Endlich Muße für die Sonnenliege
BAD LAUCHSTÄDT/MZ. - Wenn er an die kommenden Tage denkt, befällt Pfarrer Bernd Rudolph aus Bad Lauchstädt ein seltsames Gefühl. Am Freitag steht ein Jubiläum ins Haus, mit all den Konsequenzen, die ein 65. Geburtstag mit sich bringt: Gratulanten, Glückwünsche, mehr oder weniger lange Ansprachen und eine Gästeschar, die ihn wohl den ganzen Tag in Atem hält. Zwei Tage später fahren die Emotionen erneut Achterbahn: Am Nachmittag des 4. Juli feiert er mit der evangelischen Gemeinde in der Stadtpfarrkirche seinen Abschiedsgottesdienst.
Und ab Montag dann Ruhestand? Er lacht und Frau Johanna schmunzelt: "Das wird wohl eher ein Un-Ruhestand." Der Abschied kommt nicht plötzlich, war lange geplant. Bernd Rudolph hat die Zeit genutzt, sich darauf vorzubereiten. Nachdem vor Monaten bereits die Entscheidung getroffen war, weiter in der Goethestadt bleiben zu wollen, ging die Familie auf Wohnungssuche.
Inzwischen wurden die Möbel die Treppen im Pfarrhaus herunter und im neuen Heim wieder heraufgetragen, die Kisten ein- und ausgepackt. Auf der sonnigen Terrasse warten zwei Liegestühle - die ersten überhaupt, die Rudolphs gekauft haben. Sie sind so etwas wie ein Symbol für die kommende Zeit. "Ich hab mir nie getraut, auf der faulen Haut zu liegen", gesteht der Pfarrer. Das will er nun genießen. Ohne ein schlechtes Gewissen, das ihm die lange Liste dringend zu erledigender Sachen ins Ohr wispert. . .
Er ist ein disziplinierter Mann, der aber froh ist, jetzt auch loslassen zu dürfen. Bernd Rudolph wuchs in Zwickau in Sachsen in einer christlichen Familie auf. Die Geborgenheit, die er in der Jungen Gemeinde und im Kirchenchor fand, bestimmte seinen Berufswunsch: Pfarrer wollte er werden. Doch nach der 10. Klasse lernte er erst einmal Karosseriebauer und studierte dann an der kirchlichen Hochschule in Leipzig. 1980 trat er, inzwischen längst verheiratet, seine Pfarrstelle in Querfurt an. Hier blieb er 23 Jahre.
Zahlreiche Erinnerungen haben sich eingeprägt aus jener Zeit. Unvergessen sind die Spätsommer- und Herbsttage 1989, als sich immer mehr Leute jeden Freitag zur Bürgerversammlung im Gemeinderaum trafen. Er denkt an die Friedensgebete, die Diskussionen, die Kontakte mit dem damals verbotenen Neuen Forum, die Ängste auch, dass etwas passieren könnte. Und an die Freude, als die Grenzen geöffnet worden. Erst zehn Jahre nach der Wende haben Rudolphs ihre dicken Stasi-Akten angesehen. Dass sie "gut bewacht" worden waren, wussten sie - persönliche Enttäuschungen blieben zum Glück erspart.
Als der Querfurter Pfarrer 2003 überraschend nach Bad Lauchstädt wechselte, nahmen ihm das einige übel. Inzwischen, lächelt Bernd Rudolph, sei das Verhältnis "herzlich". In der Goethestadt haben er und seine Frau Wurzeln geschlagen, haben ihren Freundes- und Bekanntenkreis. In der Kirche wird er also öfter zu sehen sein, auch auf der Kanzel. "Gottesdienst halte ich noch, aber keine Amtshandlungen mehr", sagt er. Er spielt weiter im Posaunenchor, will sich künftig stärker dem Gesang widmen. Dann warten noch Stapel ungelesener Bücher und vielleicht erwacht auch das Interesse am Malen und am Puppenbasteln wieder? Denn im Liegestuhl wird Bernd Rudolph es kaum stundenlang aushalten.