Nur wer sich selbst aufgibt, hat verloren
Merseburg/MZ. - Was für ihn das Schwerste ist? "Dass ich nicht mehr tanzen kann. Ich hab' früher wirklich gern getanzt", erzählt Stephan Freigang traurig. 1983 hat der 45-Jährige erfahren, dass er an Multipler Sklerose leidet, seit elf Jahren sitzt er im Rollstuhl.
Er weiß noch ganz genau, wie alles anfing, damals im September 1982. "Am 29. war ich noch ganz normal und am 30. bin ich rumgelaufen wie besoffen. Und ich hatte in der Nacht keinen Alkohol getrunken", erinnert sich Stephan Freigang, der im Mai '82 seine 18-monatige NVA-Zeit angetreten hatte. Ein Jahr und unzählige Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte sollte es dauern bis die Diagnose MS feststand. Als Maschinen- und Anlagenmonteur konnte er nie wieder arbeiten, doch seine Lust zu leben hat er trotzdem behalten. "Man darf sich nur nicht aufgeben, sonst hat man verloren."
Statt sich einzuigeln, suchte er 1985 Kontakt zu einer Gruppe, wo sich Behinderte treffen und lernte so seine Frau Annette kennen, die ein angeborenes Hüftleiden hat. Seit Jahren meistern die beiden nun schon ihr Leben mit viel Elan und für manchen vielleicht überraschender Fröhlichkeit.
Auch die Sprache verschlägt es Stephan Freigang so schnell nicht, höchstens - wie es ihm schon mal passiert ist - wenn er plötzlich mit seinem Elektro-Rolli mitten auf einer großen Kreuzung stehen bleibt. "Der Akku war kaputt, da konnte man nichts machen", lächelte er. "Da brauchte ich dann einfach jemanden, der Kraft hat und mich von der Straße ziehen konnte."
Dreimal täglich kommt mittlerweile der Pflegedienst des ASB zu Stephan Freigang. Mehrmals wöchentlich Physiotherapie und Training an Geräten - damit hofft der 45-Jährige, dass sein Körper so lange wie möglich im derzeitigen Zustand bleibt. Sein linkes Bein und sein linker Arm gehorchen ihm nicht mehr. "Aber wenn mich jemand festhält, kann ich noch stehen." Laufen? Fehlanzeige. Seit er 1997 seinen bisher schlimmsten Schub hatte, geht das nicht mehr. "Wenn man einen Schub hat, macht der Körper nicht mehr was er soll. Als ob man jede Macht über ihn verloren hat."
Aber aufgeben? Das gibt es weder für Stephan Freigang noch für seine Frau. Gemeinsam halten sie in Merseburg die Selbsthilfegruppe für MS-Kranke am Leben. "Bei unseren Mitgliedern äußert sich die Krankheit auf ganz unterschiedliche Weise", erzählt Annette Freigang. Der eine habe Schmerzen, der andere nicht. Der eine kann seine Beine nicht bewegen, der andere habe Sehstörungen. "Wir versuchen auch immer mal einen Arzt als Gesprächspartner einzuladen und das klappt auch, aber was wir eigentlich bräuchten, wäre ein fester Ansprechpartner unter den Medizinern. Das würde uns sehr helfen", wünscht sich die 51-Jährige. MS-Kranke, die nicht in der Lage sind öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, können sich kostenfrei vom ASB transportieren lassen - allerdings gilt das nur für 150 Kilometer im Jahr, die über ein Fahrtenheft abzurechnen sind. Annette Freigang: "Auch aus diesem Grund würden wir uns sehr über Sponsoren freuen, die unsere Gruppe vielleicht etwas unterstützen können."