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"Er ist der Vater Deutschlands" "Er ist der Vater Deutschlands": Die Rolle Heinrichs II. und Merseburgs im Mittelalter

07.05.2015, 06:00
Heinrich II. und Merseburg - eine innige Beziehung. Der König ist auch im Merseburger Dom abgebildet.
Heinrich II. und Merseburg - eine innige Beziehung. Der König ist auch im Merseburger Dom abgebildet. Wölk Lizenz

Merseburg - Stefan Weinfurther ist ein renommierter Mittelalterforscher und unter anderem als Experte aus der ZDF-Reihe „Die Deutschen“ bekannt. Felix Knothe sprach mit ihm über die Schlüsselfigur des bevorstehenden Domjubiläums König Heinrich II. (ca. 973 bis 1024) und über die Rolle Merseburgs damals und heute.

Herr Weinfurther, warum muss uns Heinrich II. heute noch interessieren?

Weinfurther: Heinrich II. ist so etwas wie der Vater des frühen Deutschland. Er hat vor nunmehr eintausend Jahren das ostfränkische Reich, das später Deutschland ausmachen sollte, zum ersten Mal so gefestigt, dass man von einer wirklichen Einheit der Völker, Stämme und Regionen sprechen konnte. Ähnlich wie Karl dem Großen ging es ihm um die innere Festigung des gesellschaftlichen und politischen Systems, und zwar mit Hilfe von Religion und Kirche sowie durch moralische und rechtliche Grundsätze.

Also statt Trennung von Staat und Kirche deren Einheit?

Weinfurther: Die Kirche war damals die einzige Institution, die über Stämme oder Adelsverbände hinweg wirkte. Heinrich hat dieses Verbindende erkannt und für die Reichseinigung genutzt. Er hat mit der Kirche eine Interessensgemeinschaft gegründet.

Wie sah das Reich denn vorher aus?

Weinfurther: Vorher war es stark von den einzelnen Stämmen geprägt, den Bayern, den Franken, den Alemannen, den Sachsen und so weiter. Das war ein zergliedertes System, in dem in weiten Teilen der König überhaupt keine Macht hatte. Es gab keine Einheit, keine innere Festigkeit. Seine Vorgänger, die ottonischen Kaiser, hatten z.B. in Bayern so gut wie keinen Einfluss. Erst Heinrich II. hat die Herzöge entmachtet und die Stämme im Reich vereint.

Heinrich II., der erste Reichsgründer, der Bismarck des Mittelalters?

Weinfurther: In der Forschung herrscht in der Tat die These vor, dass unter Heinrich II. der Beginn Deutschlands, aber auch Frankreichs anzusiedeln ist. In diese Zeit fallen auch die Ursprünge anderer europäischer Nationen, wie Polen oder Ungarn. Das spätere Staatensystem, das später Europa ausmacht, ist zu Zeiten Heinrichs II. erstmals zu erkennen.

Welche Rolle hat Merseburg dabei gespielt?

Weinfurther: Merseburg war damals ein bedeutender Ort des sächsischen Stammes. Unter Heinrich II. erlangte er sogar eine ganz besondere Bedeutung. Hier ließ er sich von den sächsischen Großen 1002 als König anerkennen, was ihn nach seiner umstrittenen Krönung letztlich legitimierte. Zentral aber ist die Figur des heiligen Laurentius.

Ihn rief Otto der Große (912-973) am Laurentiustag (10. August) 955 an, dem Tag der Schlacht gegen die Ungarn auf dem Lechfeld bei Augsburg, die er dann gewann. Laurentius stieg damit zum ganz speziellen „Reichsheiligen“ auf.

Zum Dank dafür hat Otto der Große das Bistum Merseburg gegründet. Sein Sohn, Otto II., hat es dann wieder aufgelöst, aber vielen in der kirchlichen und weltlichen Elite war gar nicht wohl dabei. Wenn man den Retter des Reiches, Laurentius, dermaßen brüskiert, könne das für das Reich böse enden, war damals die Vorstellung. Heinrich II. will das wieder in Ordnung bringen. Für ihn ist das eine wichtige Angelegenheit. Er braucht diesen Reichsheiligen, um das Reich zu einen. Also braucht er Merseburg.

Nächste Woche jährt sich die Grundsteinlegung für den Merseburger Dom zum 1000. Mal. Welche Rolle spielt er in diesem Plan?

Weinfurther: Zu einem Bischofssitz gehört ein Dom. Zu dieser Zeit werden überall neue Dome im Reich und in der Christenheit errichtet. Sie gehören zum Selbstverständnis der Bischöfe, die jetzt zu leitenden Mitgliedern der Elite des Reiches werden. Heinrich II. regiert mit den Bischöfen, weniger mit den Grafen oder Herzögen.

Dome werden so auch zum Mittelpunkt des königlichen Agierens, der königlichen Herrschaft. Deshalb sind sie prächtig und groß, wie der in Merseburg, aber auch der in Mainz, in Speyer oder in Bamberg, die alle in dieser Zeit um die Jahrtausendwende oder kurz danach entstehen.

Heute ist Merseburg von diesen Städten sicherlich die kleinste. Trotzdem: Wie könnte Merseburg noch mehr aus dem Jubiläum machen?

Weinfurther: Merseburg hat eine große Geschichte. Heute mag es in der Wahrnehmung zwar nicht mehr vorne liegen. Also muss man überlegen, wo die Schätze liegen. Allein die wunderbare Grabplatte Rudolfs von Rheinfelden, die im Dom liegt, ist eine Sensation. Das könnte man sicherlich noch anders vermarkten. Ich war bereits kurz nach der Wende im Dom. Da konnte man unmittelbar an die Grabplatte herangehen, konnte mit der Hand darüberstreichen.

Für mich ein unvergesslicher Moment. Diese Grabplatte ist ein Kunstwerk höchster Ordnung. Einmalig in Deutschland. Solche Kostbarkeiten könnte man vielleicht in ihrer Bedeutung noch deutlicher machen. Hier in Heidelberg oder in Mainz wird das leider gar nicht so deutlich wahrgenommen, welche Schätze Merseburg birgt.

Nebenan bewirbt sich Naumburg um den Welterbetitel, aber Merseburg steht nicht auf der Liste.

Weinfurther: Ich glaube nicht, dass man heute noch Dome auf die Welterbeliste der UNESCO bringen kann. Da gibt es einfach schon zu viele, und die entsprechenden Gremien wie ICOMOS richten den Blick inzwischen stark auf andere Kontinente und in andere Epochen. Ich will nicht sagen, es ist unmöglich, aber es wird schwierig.

Ich wünsche natürlich alles Gute und würde mich sehr freuen, denn aus meiner Sicht gehört der Merseburger Dom zu den Kostbarkeiten ersten Ranges.  

Der Historiker Stefan Weinfurther
Der Historiker Stefan Weinfurther
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