80 Jahre Flugplatz Merseburg 80 Jahre Flugplatz Merseburg: Großappell in der Schokoladenfabrik

Merseburg - Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 kam es in den Folgejahren im gesamten Reichsgebiet zu einer militärischen Aufrüstung und zum Bau von Flugplätzen sowie Kasernenanlagen. Auch Merseburg blieb hiervon nicht ausgenommen. So jährt sich im Oktober 2015 zum 80. Mal die Einweihung der Merseburger Fliegergarnison.
1934 begannen im Westen Merseburgs, entlang der Lauchstädter Straße, erste Vorarbeiten zur Errichtung einer Flugplatzanlage. Davor ging der Grund und Boden, auf dem Unterkünfte und Flugplatz errichtet werden sollten, wohl nicht ganz freiwillig in Reichseigentum über. Die Stadt Merseburg sowie deren Gemeinderäte wurden in die Planungen und Entscheidungen nicht eingebunden und erfuhren erstmals offiziell im Juli 1934 während einer Gemeinderatssitzung durch den damaligen Merseburger Oberbürgermeister Mosebach vom Bau des Flugplatzes.
Die Reaktion der Gemeindevertreter ist leider nicht überliefert. Die Planung und der Bau der Fliegerhorste wurde unter Umgehung der Bestimmungen des Versailler Vertrages als „Geheime Kommandosache“ vorangetrieben. Im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums in Berlin erfolgte durch die in Frankfurt am Main ansässige deutsche Firma Philipp Holzmann AG der Bau des Flugplatzes sowie der Kaserne in Merseburg.
Wie überall im Reichsgebiet, die deutsche Luftwaffe existierte offiziell noch nicht, wurden die Bauarbeiten an derartigen Anlagen absichtlich verschleiert, um die Öffentlichkeit und auch das Ausland über die wahren Begebenheiten zu täuschen. So wurden Bezeichnungen wie beispielsweise „Höhenflugzentrale der Deutschen Verkehrsflieger Schule“ (für den Fliegerhorst Giebelstadt) oder „Luftverkehr Thüringen A.G. Erfurt“ (für den Fliegerhorst Erfurt-Bindersleben) verwendet.
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Das Projekt in Merseburg war wie alle anderen Flugplätze im Deutschen Luftsportverband (DLV) eingegliedert. Dieser war ein im März 1933 gegründeter Verein zur Herstellung einer einheitlichen Basis für die militärische Fliegerausbildung. Es wird berichtet, dass zur damaligen Zeit Gerüchte im Umlauf waren, es solle sich bei dem Bau in Merseburg um eine Schokoladen- oder gar Knopffabrik handeln. Es ist davon auszugehen, dass trotz größter Geheimhaltung nicht verborgen bleiben konnte, was wirklich errichtet wurde. Die markanten Kasernenbauten sowie Flugzeughallen wiesen nicht wirklich auf eine Schokoladenfabrik hin. Die bauausführende Firma nutzte zur Errichtung der Anlagen zumeist Firmen aus der Region, was nicht unbedingt zu einer Abschottung der wahren Umstände führte. Nach der offiziellen Enttarnung der Luftwaffe am 1. März 1935 wurde aus der Schokoladenfabrik der Fliegerhorst Merseburg.
Die Lauchstädter Straße trennte den eigentlichen Flugplatz mit seinen Einrichtungen vom Unterkunftsbereich (Kasernenanlage). Der Übergang von der Kaserne zum Flugplatz befand sich nördlich der Brücke über die heutige Kastanienpromenade an der dortigen Rundmauer. Der Flugplatz verfügte über keine feste Start- und Landebahn, sondern besaß zwei betonierte Startplattformen. Es entstanden weiterhin noch sechs Hallen (fünf Flugzeughallen, eine Werfthalle), Flugleitstelle, Kfz-Hallen, Verwaltungsgebäude, Heiz- und Wasserwerk, Bahnhof mit Gleisanschluss an die Bahnstrecke Merseburg - Bad Lauchstädt, ein Rundgleis um den gesamten Platz sowie etwas abgesetzt Tank- und Munitionslager und der Schieß- und Justierplatz mit einer Kompensierscheibe.
Östlich der Lauchstädter Straße wurden zunächst im Stile des damals vorherrschenden Heimatschutzstils mehrere Unterkunftsgebäude sowie ein Offizierskasino hochgezogen, ein Krankenhaus, die Fernsprechzentrale, der Wirtschaftsbau für Bodenpersonal und Luftwaffe mit mehreren Speisesälen, die Hauptwache, ein Sportplatz und die Kommandantur. Die Horststraße, als Wohnsiedlung für das zivile Personal, entstand erst ab 1938.
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Schon kurze Zeit nach der offiziellen Aufstellung der deutschen Luftwaffe wurde auf dem Fliegerhorst ab dem 1. April 1935 der Aufbaustab der neu gegründeten Fliegergruppe Merseburg mit der Tarnbezeichnung „KG 553“ (Kampfgeschwader 553) etatisiert. Am 1. Oktober 1935 kam es aufgrund der Neustrukturierung der deutschen Luftwaffe zur Umbenennung dieses Geschwaders in „I/153“ (sprich: 1. Gruppe des Kampfgeschwaders 153). Neben der Merseburger Fliegergruppe, deren Wappentier der Merseburger Rabe war, gehörten zum „KG 153“ noch die II/153 (Finsterwalde, ab 1. Oktober 1935), die III/153 (Altenburg, ab 1. April 1936) sowie die IV/153 (Liegnitz, ab 1. April 1937). Der erste Geschwaderkommandeur war Oberst Walter Sommé, der erste Kommandeur der Merseburger Fliegergruppe wurde Major Walter Schwabedissen.
