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Dörfer in Not Dörfer in Not: Orte ohne Kinder?

Von Felix Knothe 13.02.2014, 20:39
Einsam steht ein Klettergerüst auf dem Dorfplatz in Kauern. Dennoch: Kinderlos, wie die Statistik sagt, ist das Dorf mitnichten.
Einsam steht ein Klettergerüst auf dem Dorfplatz in Kauern. Dennoch: Kinderlos, wie die Statistik sagt, ist das Dorf mitnichten. Vincent grätsch Lizenz

Bad Dürrenberg/Leuna/MZ - Die Statistik lügt. Florian fehlt. Er ist sieben Jahre alt und wohnt in Kauern, einem kleinen Dorf mit 135 Einwohnern, das zu Bad Dürrenberg gehört, kurz vor der Landesgrenze zu Sachsen. Im vergangenen Sommer ist Florian in die Schule gekommen. Doch da ist diese Null auf dem Papier. Laut Statistik des Saalekreises ist schon seit drei Jahren kein Kind aus Kauern mehr in die Schule gekommen. Und es wird theoretisch auch nie wieder ein Kind aus Kauern in die Schule kommen. Nullen bis zum Ende. Kauern ist nicht das einzige Dorf im Kreis mit lauter Nullen. Es hat sogar ganz schön viel Gesellschaft. Die Prognose reicht bis ins Jahr 2025, und die Null streitet sich mit der Eins, wer die häufigste Zahl ist. Wenn zwölf, 13, 14 Jahre lang in einem Dorf praktisch keine Kinder geboren werden, dann geht es ihm schlecht, dann stirbt es aus. Soweit die Statistik.

Es sind vor allem die Ränder des Kreises, an denen bedrohte Orte liegen. Hier eine Auswahl der Dörfer, für die die Kreisschulstatistik so gut wie keine Schüler mehr prognostiziert: Allein in Querfurt trifft es zum Beispiel Grockstädt, Kleineichstädt, Pretitz, Spielberg, Vitzenburg und Zingst. In Zscherben (zu Merseburg) ist zwischen 2007 und 2025 nur ein einziges Schulkind (2009) gelistet. Auch für Neumark-Nord (Braunsbedra) oder Wüsteneutzsch, Thalschütz, Göhren, Zschöchergen und Witschersdorf (alle Leuna) werden extrem wenige Kinder prognostiziert. (xkn)

Möritzsch, 66 Einwohner, Altersdurchschnitt 52 Jahre. Das ist sehr hoch. Statistisch gesehen, kommt hier noch ein Kind pro Jahr in die Schule, doch ab 2020 soll auch hier Schluss sein. „Sie wollen was über Möritzsch wissen? Rufen sie am besten Klemm, Karl-Heinz, an“, sagt Andreas Stolle. Das Dorf gehört zu Kötschlitz, und das gehört zu Leuna. Stolle ist der Ortsbürgermeister vom größeren Kötschlitz. Kötschlitz hat derzeit statistisch eine Acht, das ist gerade so okay.

Seit Jahrhunderten im Dorf

Wie Kauern liegt auch Möritzsch an der Landesgrenze. Es sind ein paar Dutzend Häuser zwischen dem Einkaufspark Günthersdorf und der A9. Karl-Heinz Klemm ist 60 und hier aufgewachsen. „Wir sind eine gewachsene Dorfgemeinschaft“, sagt er. „Viele Familien leben seit Jahrhunderten im Dorf. Aber vor zehn Jahren dachten wir noch, unser Dorf stirbt aus.“ Doch das Blatt habe sich gewendet. Inzwischen gebe es da auch wieder ein paar junge Familien im Dorf, auch mit Kindern. Inzwischen sei Möritzsch fast ein Geheimtipp. „Gute Anbindung, der Einkaufspark vor der Nase, die Autobahn, zwei große Städte in der Nähe, der Flughafen, und trotzdem herrliche Natur“ - Klemm klingt fast wie ein Immobilienmakler. Möritzsch habe alles, was junge, berufstätige Familien suchen. Klemm glaubt an die Zukunft.

Doch Wissenschaftler wie der Sozialgeograf Klaus Friedrich von der Uni Halle sehen kaum Grund für Optimismus. Der Trend ist eindeutig. „Die statistische Null geht in den meisten Fällen sicherlich in Ordnung“, sagt Friedrich. Für eine gesunde Entwicklung der Dörfer sei die Geburtenrate einfach zu niedrig, und wegen des Geburtenknicks nach der Wende fehle heute schlicht mehr als die Hälfte einer Elterngeneration, in den Dörfern stärker als in den Städten. Und ohne Eltern nicht genug Kinder.

Es geht um jeden Schüler

Die Statistik des Kreises ist Grundlage für die Schulplanung. Wenn sie nicht stimmt, auf welcher Grundlage steht die Planung dann eigentlich? Die Verwaltung hat die Prognose selbst erstellt, denn bis in die einzelnen Dörfer hinein differenziert das Statistische Landesamt nicht. Und die Einwohnermeldeämter haben zwar die Ist-Zahlen, aber keine eigenen Prognosen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sich die Prognose je nach Zu- oder Wegzug verändere, heißt es vom Kreis. An Florians Schule im benachbarten Tollwitz geht es dennoch bald um jeden Schüler. Das Aus droht, seit die Mindestschülerzahl vom Land hochgesetzt wurde.

Vielleicht sind Florian und seine Eltern also gerade rechtzeitig nach Kauern gezogen. Mutter Mandy Uhlig ist aus Bad Dürrenberg, doch die Ruhe in Kauern, die Natur, die Freiräume für Florian zum Streunen und Spielen haben sie und ihren Mann überzeugt. Und sie wollen noch ein zweites Kind. Zwei Häuser weiter wird gebaut. Hier wird Ronny Bachmann mit seiner Familie demnächst einziehen. Seine zwei Kinder sind drei und gerade ein halbes Jahr alt. Wenn sie in die Schule kommen, werden auch sie die Statistik Lügen strafen.