Mehr Zwillingsgeburten Mehr Zwillingsgeburten: Welchen Anteil die moderne Medizin daran hat

Merseburg - Behutsam hält Anja Milster auf der Neugeborenenstation des Carl-von-Basedow-Klinikums den kleinen Tim in ihrem Arm. Erst 15 Tage ist der kleine Mann auf dieser Welt und doch hat er das Herz seiner Mutter bereits voll und ganz erobert. Doch die Mutterliebe hat der Säugling nicht für sich allein, denn Tim hat noch einen jüngeren Bruder - seinen Zwilling Ben, der nur eine Minute nach ihm geboren wurde.
Mütter wie Anja Milster, die nicht nur eins, sondern gleich mehrere Kinder zur Welt bringen, sind im Merseburger Carl-von-Basedow-Klinikum keine Seltenheit. Ganz im Gegenteil: Im Vergleich zu früheren Jahren nimmt die Zahl der Mehrlingsgeburten zu, vor allem die der Zwillinge.
Deutlich öfter Zwillingsschwangerschaften
„Ich bin seit 32 Jahren im Dienst und habe auch festgestellt, dass wir über die Jahre deutlich öfter Zwillingsschwangerschaften haben als früher“, bestätigt Anita Schmitt von der Klinik für Geburtshilfe im Merseburger Krankenhaus. Allein seit 2012 erblickten in der Domstadt 51 Zwillinge das Licht der Welt, deutlich öfter als noch in den 70er oder 80er Jahren soll die Fallzahl jährlich im zweistelligen Bereich liegen.
Und damit bestätigt Merseburg auch einen deutschlandweiten Trend: Kamen im Jahr 2014 bei 13.270 der insgesamt 715.000 Geburten Mehrlinge, zumeist Zwillinge, auf die Welt, waren es 1975 bei gesamtdeutsch weit über einer Million Geburten nur 7.200, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen. Doch wie ist diese Entwicklung nur zu erklären?
Medizinischer Fortschritt
Gynäkologin Anita Schmitt glaubt weniger an die Evolution, eher an den medizinischen Fortschritt, der bei dem deutlichen Anstieg im Spiel ist. Die klar verbesserte Diagnostik helfe, Probleme frühzeitig zu erkennen und so mehrere Kinder gesund zur Welt zu bringen. Auf der anderen Seite hat sich jedoch auch eine moderne Reproduktionsmedizin entwickelt, die vielen kinderlosen Paaren oder sogenannten Spätgebärende heute zum Babyglück verhilft.
„Anders ist ja schon der Umstand, dass Paare, die nicht schwanger werden, sich heute früher Hilfe suchen“, sagt Schmitt. „Früher hat man ein oder zwei Jahre gewartet und probiert.“ Je nach Krankenkasse unterschiedlich stark gefördert, bietet die Medizin heutzutage diverse Verfahren, um Eizellen künstlich zu befruchten. „Um ganz sicher zu gehen, dass am Ende wenigstens ein Embryo heranwächst, werden stets mehrere Eizellen befruchtet“, erklärt Schmitt. Geht dabei alles gut, ist eine Mehrlingsschwangerschaft also programmiert.
Frauen später schwanger als einst
Außerdem werden Frauen später schwanger als einst. Viele entscheiden sich erst ab 30 Jahren für ein Kind. „Wie sich gezeigt hat, steigt aber auch die Wahrscheinlichkeit für Mehrlingsschwangerschaften mit höherem Alter“, erzählt die Gynäkologin. Aus dieser Entwicklung ergeben sich allerdings gleich zwei Haken.
Sowohl Mehrlingsschwangerschaften als auch Schwangerschaften im fortgeschrittenen Alter sind mit Risiken behaftet. So ist durch eine genauere Überwachung auszuschließen, dass sich aus der Schwangerschaft Risiken für das ungeborene Kind und die Mutter ergeben. „Die medizinische Begleitung einer Risikoschwangerschaft ist engmaschiger“, erklärt Schmitt. Unter Umständen sind zusätzliche Untersuchungen nötig. Auch die Gefahr von Frühgeburten steige sowohl im Alter als auch bei Mehrlingsschwangerschaften.
Intensivere Behandlung
Die Folge ist eine intensivere Behandlung. Mit Zahlen dokumentieren lassen sich die Kostenunterschiede jedoch kaum. „Von den Kassen wird nicht unterschieden zwischen einfacher Schwangerschaft und Mehrlingen“, erklärt etwa ein Sprecher der AOK in Sachsen-Anhalt. Es sei jedoch davon auszugehen, dass bei Mehrlingen mehr Geld im Spiel sei.
Gynäkologin Schmitt will sich mit der Kostenfrage gar nicht solange aufhalten. „Spontane Zwillingsschwangerschaften sind erst einmal etwas Schönes“, sagt sie. Das dürfte wohl auch die frischgebackene Mama Anja Milster so sehen, wenn sie beobachtet, wie sich Tim und Ben aneinanderkuscheln. (mz)