Neuer Stadtratschef in Merseburg Neuer Stadtratschef in Merseburg: "Ich bin keine Ein-Mann-Show"

Merseburg - Diese vergiftete Gratulation hat Roland Striegel nicht gefallen. Der CDU-Landesverband beglückwünschte den 65-Jährigen in einem Twittertweet zu seiner Wahl zum Merseburger Stadtratsvorsitzenden, versehen allerdings mit dem Hinweis, dass er ja mit den Stimmen der AfD gewählt worden sei: „Diese Gelassenheit zum Umgang mit der AfD wünschen wir uns auch von anderen“, sendeten die Christdemokraten in die Netzwelt hinaus.
Tatsächlich votierten die AfDler im Stadtrat für den von der SPD/Grünen-Fraktion nominierten Striegel. Gedacht war dies aber als eine Retourkutsche gegen die CDU für eine gebrochene Absprache im Kreistag. Der neue Ratschef sagt daher: „Ich habe um diese Unterstützung nicht gebeten. Was mich politisch umtreibt, unterscheidet sich fundamental von dem, was ich in AfD-Schriften lese.“ Er habe eher damit gerechnet, dass die AfD die CDU-Kandidatin Susanna Weber unterstütze.
Was Striegel an dem CDU-Post auch gestört haben dürfte
Ironischerweise war es gerade der Umgang der Union in Magdeburg mit einem Denkpapier zweier Landtagsabgeordneten, die Striegel nach eigener Aussage, dazu bewogen hatte, dem Vorschlag seiner Fraktion zu folgen und sich zur Wahl aufstellen zu lassen. Die beiden CDU-Abgeordneten hatten gefordert, über Koalitionen von Union und AfD nachzudenken: „Ich fand es ärgerlich, dass da seitens der CDU der Eindruck erweckt wurde, lieber an der Seite der AfD unterwegs zu sein als in der jetzigen Koalition.“
Was Striegel an dem CDU-Post auch gestört haben dürfte, war die Form. Der Katholik ist zwar gelegentlicher Ironie oder kleiner Witze nicht abgeneigt, aber kein Mensch für Polemik. Im Gegenteil. Im Merseburger Stadtrat, in dem es auch mal hitziger zugehen kann, fiel Striegel bisher vor allem durch seine Ruhe auf. Seine Worte wählt er mit Bedacht. Im Gespräch lässt er zwischen zwei Sätzen auch mal einige Sekunden Denkpause verstreichen. Nachdem er zum neuen Ratschef gewählt wurde, reagierte er fast demütig: „Ich bin für dieses Amt nicht zwingend geboren, aber möchte mich der Verantwortung stellen.“
Mit 50 Jahren stellte sich der Merseburger erstmals erfolgreich zur Wahl für den Stadtrat
Ähnlich äußert er sich zu seiner politischen Vita. Mit 50 Jahren stellte sich der Merseburger erstmals erfolgreich zur Wahl für den Stadtrat. „Mein Sohn hat mich gefragt. Ich war am Anfang skeptisch. Aber es war interessant und es hat mich bisher nicht so abgeschreckt, dass ich hingeworfen habe.“ Sein Sohn ist eigentlich der bekanntere Politiker: Sebastian Striegel sitzt für die Grünen im Landtag.
Auch Striegel Senior kandidierte für die Grünen. Mitglied ist er jedoch nicht, möchte es auch nicht werden: „Ich will mich parteipolitisch nicht binden. Ich bin weltanschaulich dem Evangelium verbunden, aber auch allem, was unser Land weltoffen erscheinen lässt.“ Er stehe aber mit Sicherheit nicht für nationalistisches oder völkisches Gedankengut: „Das hat uns in der Geschichte nicht gut getan.“ Das heiße aber nicht, dass er nicht gern in Deutschland lebe.
„Viele wollen alles gleich, können nicht mehr den Ausgleich suchen.“
In der Gesellschaft sieht Striegel ein Problem: „Viele wollen alles gleich, können nicht mehr den Ausgleich suchen.“ Für diesen Ausgleich möchte Striegel in seinem neuen Amt stehen. Wie? „Ich will mich nicht von vornherein mit einem womöglich falschen Bild belasten.“ Das gilt auch für die AfD. Er wolle abwarten, wie die sich im Rat tatsächlich verhält. Striegel wünscht sich als Vorsitzender in Fraktionssitzungen eingeladen zu werden, um zuzuhören, wie Probleme diskutiert werden. Seine Botschaft an die Ratsmitglieder lautet: Über Offenheit und Austausch Kompromisse zu finden.
Striegel zeigt sich daher enttäuscht, dass sich die drei großen Fraktionen im Rat nicht im Vorfeld auf die Ausschussverteilung einigen konnten und gerade aus seiner Fraktion der Ruf kam, dass Los entscheiden zu lassen. „Das Ergebnis ist Zufall. Keiner der Beteiligten ist auf seiner Heimstrecke unterwegs. Es wird Kraft kosten, sich einzuarbeiten.“
Nach dem Losentscheid führt die AfD künftig den Finanzausschuss
Nach dem Losentscheid führt die AfD künftig den Finanzausschuss. Das Geld ist für Striegel der Knackpunkt für die nächsten Jahre. Seit langem kämpft die Stadt mit Sparmaßnahmen gegen ein Minus im Etat. Der neue Ratschef möchte aber dennoch an Dingen festhalten, die die Stadt vorzeigbar machen: Südpark, Bibliothek, Ständehaus.
Trotz seiner neuen, zeitaufwendigen Aufgabe wird Striegel ab Januar mehr Zeit für diese Kulturangebote haben. Dann geht er in Rente. Nach, wie er sagt, 50 Jahren im selben Betrieb. Der hieß erst Buna, heute Dow. Striegel kontrolliert dort die Bauten, um Mängel rechtzeitig zu erkennen und so größere Schäden zu vermeiden. Das klingt ein Stück weit nach der Aufgabenbeschreibung für den Stadtrat.
An dessen Spitze steht Striegel nicht allein. „Ich bin keine Ein-Mann-Show“, sagt der 65-Jährige und verweist auf seine Stellvertreterinnen Jutta Walther (Linke) und Susanna Weber. „Meinen Stellvertreterinnen ist es wichtig, im Rat Sachdiskussionen zu führen und sich mehr um die Ortsteile zu kümmern. Diesen Wunsch teile ich ausdrücklich“, sagt der neue Ratschef. (mz)