1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Merseburg
  6. >
  7. "Es ist für alle schwierig": Integration in Merseburg: Wie die Albrecht Dürer-Schule Flüchtlingskinder integriert

"Es ist für alle schwierig" Integration in Merseburg: Wie die Albrecht Dürer-Schule Flüchtlingskinder integriert

Von Robert Briest 28.08.2018, 05:00
Bilal Tinawy soll als Integrationsbeauftragter auch Mahmoud und Walid (v.l.) helfen.
Bilal Tinawy soll als Integrationsbeauftragter auch Mahmoud und Walid (v.l.) helfen. Peter Wölk

Merseburg - Walid Alak hat ein klares Ziel: Er will auf das Gymnasium. Dafür, so räumt der 14-Jährige ein, dürfe er nicht so faul sein, wie im vergangenen Schuljahr. Sollte Walid sein Ziel erreichen, wäre das nicht nur für ihn ein Erfolg, sondern auch für das Bildungssystem ein Beleg, dass der Erfolg von Flüchtlingskindern funktionieren kann.

Denn der junge Syrer kam 2015 nach Deutschland – ohne Deutschkenntnisse. Seit etwas weniger als drei Jahren besucht er die Sekundarschule „Albrecht Dürer“ in Merseburg.

Flüchtlingskinder können oft kein Deutsch - und Sprachlehrer gibt es nicht mehr

Dort hat sich in dieser Zeit die Zusammensetzung der Schülerschaft deutlich verändert, wie Schulleiter Bernd Fröhlich berichtet. Von einer „Handvoll“ sprang der Ausländeranteil auf 15 Prozent. Für die Schule eine große Herausforderung – nicht zuletzt wegen der Sprachbarriere.

Nur die wenigsten Kinder aus Syrien oder Afghanistan sprachen schon Deutsch. Die Sprachlehrer, die das Land ursprünglich mal eingestellt hatte, um dieses Problem zu beheben, gibt es großteils seit anderthalb Jahren nicht mehr. Die Schulen mussten eigene Wege finden, es zu lösen.

So löst die Dürer-Schule in Merseburg das Sprachproblem

An der Dürer-Schule soll ein dreistufiges Kurssystem den Kindern helfen. Für Schüler, die weder lesen und noch schreiben können, gibt es einen Alphabetisierungskurs. Dafür hat Fröhlich mit Zusatzmitteln, die er als Ganztagsschule erhält, einen externen Lehrer angestellt.

Die beiden Fortgeschrittenenkurse geben Lehrer, hierfür nutzt der Schulleiter sogenannte Migrationsstunden, die das Land bei der Lehrerplanung berücksichtigt. Die Schüler werden für die Kurse für einzelne Stunden aus dem regulären Unterricht genommen. „Für den Wechsel in den nächsten Kurs oder in den Fachunterricht müssen sie einen von uns entwickelten Test bestehen“, erklärt Fröhlich.

Flüchtlinge in der Dürerschule: „Da prallen Kulturen aufeinander.“

Ziel sei es, dass die Schüler nach zwei Jahren in den Regelunterricht integriert seien. Bei manchen gehe das schneller, bei anderen dauere es länger.

„Die Jungs tun sich besonders schwer“, sagt der Schulleiter und sieht dafür mehrere Gründe. „Da prallen Kulturen aufeinander. Sie sind es nicht gewöhnt, sich von Lehrerinnen etwas sagen zu lassen.“ Auch würden sie mit den Eltern zu Hause kein Deutsch sprechen, weil die das gar nicht könnten.

Und manche Jungs hätten schlichtweg vorher noch nie eine Schule besucht. „Ich habe in Syrien die erste und zweite Klasse gemacht“, berichtet etwa der 13-jährige Mahmoud in gebrochenem Deutsch. Danach sei er aber vier Jahre nicht zur Schule gegangen. Erst seit er vor einem Jahr nach Merseburg kam, hat sich das geändert. Probleme mit Sprache und Unterrichtsstoff sieht er nicht, sagt er selbstbewusst.

Eine Selbsteinschätzung, die Fröhlich nicht teilt. Für ihn zählt Mahmoud eher zu den Schülern, die sich schwer tun, im Bildungssystem Fuß zu fassen.

Französischlehrer aus Syrien hilft den Kindern, wo er nur kann

In solchen Fällen soll Belal Tinawy helfen. Der Französischlehrer aus Syrien ist als Integrationsbeauftragter an der Schule, hilft im Deutschkurs oder beim Papierkram bei Neuanmeldung. Angestellt ist er nicht beim Land, sondern der Evangelische Kirchenkreis hat ihn vermittelt. „Nur mit der staatlichen Unterstützung wäre es schwer. Ohne Hilfssysteme würde es nicht funktionieren, die muss sich jede Schule selbst suchen“, resümiert Fröhlich.

Wie gehen die Schüler miteinander um?

Sein Integrationsbeauftragter soll auch helfen, Probleme der Schüler zu lösen. Spannungen gebe es immer mal, sagt Fröhlich, auch unter den Flüchtlingskindern. „Deutsche und ausländische Schüler müssen lernen, miteinander zu sprechen, Probleme friedlich auszutragen.“ In der Regel funktioniere das Miteinander aber gut. Wenn sich ein „Neuling“ offen gegenüber den Mitschülern zeigt, dann werde er auch aufgenommen.

Das schildert auch Walid. „Als ich ankam, haben mich alle akzeptiert, wollten Freunde sein.“ Heute hätten es Neuankömmlinge schwerer, findet der 14-Jährige, weil es auch „Ausländer“ gebe, die viel „Scheiße bauen“. Als Grund für deren Verhalten sieht Walid Frustration. Sie würden beim Lernen nicht mitkommen, wollten dies aber nicht zeigen und machten dann auf cool.

Flüchtlingskinder in Merseburg: Nicht jeder schafft den Hauptschulabschluss

Als Gradmesser für den Lernerfolg steht in der Regel der Schulabschluss. „Damit ist es aber nach wie vor schwierig“, räumt Fröhlich ein. Ein Hauptschulabschluss sei möglich, wenn sich die Schüler anstrengen. Entscheidender Faktor ist jedoch das Alter, mit dem sie ins System einsteigen: Wenn die Schüler mit zehn, zwölf Jahren kommen oder vorher schon auf der Grundschule waren, stünden die Chancen auf einen Abschluss gut. „Wenn sie erst später kommen, haben sie wegen der Sprachbarriere kaum Chancen. Sie bekommen dann nur ein Schulabgangszeugnis.“

Damit könnten sie nicht zur Berufsschule oder nur ins berufsvorbereitende Jahr. Doch hier bestehe das Problem, dass viele Betroffene dann schon 18 seien, ihre Schulpflicht absolviert hätten. Fröhlich wünscht sich daher, dass die Regelungen gelockert würden, sie dennoch in das berufsvorbereitende Jahr dürften. „Vielleicht wäre es auch möglich, dass man an der Abend- oder Volkshochschule spezielle Kurse für Schüler anbietet, die ohne Abschluss aus der Schule kommen.“ Ohne Schulabschluss ist ein Ausbildungsplatz die Ausnahme.

„Es ist ein langer Weg“, resümiert Fröhlich. Das „Wir schaffen das“ beziehe er eher auf einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren. Dann sei der Flüchtlingsstrom ein Gewinn, weil eben viele junge Leute kommen. „In der Kürze ist es aber für alle schwierig.“ (mz)