Wattrelos-Ring Wattrelos-Ring: Classic Cup lockt 135 Fahrer aus ganz Deutschland nach Köthen

Köthen - Absperrband, Bauzäune, Streckenposten, zwei Schikanen und heulende Motoren. Es war nicht der Nürburgring oder Hockenheim, vielmehr wurde in Köthen um jede Zehntelsekunde gekämpft. Die Stadt stand im Zeichen des historischen Rennsports.
Einmal im Jahr verwandelt sich der Wattrelos-Ring für den Classic Cup in eine 1.300 Meter lange Piste, auf der nicht der „Raser der Nation“ gekürt wird, sondern vielmehr der Fahrer, der die Runden mit möglichst identischen Rundenzeiten absolviert. Insgesamt 135 Fahrer aus ganz Deutschland und sogar Polen gingen an den Start. Für Sebastian Schwab vom Motorsportclub (MC) Köthen ein Erfolg. „Das sind etwa 30 Prozent Starter mehr als in den letzten Jahren“, zeigte er sich zufrieden.
In diesem Jahr war der Erfolg sicher auch dem Jubiläumstag der Wiedervereinigung zu verdanken. Durch den Feiertag standen den Organisatoren zwei Fahrtage mit Wertungsläufen zur Verfügung, sagte Schwab, der mit Adlerauge einen genauen Blick darauf hatte, wie viele Besucher aufs Gelände gingen und wie viele es verließen.
In unterschiedlichen Aufmachungen fuhren die Rennfahrzeuge über den Asphalt
Das genaue Dokumentieren sollte ein „Fluten“ des Geländes vermeiden. „Der MC hat sich selbst vorgenommen, dass sich zeitgleich nicht mehr als 1.000 Personen auf dem Gelände befinden - mit Fahrern, Besucher, Streckenpersonal...“, erklärte der Sprecher des 35 Mitglieder starken Clubs.
In unterschiedlichen Aufmachungen fuhren die Rennfahrzeuge über den Asphalt. Der sei mit den Jahren schlechter geworden, habe Risse und Unebenheiten bekommen. Für Fahrer sei das ein erhöhtes Unfallrisiko, regte Schwab Ausbesserungen an und bedankte sich trotzdem bei der Stadt, den Ring Jahr für Jahr nutzen zu dürfen.
Mit am Start - wenn auch noch als motorisierter Alleinunterhalter - war zum wiederholten Male Jörg Aufgebauer aus Finsterwalde. Bevor er in einem Demo-Lauf mit seinem Formel-Junior E 600 über die Startlinie rollte, prüfte sein Team die Technik. Der zur „Schnauze“ spitz zulaufende Wagen, Baujahr 1978, mit Sitz wenige Zentimeter über dem Erdboden und weiß polierter Karosserie, blieb 2020 noch der einzige seiner Art auf dem Wattrelos-Ring. „Fürs nächste Jahr haben mir schon zwei bis drei Fahrer signalisiert, mit einem Formel-Wagen zu kommen“, freute sich Aufgebauer auf ein Rennen mit „Artgenossen“.
In Köthen geht es traditionell um die Gleichmäßigkeit beim Fahren
Der E 600 gehört in jedem Fall auf die Köthener Rennmeile. Schließlich komme der Wagen aus Köthen. Siegfried Schulz, seines Zeichens ein Köthener Schrauber, hat den Formel-Wagen mit seinen rund 360 Kilogramm und gut 75 PS gebaut. In circa zehn Jahren sollen allerdings nur zwölf Formel E 600 produziert worden sein, so Aufgebauer.
Unklar ist, wie viele davon heute erhalten sind. Rekordjagden auf der Piste könnte der gelernte Karosseriebauer bestimmt bewältigen, das wäre in Köthen jedoch völlig fehl am Platz. Dort geht es traditionell um die Gleichmäßigkeit beim Fahren. Und damit die Fahrer sich noch mehr auf ihr Gefühl für Geschwindigkeit verlassen, müssen die Fahrzeuge ohne oder mit abgeklebten Tacho auf die Strecke.
Alex Follmann aus Landscheid bei Wittlich in der Eifel war aus seinem Urlaubsort Coswig gekommen. Sein Wagen - ein TT-Rennauto von den NSU Motorenwerken - brachte ihn nach Köthen. Bereits der Vater des 45-Jährigen fuhr Motocross.
„Letztes Jahr war ich noch Zuschauer; diesmal bin ich dabei“
Der vierrädrige Untersatz hat vom Vater zum Sohn gewechselt. Nur wenig habe sich über die Zeit am Fahrzeug verändert. „Die Pferdestärken sind aufgestockt“, gab er zu. Von 70 auf 110. Dazu kommen 18 Zündkerzen im Kofferraum, damit das motorisierte Pferdchen schnellstmöglich nach dem Anlassen in den Galopp übergehen kann. Nur das Wichtigste - Sitz und Überrollkäfig - sind neben der Technikausstattung noch zu sehen. Follmanns Trick für identische Rundenzeiten: „Immer im Drehzahlbereich von 5.000 bis 6.000 bleiben“, meinte der Rheinland-Pfälzer, der in diesem Jahr Corona-bedingt sein erstes Rennen absolvierte.
„Letztes Jahr war ich noch Zuschauer; diesmal bin ich dabei“, zeigte sich Toni Seidel aus Salzfurtkapelle vor dem Start zuversichtlich. Er war wie alle seiner befragten Fahrerkollegen dankbar, dass an der Veranstaltung trotz Pandemie festgehalten wurde. Auch wenn sich der 38-Jährige mit seinem Mitsubishi Lancer, Baujahr 1999, künftig wieder mehr auf Rallyes konzentrieren möchte. Köthen sei aber ein guter Testlauf fürs Rallye-Fahren.
Veranstaltungen wie der Classic Cup ziehen magisch an
Diejenigen, die das sprichwörtliche Benzin im Blut haben, können nicht anders. Veranstaltungen wie der Classic Cup ziehen magisch an. Der 84-jährige Dieter Freudenberg aus Rathenow war solch ein Fahrer-Urgestein. Von 1958 bis 1969 fuhr er mit der Adler und mit der MZ Motorradrennen. Tausende Kilometer legte er mit seinen Zweirädern zurück.
Bis ihn eines Tages ein Pkw-Fahrer die Vorfahrt nahm. Freudenberg, der damals mit dem Kraftrad unterwegs war, ist querschnittsgelähmt. Und trotzdem: Dem Motorsport habe er nicht abgeschworen. Im Gegenteil: Er unterhält und finanziert drei Benellis, italienische Motorräder. Wie sich „seine“ Fahrer und Maschinen beim Rennen schlugen, beobachtete er mit Leidenschaft hinter der Absperrbake. „Eine tolle Veranstaltung“, sagte er, um kurz darauf die Benelli-Fahrer anzufeuern. (mz)

