Merseburger Orgeltage Merseburger Orgeltage: Königs Knaben bei der Königin
MERSEBURG/MZ. - Wie sich die Zeiten ändern: Als Hans-Günther Wauer der Ladegast-Orgel des Merseburger Doms vor mehr als fünf Jahrzehnten eine verstärkte Wahrnehmung verschaffen wollte, musste die Lokalpresse die kirchliche Initiative zunächst mit Nichtachtung strafen - und die dringend nötigen Mittel für die Instandhaltung des Instruments ließen sich nur dank einer Intervention des auch als Organist berühmten Urwald-Arztes Albert Schweitzer beschaffen. Das Abschlusskonzert der ersten Orgeltage, als deren Veranstalter die Abteilung Kultur beim Rat des Kreises auftrat, wurde dann 1963 immerhin von Radio DDR mitgeschnitten.
Zur Feier des 40. Festival-Jahrgangs aber, dessen Zählung aus mehreren Pausen in den Anfangsjahren resultiert, überboten sich die Festredner nun mit Lob für das Programm - und ließen keine Zweifel an künftiger Unterstützung aufkommen. Da diese Anerkennung sowohl von Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Reiner Haseloff als auch vom Merseburger Oberbürgermeister Jens Bühligen und vom Domstift-Dechanten Georg Graf von Zech-Burkersroda kam, durfte sich der künstlerische Leiter Michael Schönheit in seiner Arbeit bestätigt sehen - zumal das Eröffnungskonzert hielt, was die Festredner versprochen hatten.
Dass der Choir of King's College aus Cambridge ein Garant für hohe Kunst sein würde, hatte man freilich schon vorher geahnt. Schließlich gehört der Knabenchor zu jenen Ensembles, bei denen sich jahrhundertelange Tradition mit stetiger Verjüngung verbindet - und ist im Vergleich zu deutschen Konkurrenten wie den Thomanern und Kruzianern auch noch sparsamer besetzt. Das sorgt für ein schlankes Klangbild, erhöht aber die Verantwortung des Einzelnen - und führt zwangsläufig zur Auswahl, die nur die Besten bestehen.
Im ersten Teil ihres Merseburger Programms reisten die Sänger durch ihre einheimische Musikgeschichte - von den Anfängen des 16. Jahrhunderts mit Christopher Tye und Thomas Tallis, deren liturgische Gesänge noch auf dem Fundament der Gregorianik gegründet waren, bis zu Spiritual-Intermezzi aus Michael Tippetts 1944 uraufgeführtem Oratorium "A Child of our Time". Die verbindende Qualität war dabei die Sicherheit und Balance, mit der die Stimmgruppen unter Leitung von Stephen Cleobury auch die komplexeste Polyphonie meisterten - und der professionelle Ernst, mit dem sich selbst der kleinste Sopran neben dem seriösesten Bass behauptete.
Dass die Choristen zudem Ausnahmetalente in ihren Reihen haben, die sich mit himmelhohen Vokalisen oder mit dramatischen Deklamationen gegen das Gesamtvolumen behaupten, bewies dann auch der zweite Konzertteil mit seinem ausschließlich deutschen Repertoire - wobei nicht zuletzt die lupenreine Artikulation in den Motetten von Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach Bewunderung verdiente. Ihr romantisches Klangideal aber konnten die Choristen des Königs - deren Vorfahren schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts für Heinrich IV. sangen - vor allem in den Werken von Brahms und Bruckner sowie in Felix Mendelssohn-Bartholdys "Ave Maria" verwirklichen. Dass dabei auch der Merseburger Königin nur eine dienende Aufgabe zukam, tat der Begeisterung des Publikums am Ende keinen Abbruch.
Sie wurde sogar noch gesteigert, als sich der einzige Instrumentalist des Abends verbeugte: Dem Organisten Ben San-Lau, der wie seine Mitstreiter in einer Cambridge-Uniform auftrat, die mehr als nur einen Hauch von Hogwarts verbreitete, hätte man den intelligenten und virtuosen Umgang mit dem Ladegast-Werk vom bloßen Augenschein wohl nie zugetraut. Bravo!