Betreutes Jugendwohnen Betreutes Jugendwohnen: «Lebensbrücke» sorgt für strenge Regeln
Merseburg/MZ. - Vieles hat Tobias dort nachgeholt, wird, inzwischen 18-jährig, die Betreuung in Kürze verlassen. Andere der vier betreuten Jungen und zwei Mädchen zwischen 16 und 18 Jahren sind noch nicht so weit wie er.
Erwachsen wollten sie sein und sind doch viel mehr Kind als andere, beschreibt Elke Strauchmann ihre Jugendlichen. Tobias erzählt: "Bei mir gab es damals Probleme zu Hause. Wir haben uns nur noch angeschrien. Ich war nur noch zum Essen und Schlafen zu Hause, habe die Schule abgebrochen und es gab immer mehr Stress", schildert er. "Ich meinte dann, es sei besser, dass ich ausziehe. Das Jugendamt hat mich hierher vermittelt." Wenn in solch extremen pubertären Phasen Kinder gegen alles rebellieren, und Eltern nicht mehr weiter wissen, sei Abstand eine Erleichterung "für beide Seiten", so die 46-jährige Sozialpädagogin. Sie schildert die Geschichte eines 17-Jährigen, der sich nichts sehnlicher zu wünschen scheint, als Halt in seiner Familie. Und mit dem es dennoch schwer schwer auszukommen ist.
"Er schreit geradezu nach Grenzen." Jedes Mal, wenn er etwas kaputt macht oder Termine nicht einhält. Jedes Mal tut es ihm hinterher leid. "Er ist ein ganz lieber Junge, wünscht sich Geborgenheit." So baut er Traumwelten von einem späteren Familienleben mit seiner Freundin, putzt die ganze Wohngemeinschaft, wenn ihn der Wunsch überfällt, etwas Gutes zu tun. Aber das Leben im betreuten Wohnen ist kein Zuckerschlecken, hat mit Freiheit und Abenteuer nichts zu tun. "Es gelten Regeln, wer sich nicht an sie hält, in der Wohnung lärmt, Drogen nimmt, straffällig wird oder die Schule schwänzt, muss schlimmstenfalls gehen", sagt die Betreuerin. Zwei Wohngruppen und Einraumwohnungen gibt es. Eine Leistung des Jugendamtes. Die Zimmer sind schlicht: Bett, Schrank, Schreibtisch. Die
jungen Leute werden betreut und regelmäßig beaufsichtigt. "Dennoch kann man sich hier nicht abends mal eben bei den Eltern in den Arm legen." Der Wunsch nach Liebe und Zuneigung ist oft übermächtig. "Was sich unsere Jugendlichen mit Liebeskummer quälen, ist vermutlich mehr, als anderswo. Vor allem bei den Jungs." Für so etwas sind Strauchmann und ihre Kollegin Angelika Kellner da. Zum Quatschen, Kondome kaufen, frisch gestochene Piercings versorgen, Schulbummler wecken und im Amtsdschungel zurechtfinden helfen.
"Aber mehr als Wecken können wir natürlich auch nicht, niemanden zur Schule schleifen, obwohl wir Hinbringen schon versucht haben." Nicht immer nützt es, einige Jugendliche mussten die Lebensbrücke vorzeitig verlassen.
Doch die meisten machen infolge der plötzlichen Verantwortung für sich selbst, die sie außerhalb des Elternhauses haben, einen Schritt vorwärts, begreifen die Notwendigkeit eines Schulabschlusses und des Haushaltens, aber ebenso die Chance des Fehler-wieder-gut-Machens. Mindestens 16 Jahre alt müssen die Jugendlichen deshalb sein, den Antrag beim Jugendamt auf betreutes Wohnen ihrer Kinder stellen trotzdem die Eltern.
Schulabbrecher Michael, 18 Jahre alt, zum Beispiel hat den besten Hauptschulabschluss seiner Klasse im berufsvorbereitenden Jahr geschafft. "Er ist intelligent, hätte den Realschulabschluss sicher geschafft, aber damals, als er noch zur Schule ging, war die Zeit für ihn nicht reif", meint Strauchmann.
"Die Gesellschaft ist gnadenlos. Auch das müssen manche erst lernen." Gnadenlos ist ebenfalls das Limit des Budgets, mit dem die Jugendlichen pro Tag auskommen müssen. Etwa fünf Euro am Tag für das gesamte Essen. Es gab Tage, sagt Tobias, an denen er gehungert hat, wenn er zuviel verbrauchte. "Da überlegt man schnell, ob man für sieben Euro eine Pizza bestellt oder eine tiefgefrorene kauft."
"Wenn sich doch nur die Perspektiven verbessern würden", sagt Strauchmann. "Die Fälle, die wir vom Jugendamt bekommen, werden immer schwieriger. Unsere jungen Leute hier haben ohnehin einen schwierigen Start und das in einer Gesellschaft, in denen Chancen zurzeit rar gesät sind." Ein Teufelskreis, denn oft hat Resignation der Eltern zur Zerrüttung der Familie geführt, aus deren Problematik sich die Jugendlichen gerade zu befreien versuchen. Dafür wird bei der Lebensbrücke um jeden einzelnen Fortschritt gekämpft.