Aufgrund der noch ausstehenden Fertigstellung der im Bau befindlichen Unterkünfte erfolgte zunächst eine Unterbringung in behelfsmäßigen Quartieren bzw. alten Viehställen. Der Detmolder Friedrich Aufdemkamp (Flugzeugführer der deutschen Luftwaffe) beschreibt die damaligen Eindrücke der neu errichteten Unterkünfte wie folgt: „Alles was ich bisher an Unterkünften kannte, stellte das, was wir hier bei den neuen vorfanden, in den Schatten. Die Zwei-Mann-Stuben waren ausgestattet mit Zentralheizung, Parkettfußboden, Doppelfenstern und neuen Spinden. Die Betten hatten weiße Bezüge.“
Zum Zeitpunkt der Aufstellung des Geschwaders befanden sich auf dem Merseburger Flugplatz Flugzeuge vom Typ Junkers Ju 52/3m und W 34 sowie mehrere zuvor aus den Dornier-Werken am Bodensee überführte Do 23. Es handelte sich bei diesen Typen um Transport-, Passagier- und Bombenflugzeuge. Hartnäckig hält sich bis heute, der Merseburger Fliegerhorst wäre für den Objektschutz der umliegenden Chemiebetriebe errichtet worden. Das kann nicht bestätigt werden.
In Merseburg waren keine Jagdflugzeuge stationiert. Aufgrund der Nähe zu den Chemiewerken bestand zudem eine konkrete Gefahr, dass es zu Abstürzen in selbige kommen könnte, was ab 1938 zu einem Überflugverbot für das ab 1936 errichtete Buna-Werk in Schkopau führte, da dort das hochexplosive Gas Acetylen produziert wurde. Der Objektschutz für Betriebe war kein Kriterium bei der Wahl des Standortes eines Flugplatzes. Vielmehr waren vermutlich die örtlich vorhandenen Verkehrsanbindungen, die Nähe zur städtischer Bebauung (Versorgungseinrichtungen, Wohnungen Zivilangestellter), die Entfernung zu den Reichsgrenzen wegen der Reichweite gegnerischer Flugzeuge, das Vorhandensein bereits bestehender Flugplätze sowie militärischer Dienststellen ausschlaggebend.
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Vom 11. Oktober bis zum 13. Oktober 1935 fanden auf dem Flugplatz die „Tage der Flieger“ mit Kunstflugvorführungen mehrerer Doppeldecker, Einsätzen von Alarmketten mit Flugzeugen vom Typ Dornier Do 23, Absprüngen von Fallschirmspringern aus Flugzeugen vom Typ Junkers Ju 52, Alarmierung und Einsatz der am Platz vorhandenen Feuerwehr, Führung geladener Gäste durch die Staffelreviere und den technischen Bereich des Flugplatzes, Dienstvorführungen (Schießausbildung, Exerzierdienst, Gewehrreinigen, Putz- und Flickstunde) statt. Im Rahmen dieser Feierlichkeiten erfolgte die Einweihung der „Fliegergarnison Merseburg“ sowie am 10. Oktober die Begrüßung der Fliegergruppe auf dem Marktplatz.
Robert Schmidt aus Merseburg wird nach eigenen Worten vom Interesse an der Geschichte getrieben. Der 38-Jährige, der im öffentlichen Dienst arbeitet, will ein Buch über die Geschichte des Militärflugplatzes in Merseburg schreiben. „Ich bin nach wie vor an Fotos und allen anderen Informationen über den Flugplatz und die anderen militärischen Liegenschaften interessiert. Wichtig wären vor allem die Erinnerungen von Zeitzeugen“, sagte Schmidt der Mitteldeutschen Zeitung.
Der Hobby-Historiker sucht Fotos des Flugplatzes, des Fliegerstädtchens, der ehemaligen Waffenmeisterschule sowie der Flak-Kaserne an der Geusaer Straße. Die Kaserne dort war in den 1930er Jahren gebaut worden. Zunächst nutzte die Wehrmacht das Areal, nach dem Zweiten Weltkrieg zogen dann hier die sowjetischen Streitkräfte ein. Als der „große Bruder“ seine Soldaten nach dem Mauerfall abzog, stand die Kaserne noch ein paar Jahre leer. Ende der 1990er Jahre wurden schließlich große Teile der Bebauung abgerissen.
Kontakt zu Robert Schmidt per Email an: [email protected]
Wie der Merseburger Korrespondent am 11. Oktober in patriotischen Worten berichtete, erfolgte ein Marsch durch Merseburg, beginnend im Fliegerhorst durch die mit reichem Fahnenschmuck bestückten Straßen der Innenstadt direkt zum Marktplatz unter musikalischer Begleitung der Kapelle der Heeresnachrichtenschule Halle. Dort angekommen, erfolgten Grußworte des Oberbürgermeisters Mosebach sowie des Kreisleiters der NSDAP. Nachdem auch der Kommandeur der Merseburger Fliegergruppe Major Schwabedissen Dankes- und Grußworte verlauten ließ und das Deutschlandlied gespielt wurde, verließ die Fliegergarnison nach dem Kommando „Stillgestanden! Das Gewehr über!“ den Marktplatz in Richtung Weißenfelser Straße. Ebenfalls zur Einweihung erschien auf dem Flugplatz der seit Mai 1935 eingesetzte Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, Hermann Göring.
Aus dem Verwaltungsbericht der Stadt Merseburg ist für das Jahr 1935 noch zu erfahren, dass es am 7. November des Jahres zu einer Rekrutenvereidigung im Fliegerhorst unter Hissen der neuen Reichskriegsflagge kam und am 18. Dezember der Reichskriegsminister Werner von Blomberg den Fliegerhorst besichtigte. (mz)

