Der große Traum vom Fliegen
Halle/MZ. - Nach Merseburg? Wer so fragt, weist sich gegenüber Schönau als Mensch mit Luftfahrt-Unkenntnis aus. Was allerdings gar nicht so schlimm ist. Denn dann kommt der inzwischen 70-Jährige in Fahrt und sein Redefluss kennt Quelle und Zuflüsse, aber keine Mündung.
Seit 70 Jahren nämlich hat die Stadt Merseburg mit Flugzeugen zu tun. Hier gab es große Militärflugplätze - zuletzt von den Russen. Und hier wurden sogar Flugzeuge - zum Beispiel von Junkers - gebaut. Hier gab es Raum und Platz, um Luftfahrzeuge in einem Museum zu zeigen.
Mitte der 90er Jahre lernte Schönau mit Steffen Hackenschmidt einen Flugzeugenthusiasten aus Beilrode bei Torgau in Sachsen kennen. Der wollte in Leipzig ein Luftfahrtmuseum aufbauen. Der Plan scheiterte, aber man war dem Gelände in Merseburg schon sehr nahe gekommen. Die Russen waren abgezogen, alles stand leer. Und vermutlich war das Bundesvermögensamt ganz froh, die riesige Flugzeughalle sowie 61 000 Quadratmeter Gelände verpachten zu können.
"Es waren ideale Bedingungen", erinnert sich Schönau. Dennoch musste viel investiert werden. Dow Chemical legte 140 000 D-Mark hin, Lotto kam mit 50 000. Es gab Fördermittel und bis heute lobt Schönau die gute Unterstützung vom Arbeitsamt, nennt Stichworte wie ABM und Ein-Euro-Job. Nicht zuletzt steckt im Museum unendlich viel ehrenamtliche Arbeit der 48 Mitglieder des Museumsvereins, allen voran Schönau.
60 Luftfahrzeuge stehen in der Halle und auf dem Freigelände. Allein eine kleine Aufzählung der Typen und Fabrikate liest sich wie das Who-is-Who der Luftfahrtindustrie: IL 62, AN 2, F 104 Starfighter, Mig 21, Me 163, Fokker, Dornier . . . Das meiste davon sind Dauerleihgaben des Bundes-Luftwaffenmuseums Berlin-Gatow.
Gut zwei Dutzend Sattelschlepperfahrten waren nötig, um 1996 / 1997 alles von Köln nach Merseburg zu bringen. Ungezählt sind die Fahrten, die Schönau selbst mit seinem Auto und Pkw-Anhänger zwischen Rhein und Saale pendelte. 1997 wurde der erste Teil des Museums in Merseburg eröffnet. Ein Jahr später die Gesamtanlage.
Als Sechsjähriger verlor der gebürtige Erfurter Dieter Schönau sein Herz an alles, was durch die Lüfte fliegt. "Der Mann einer Cousine war Jagdflieger und ich durfte mit zu einer Flugvorführung", erzählt er. Da war es nur noch eine Frage des Alters, bis er seinen Pilotenschein machte und auch das Ballonfahren zu seinem Hobby erkor. 1978 setzte eine Verletzung bei einem Autounfall für den gelernten Fleischermeister den Schlusspunkt unter die eigene Fliegerei.
Doch die Begegnung mit dem Fliegerarzt, der ihn damals untersuchte, sollte sich als Glücksfall erweisen. Vor zwei Jahren vermachte Dr. Manfred Steffen dem Merseburger Museum seine komplette Fliegerarzt-Praxis. Für Schönau ein eben solcher Volltreffer wie die Einrichtung des alten Towers vom Düsseldorfer Flughafen, die das Museum präsentieren kann. "Solche Exponate machen die Flugzeugschau überhaupt erst komplett." Wobei Schönau das mit dem komplett so ernst nicht meint, denn es kommt immer wieder Neues hinzu.
Eines der jüngsten Exponate ist eine IL 14, die ein Stück ostdeutschen Flugzeugbaus dokumentiert. Gebaut wurde die Maschine Mitte der 50er Jahre in Dresden und im Frühjahr 1957 ausgeliefert. Bis 1995 flog sie in Polen, stand dann in einem Ausflugscafé bei Katowice. Jetzt hat sie einen Platz neben der jüngeren, dafür aber deutlich beleibteren Schwester IL 62. Das Flugzeug aus der sowjetischen Konstrukteurswerkstatt Iljuschin ist zugleich das größte Exponat im Merseburger Museum. Das bietet neben den 60 Flugzeugen und der sich darum rankenden Technik noch eine ganze Menge mehr. Zum Beispiel 1 700 Feuerwehren.
Zugegeben, die meisten davon sind Modelle, das kleinste zwei Zentimeter groß. Ein Vereinsmitglied ist Sammler derselben und hat seine Kollektion im Museum ausgestellt. Aber immerhin sind auch 16 Groß-Feuerwehren zu sehen. Dazu 60 Autos, 70 Zweiräder - motorisierte wie Kniescheibenzünder - und 30 Nutzkraftwagen. Daneben kleine Schauen mit Computern, Rechen-, Schreib- und Nähmaschinen. Und natürlich - womit wir wieder bei der Luftfahrt wären - 1 000 Flugzeugmodelle.
Mit seinen 21 000 bis 22 000 Besuchern im Jahr hat das Merseburger Luftfahrt- und Technikmuseum - so der vollständige Name - natürlich immer wieder finanziell zu knabbern. Schönau hofft, dass es dieses Jahr 24 000 Gäste werden. Wobei der lange Winter die Vorstellungen schon ein wenig ins Wanken brachte. Doch die Merseburger setzen auf die vielen Enthusiasten, auf ehemalige und aktive Flieger, Piloten aller Art und all jene, bei denen es beim Traum vom Fliegen bleibt.
Hin und wieder kommt einer vorbei, der sich diesen Traum bis zur derzeit letzten möglichen Nuance erfüllt hat. Viktor Afanasiew war nicht nur als sowjetischer Militärflieger in Merseburg stationiert, sondern auch viermal im Weltraum. Dreimal steuerte er die Raumstation "Mir" an, einmal die ISS.
Wenn Schönau über die Begegnungen mit Afanasiew erzählt, kommt ein zusätzliches Leuchten in seine Augen. An der Museumskasse gibt es eine CD mit Bildern, die der Kosmonaut im Weltraum gemacht hat. So kann man nach dem Rundgang durch die Technikschau am heimischen PC oder mit Hilfe des DVD-Players am Fernseher noch ein wenig weiter träumen.