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  7. Lost Place: Bierdorf „Bonanza" Dessau

Lost Place in Sachsen-Anhalt Verlassenes Bierdorf mit Geschichte - Der letzte Tanz liegt lange zurück

Ein dunkler Partykeller, eine halb weggeschwemmte Bar und hinterm Haus ein Mini-Ballermann - der frühere Tanzklub „Bonanza“ mitten im Nirgendwo steht Jahre nach seiner Schließung wie ein Mahnmal für geplatzte Träume in einer leeren Landschaft.

Von Steffen Könau Aktualisiert: 16.08.2022, 09:43
Verbrannt, verschimmelt, verrottet: Die ehemalige Disko "Bonanza".
Verbrannt, verschimmelt, verrottet: Die ehemalige Disko "Bonanza". Foto: Steffen Könau

Dessau/MZ - Der Brandgeruch hängt noch in der Luft, ein schwerer Duft nach Gummi, Asche und feuchten Polstern. Auf dem Boden stehen Wasserlachen, auf einem Bartischchen zwei Biergläser mit einem Rest Flüssigkeit. Eine Plastikblumenranke ist von ihrem künstlichen Baum bis auf einen rustikalen Holztisch heruntergesunken, ein Plüschhund schaut aus einem Regal hinter der Bar traurig in die Runde, ein Whiskeyglas im Schoß.

Es ist vorbei, zu Ende, vorüber mit der Diskothek „Bonanza“. Die Tür zum Außenbereich ist zugenagelt, das Bierdorf im Hinterhof verwaist, der Vordereingang zur früheren Bar mit Betonelementen verrammelt worden. 28 Jahre nach dem Beginn des Umbaus des früheren Klubhauses eines DDR-Braunkohlewerkes zu einer Diskothek erinnert auf dem fast 7.000 Quadratmeter großen Gelände mitten im NIrgendwo nichts mehr an die großen Partynächte, die das ehemals zum VEB Instandhaltungskombinat Kohle gehörende Haus von Mitte der 90er Jahre an erlebte.

Als seien die letzte Gäste gerade erst gegangen: Die Disko "Bonanza" ist ein Lost Place.
Als seien die letzte Gäste gerade erst gegangen: Die Disko "Bonanza" ist ein Lost Place.
Foto: Steffen Könau

Party in der „Raupe“

Ursprünglich gebaut, als vor 160 Jahren der Abbau hochwertiger Braunkohle südwestlich von Dessau begann, nutzte die Zentrale Planierraupenwerkstatt des DDR-Kombinates das 70 Meter lange und knapp 30Meter breite Haus bis 1990 als Veranstaltungsort. Danach fiel es an die Treuhand-Tochter Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft (BVVG), die in einem Gifhorner Diskotheker schließlich einen Unternehmer fand, der die bis dahin fortlaufend von Vandalismus und Brandstiftung heimgesuchte Immobilie für etwa 1,3 Millionen Euro auf Vordermann brachte. Die Disko „Bonanza“ war ein Erfolg, vor allem am Wochenende.

Kein Betrieb mehr im "Bierdorf".
Kein Betrieb mehr im "Bierdorf".
Foto: Steffen Könau

„Sehr groß, meist aber doch überfüllt“, befand ein Disko-Test der Mitteldeutschen Zeitung Ende der 90er Jahre. Auf drei Floors wurde getanzt, es gab eine moderne Laserlichtanlage und eine Nebelmaschine, Stars wie DJ Westbam legten auf und ältere Semester feierten Partys mit Schlagersternchen wie dem seinerzeit wegen eines Auftritts bei „Bauer sucht Frau“ bekannten Schäfers Heinrich. Auch der Köthener Lokalmatador Marcel Schiefelbein, Teilnehmer der Fernsehshow „Big Brother“, veranstaltete hier seine „Weekend Warriors“-Feten, das Haus ludt zu Black-Music-Nächten und House-Musik mit DJ Delorryen.

Neustart mit den „Ostblockschlampen“

Bier zwei Euro, Cola 1,50, freitags Rum-Cola und Wodka-Cola ebenso und dazu Schlager, 80er-Jahre-Pop, Techno und gelegentliche Auftritte von Stimmungsgaranten wie den Ostblockschlampen - das „Bonanza“ wechselte zwar mehrfach den Betreiber, und jeder, der neu kam, baute um und aus.

Generationen von Spinnen haben diese Tasse zu ihrem Zuhause gemacht.
Generationen von Spinnen haben diese Tasse zu ihrem Zuhause gemacht.
Foto: Steffen Könau

Das Konzept aber blieb ländlich und schnörkellos. Die einzige größere Disko im weiten Umfeld hatte ihre treuen Stammgäste. Vor acht Jahren aber wurde zum letzten Mal saniert und anschließend neu eröffnet. Vor sechs Jahren stieg die letzte große Sause und vor fünf Jahren schlossen sich die Diskotüren ebenso überraschend wie endgültig.

Die großen Party-Zeiten sind vorbei.
Die großen Party-Zeiten sind vorbei.
Foto: Steffen Könau

Keiner der damaligen Betreiber will heute noch über die Hintergründe des plötzlichen Diskotodes sprechen. 2019 brannte dann der Dachstuhl des „Bonanza“ aus. Die Polizei ging dem Verdacht auf Brandstiftung nach, die Staatsanwaltschaft in Dessau konnte aber heute keine Auskunft mehr zum Verfahren geben.

Klein-Ballermann im HInterhof: Die Disko "Bonanza".
Klein-Ballermann im HInterhof: Die Disko "Bonanza".
Foto: Steffen Könau

Leerstand im Bierdorf

Es war das letzte Kapitel der „Raupe“, wie das „Bonanza“ zu DDR-Zeiten genannt worden war. Nach fünf Jahren Leerstand ist das „Bierdorf“ inzwischen grasüberwachsen, ein rostiges Dreirad steht vor der kleinen Open-Air-Bühne. In der Bar sind die Sitzecken durchgefault und die Polster verschimmelt, aus der Decke hängt die Dämmung und im Fensterbrett steht eine Kaffeetasse, über die Generationen von Spinnen Netze gewebt haben. Ein verlorener Ort, an dem es so still ist, dass man den Sommerregen durchs Dach tropfen hört.