Kampfmittelbeseitigung Kampfmittelbeseitigung: Allein mit der Bombe
MERSEBURG/MZ. - Die darf bei uns gar nicht aufkommen." Aber es war, sagt er um 15 Uhr auf der Merseburger Mühleninsel, "nicht so schwierig wie befürchtet". Der Zünder der am Montag gefundenen englischen Zehn-Zentner-Bombe war zwar deformiert - laut Schwabe ein Zeichen dafür, dass dessen Gewinde beim Aufprall vor 65 Jahren gestaucht wurde und klemmen könnte. Nach einer Reinigung und mit Hilfe von etwas Öl "ließ er sich aber wunderbar herausschrauben." Es ist inzwischen die 33. Bombe, die Schwabe in seiner Karriere selbst entschärft hat. Und das glückliche Ende eines außergewöhnlichen Tages für die Stadt.
Mittwoch, 8 Uhr: Seit einer Stunde läuft die Evakuierung der Innenstadt. Der Markt wirkt gespenstisch. Polizeiautos und Krankenwagen kreisen, auf der Straße sind nur noch wenige Menschen. Die Merseburger wussten, was auf sie zukommt. 10 000 Handzettel sind am Tag zuvor in der Sperrzone verteilt, Einwohner per Lautsprecherwagen informiert worden. Jetzt stehen einige an einer Bushaltestelle und warten - betreut von der Feuerwehr - auf den Pendelverkehr, der sie zu den Evakuierungsstützpunkten bringt. Was sie bewegt? "Fragen Sie nicht. Ich habe mit 14 die Bombenangriffe hier erlebt", sagt eine Rentnerin mit vielsagendem Blick.
9 Uhr, Landkreisverwaltung im Schloss: Landrat Frank Bannert (CDU) sitzt in seinem Büro und sagt: "Das wird nicht die letzte Bombe gewesen sein." 90 Prozent des Saalekreises stehen unter Verdacht, kampfmittelbelastet zu sein. Diese Bombe aber ist eine besondere Herausforderung, sagt er. Rund 10 000 Menschen müssen das Zentrum verlassen, rund 170 per Krankentransport abgeholt werden. Die Bahnstrecke ist ab 14.30 Uhr ebenso zu sperren wie der Luftraum. Auch Bannert selbst wird kurz vor Mittag sein Büro räumen müssen
9.30 Uhr, Carl-von-Basedow-Klinikum: Die Evakuierung von Teilen der Klinik steht kurz vor dem Ende. 120 von etwa 650 Patienten werden innerhalb des Klinikgeländes verlegt. Unter ihnen die 85-jährige Ilse Zimmeck aus der Kurzzeitpflege. "Wir waren alle aufgeregt, hätte ja auch sein können, dass wir in einer Turnhalle landen", sagt sie. Statt dessen ist in der vierten Etage des Nachbar-Klinikbaus für sie und sechs andere Patienten ein Zimmer leergeräumt. Auf dem Tisch steht das Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, in den Fluren stehen zusätzliche Betten. Die Aufregung hat sich längst gelegt, sagt Kurzzeitpflege-Leiterin Susan Lathan.
10.30 Uhr: Der Markt ist inzwischen völlig menschenleer. Ein Polizist mahnt: "Eine halbe Stunde noch, dann müssen Sie hier raus sein." Ein Stück weiter muss eine Frau mit fünf Hunden überzeugt werden, ihre Wohnung zu verlassen. Zu ernsten Zwischenfällen kommt es nicht. Außerhalb der Sperrzone haben sich derweil rund 50 Menschen in einem DRK-Zelt am Einkaufszentrum Meuschau eingefunden. Weitere 180 sind in einer Schule und einem Leuna-Gebäude. Es sind diejenigen, die nicht bei Verwandten untergekommen oder zu Shopping-Touren aufgebrochen sind. Sie warten, versorgt mit Getränken und Snacks. Und mitunter mit einem mulmigen Gefühl: "Man hat schon im Hinterkopf, dass etwas schief gehen könnte bei der Entschärfung", sagt Erika Kremer (67).
14.53 Uhr, Einsatzstab in der Feuerwache: Seit 53 Minuten ist auch die B 181 gesperrt. Seit einer knappen halben Stunde hat Schwabe die Freigabe zur Entschärfung, als Landrat Bannert mit nach oben gestrecktem Daumen den Raum betritt. Schon wenig später, die Innenstadt beginnt sich zu füllen, geben Schwabe und sein Kollege Volker Gleitsmann am Bombenfundort Interviews.
Mehr als 200 Kilo Sprengstoff sind in der Bombe, sagt er. Bei einer Explosion hätte sie ein mehrere Meter tiefes Loch mit rund 25 Metern Durchmesser gerissen. Schwabe ist längst wieder entspannt. "Wenn man erst einmal weiß, was für einen Zünder die Bombe hat, wird man ruhiger", sagt er. Schwabe, seit 1977 mit Räumarbeiten beschäftigt und seit Mitte der 90er der Mann mit der Zange am Zünder, weiß um die Risiken seines Jobs. "Bei Langzeitzünderbomben ist man der erste, der weglaufen möchte", sagt er. Schwer zu entschärfen, mitunter tödlich, im Osten aber selten. Die Merseburger hatte einen mechanischen Zünder. Sie wird später im Depot im altmärkischen Hottendorf gesprengt.