmusik samt 80 Raketen krönten den unvergesslichen Tag.