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Hallesches Original Zither-Reinhold Hallesches Original Zither-Reinhold: Pferdeäpfel im Leierkasten

Von Detlef Färber 07.05.2016, 13:00
Ein noch etwas jüngerer Reinhold Lohse - möglicherweise mit seiner Mutter zu Hause in Glaucha.
Ein noch etwas jüngerer Reinhold Lohse - möglicherweise mit seiner Mutter zu Hause in Glaucha. Archiv

Merseburg/Halle (Saale) - Viele verbinden es ja eher mit Berlin, jenes Instrument, das wie ein Kleinmöbel auf Rädern wirkt. Die Rede ist von der Drehorgel. Doch die musikalische Truhe, deren Bedienung idealerweise von Leuten mit Entertainer-Qualitäten übernommen wird, hat auch im mitteldeutschen Raum eine große Tradition: Noch dazu eine, die bis heute fortlebt, wenn man bedenkt, was lange Jahre so bekannte Akteure wie Drehorgel-Mucky aus Merseburg, Drehorgel-Rolf aus Halle oder Karlheinz Klimmt und andere mehr auf diesem Gebiet geleistet haben oder noch leisten.

Zither-Reinhold war Leierkastenspieler

Doch nun stellt sich heraus, dass auch Halles wohl bekanntestes, beliebtestes und bei vielen Älteren noch immer unvergessenes Stadtoriginal, nämlich Zither-Reinhold, ursprünglich auch einer war aus der Riege derer, die volkstümlich als Leierkastenspieler bezeichnet werden.

Der Mann, der an diese völlig vergessene Tatsache erinnert, ist ein später Kollege: Joachim Bunk aus Merseburg, der sich bei der Ausübung seiner musikalischen Leidenschaft Drehorgel-Mucky nennt. Doch obwohl der inzwischen 71-jährige Bunk den Zither-Reinhold genannten Reinhold Lohse (1878 bis 1964) auch noch selber gekannt und lebendige Erinnerungen an ihn hat, weiß er von Reinholds musikalischer Vergangenheit an der Drehorgel nur aus zweiter Hand, nämlich von Rolf Nilius, einem einstigen halleschen Drogisten und Hobby-Musiker, der seine Erinnerungen an Reinhold aufgeschrieben und die Aufzeichnungen an Bunk übergeben hat.

Und daraus komplettiert sich nun das Bild jenes Mannes, Straßenmusikers und - ja - auch Bettlers, dem in Halle als wohl einzigem dieser Zunft weltweit im Jahr 2002 ein Denkmal gesetzt worden ist: der wunderbare Zither-Reinhold-Brunnen am Boulevard von Bildhauer Wolfgang Dreysse.

„Er hatte es um 1930 schon zu einem eigenen Leierkasten gebracht“, schreibt Nilius mit Blick auf Reinhold und seine eigene Kindheit. Reinhold sei „öfter in unserem Grundstück aufgekreuzt“ und habe ein Hofkonzert veranstaltet. Zehn bis zwölf Schekser und Ischen (Jungen und Mädchen) hätten im dabei zugehört. Doch leider nicht nur das: In dem Häuserkarree im Ostviertel, wo Nilius’ Vater eine Kupferschmiede betrieb, kam es zu einem Kinderstreich, der dem Hallenser noch Jahrzehnte in Erinnerung blieb. Während Reinhold bei einem Hofkonzert die Kinder auch mal auf seiner Orgel spielen ließ, ging er ins Haus, wo Nilius’ Oma dem geistig zurückgebliebenen Reinhold einen Kaffee kochte und ihm Stullen schmierte.

Pferden Musik vorgespielt

Doch - wie Rolf Nilius viel später schrieb  - hätten sie als Kinder die Orgel dann mit in den Hinterhof genommen, wo ein Hufschmied ansässig war. Den dort zu beschlagenden Pferden habe man „etwas Musik vorgespielt“. Dabei sei dann „einer von uns Wänstern“ auf die Idee gekommen, einige Pferdeäpfel in die Drehorgel zu schmeißen, wonach man dann natürlich kaum mehr saubere Töne hören konnte, als Reinhold - frisch gesättigt - auf den Hof zurückkam und weiterspielen wollte.

Die gleiche Geschichte, die Nilius niederschrieb, wurde der MZ übrigens von dem 94-jährigen Hallenser Werner Doß erzählt, der selbst dabei war. Nilius’ Vater habe, so schrieb dessen Sohn, dann mit geschickten Handgriffen die Orgel gereinigt und den verärgerten Reinhold mit einem 20-Mark-Schein besänftigt. Was nichts daran änderte, dass Reinhold mit folgenden Worten verschwunden sei: „In das Haus gomme ich nich widder, schade, weil’s hier so scheen’ Gaffee jibd“!

Doch auch später sollte der künftige Zither-Reinhold wenig Glück mit seiner Drehorgel haben, die ihm der Orgelbauer Franz Hartung übrigens oft gratis repariert hatte. Am Ende waren es Studenten, die dem Leierkasten-Reinhold einen noch böseren Streich spielten und seine Orgel in die Saale warfen.

Doch fand sich danach - wie so oft bei Reinhold - ein Hallenser, der ihm gewogen war und ihm eine Zither schenkte.

Damit fing alles an. (mz)

Drehorgel-Mucky bei einem seiner Auftritte.
Drehorgel-Mucky bei einem seiner Auftritte.
Peter Wölk
Der „echte“ Reinhold vom Brunnen
Der „echte“ Reinhold vom Brunnen
Günter Bauer