Angriff auf Mehrgenerationenhaus Angriff auf Mehrgenerationenhaus: Gemeinsam gegen Rechts in Merseburg

Merseburg/MZ - Als eine Mitarbeiterin am frühen Montagmorgen die Tür zum Mehrgenerationenhaus aufschließt, macht sie eine schockierende Entdeckung. Die Glasscheibe der Eingangstür, der Briefkasten und die Straßenlaterne vor dem Gebäude sind mit Aufklebern übersät. Und diese lassen keinen Zweifel an ihrem Absender. Es handelt sich wieder einmal um die Aktionsgruppe Merseburg, die der rechten Szene zuzuordnen ist und in den abgedruckten Parolen gegen Demokratie und deren Verfechter hetzt. Bereits in der vergangenen Woche drangen Unbekannte auf das Gelände des Mehrgenerationenhauses ein, zerstörten Spielgeräte und hinterließen die genannten Aufkleber.
„Der materielle Schaden hält sich in Grenzen, doch die Botschaft, die dahinter steckt, ist für uns eindeutig“, sagt Peter Wetzel, Mitarbeiter des Mehrgenerationenhauses. Für ihn steht fest, dass diese Taten kein Zufall sind und mit der inhaltlichen Ausrichtung der Einrichtung in Zusammenhang stehen. „Unser intensives Engagement gegen Rechtsextremismus hat diese Kräfte auf den Plan gerufen“, mutmaßt er. In jüngster Zeit hatte der Verein unter anderem mit der Anne-Frank-Ausstellung und der Initiative „Respekt - kein Platz für Rassismus“ von sich Reden gemacht.
In Sachsen-Anhalt starben seit 1990 mindestens 13 Menschen durch rechte Gewalt, drei davon im Saalekreis. 1993 zerstörten 50 Rechte das Mobiliar einer Diskothek in Obhausen und verletzten drei Gäste schwer, darunter den Wehrpflichtigen Matthias L., der seinen Verletzungen erlag. 2001 wurde Willi W. in Milzau von fünf Nazis regelrecht zertreten. 1999 schlugen Rechtsgesinnte in Löbejün stundenlang auf den behinderten Hans-Werner G. ein. Er starb an den Verletzungen. Jedes Jahr werden in Sachsen-Anhalt über 150 rechte Gewalttaten bekannt. Gerade läuft der Prozess gegen drei Angeklagte, die im letzten Jahr einen türkischstämmigen Imbissbetreiber bedroht und verletzt haben.
Nach der erneuten Provokation ist sich Wetzel sicher: „Wir stehen von nun an im Fokus der autonomen Rechten. Diese Situation ist für uns völlig neu.“ Doch ebenso sicher ist auch, dass sich die Einrichtung und ihre Mitarbeiter auf keinen Fall einschüchtern lassen wollen. Genau das war auch die Botschaft des für den am Montag einberufenen Bildungstages, der eigentlich eine Reaktion auf die Zerstörungen der vergangenen Woche sein sollte.
Man muss nun lernen, mit der neuen Situation umzugehen. „Unsere Mitarbeiter, unter ihnen auch viele mit Migrationshintergrund, verfügen nur über ungenügende Informationen darüber, wie Rechte agieren. Im Rahmen unseres Bildungstages möchten wir das Geschehene reflektieren, gemeinsam diskutieren, Wissen vermitteln und den Mitarbeitern Mut machen“, so Wetzel.
Dazu wurde am Montag auch ein Experte zu Rate gezogen. Andreas Speit, Buchautor und Rechtsextremismusexperte, der derzeit auch für die taz am NSU-Prozess teilnimmt, lobt die Reaktion des Mehrgenerationenhauses: „Die Einrichtung sendet eine klare Botschaft. Das ist leider nicht immer der Fall. Oft wird überlegt, ob man sich nicht lieber zurückziehen sollte.“
Doch der Spruch der Rechten „Hol dir deine Stadt zurück“, der auf einem der Aufkleber in großen Buchstaben steht, ist laut dem Experten eine eindeutige politische Kampfansage. „Das ist eine gezielte politische Aktion. Die Gruppierung hat sich ganz bewusst für eine Auseinandersetzung entschieden“, so Speit. Er warnt davor, die Aktionsgruppen zu unterschätzen, die junge Menschen vor allem in Form von Konzerten oder Partys für sich zu gewinnen versuchen. „Längst handelt es nicht mehr um einen wenig organisierten Haufen. Das Entwicklungspotenzial wird in der Politik und den Medien oft nicht wahrgenommen, aber diese Gruppierungen sind eng vernetzt und auch überregional und bundesweit hochgradig organisiert“, sagt Speit. Wichtig sei es, die Angriffe ernst zu nehmen und ihnen ebenso organisiert und solidarisch verbündet entgegenzutreten.
Landrat Frank Bannert (CDU) sicherte dafür am Montag die Unterstützung des Landkreises zu: „Wir werden solche Angriffe nicht hinnehmen. Die Einrichtung und ihre Mitarbeiter können sich auf uns verlassen.“ Und auch Maik Reichel, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, sagte: „Der Verunsicherung, die solche Taten mit sich bringen, werden wir gemeinsam entgegentreten. Das, was hier passiert ist, zeigt einmal mehr, wie wichtig und nötig das Engagement des Mehrgenerationenhauses ist.“ Die Einrichtung denkt nun über eine Videoüberwachung nach.