Ohne Augenlicht und doch mitten im Leben
ZIEGELRODA/MZ. - Lange Zeit hatte Marlis Reinhardt die Tatsache verdrängt, dass ihr Augenlicht nach und nach verlöschen wird. "Ich war schon immer sehr kurzsichtig. Mit 16 habe ich dann Kontaktlinsen bekommen, so dass ich auch ganz gut damit zurecht kam", schildert die 52-jährige Querfurterin, deren Augenfehler auf einen Gendefekt zurückzuführen ist.
Einen Führerschein konnte sie bis zum Jahre 1994 nicht machen. Dazu reichte das Sehvermögen nicht. Aber dann setzte bei ihr, wie bei vielen anderen Menschen auch, die Altersweitsicht ein. Sie konnte wieder besser sehen und machte den Führerschein. Zwar musste sie alle zwei Jahre zu einem Sehtest, aber sie war nun mobiler. "Bis 1999 bin ich gefahren. Dann wurden die Augen wieder schlechter", erinnert sich die Finanzökonomin.
Die war 1956 in Querfurt geboren worden. Nach Abschluss der 10. Klasse erlernte sie den Beruf einer BMSR-Technikerin, dann schloss sich eine weitere Ausbildung zum Facharbeiter für Finanzwirtschaft an. Und 1992 beendete sie schließlich ihr Fernstudium. Sie war nun Betriebswirtin. Zwischenzeitlich hatte sie geheiratet und einen Sohn geboren, der heute 32 Jahre alt und von Beruf Kfz-Meister ist. Seit 1984 arbeitet Marlis Reinhard im Forstamt in Ziegelroda im Bereich Betriebswirtschaft. Ihr Mann Jürgen ist dort Lehrausbilder.
Und dort hat sie noch heute ihren Arbeitsplatz. Der unterscheidet sich eigentlich kaum von den Arbeitsplätzen anderer Betriebswirte. Und doch ist er so ganz anders. Marlis Reinhardt, nun fast völlig erblindet, arbeitet an einem PC, der mit ihr spricht. Und jedem Besucher führt sie gerne vor, wie sie daran arbeitet, erzählt, wie es ihr erging, nachdem die Augen immer schlechter wurden.
"Eine Augenoperation hätte mein Sehvermögen nicht unmittelbar verbessert. Also verzichtete ich darauf und verdrängte meine Zweifel. Dann wurde mir aber irgendwann bewusst, dass ich etwas tun muss, wenn ich weiterhin am Arbeitsleben teilnehmen will. Und das wollte ich ja unbedingt", erzählt sie. Sie setzte sich in Verbindung mit dem Integrationsamt in Halle und erfuhr, dass das Amt sehbehindertengerechte Arbeitsplätze fördert.
So kam Marlis Reinhardt 2002 zur ersten Sehbehindertentechnik an ihrem Arbeitsplatz im Forstamt, das die Wartung der Technik übernommen hatte. Mit dieser Technik (die Blätter wurden unter eine Kamera gelegt und vergrößert auf den Bildschirm übertragen) konnte sie nur noch bis 2007 arbeiten. Zwischenzeitlich beantragte sie beim Amt, dass ihr eine Arbeitsassistenz zur Seite gestellt werden sollte. So kam Kathrin Pönicke ins Spiel, die noch heute an Marlis Reinhardts Seite arbeitet, um ihr bei bestimmten Arbeitsabläufen helfend zur Hand zu gehen.
"Wir haben Marlis immer sehr bewundert und auch unterstützt", so Regine Schulz, die die Außenstelle Ziegelroda des Betreuungsforstamtes Naumburg leitet. Als es mit der Technik gar nicht mehr ging, setzte sich Marlis Reinhardt in Halle im Berufsförderungswerk für Blinde und Sehbehinderte auf die Schulbank und erlernte die Blindenschrift. Sie absolvierte ein Mobilitätstraining und gewöhnte sich daran, mit dem weißen Stock zu laufen. "Ich kann heute lesen, schreiben und so am beruflichen Leben gut teilnehmen", sagt sie voller Stolz. "Anfangs habe ich gedacht, ich schaffe das nie. Aber ich habe durchgehalten und nicht bereut, dass ich immer neu gelernt habe." Ihren Computer, den der Rententräger bezahlte, beherrscht sie bestens. Und wenn es wirklich mal nicht klappt, ist da immer noch Kathrin Pönicke.
"Man darf nicht den Kopf in den Sand stecken. Man muss sich kümmern und dran bleiben. Dann kann man auch als Mensch mit einer Beeinträchtigung gut leben. Und man muss eine Familie haben, die einem zur Seite steht", meint Marlis Reinhardt, die in ihrer Freizeit regelmäßig zum Line-Dance geht und im Blindenverband Querfurt aktiv mitarbeitet.