Unternehmensgeschichte in Aken Unternehmensgeschichte in Aken: Stoewer statt Pferd

aken/MZ - Der besondere Vermerk ist mit Stempel eingetragen: Fahrprobe vorgenommen. Von da an gehört der Stoewer vom Typ R 180 mit 1 757 Kubikzentimetern Hubraum und 45 Pferdestärken Heinrich Geise, dem Akener Bestatter. Gekauft wie besichtigt vom Vorbesitzer in Calbe. Die Limousine mit vier Sitzen, vier Türen, vier Fenstern hat grau gepolsterte Sitze und ist sechs Meter lang. 1935/36 ist der Stoewer gebaut worden. 1951 kauft ihn Geise als ersten Leichenwagen für sein Geschäft. 43 898 Kilometer hatte das Fahrzeug seinerzeit schon zurückgelegt. In Aken sollten in den Jahren darauf ein paar hinzukommen.
Die ältesten bisher gefundenen Gräber werden auf etwa 50 000 vor Christus datiert, sagt die Internetseite Planet Wissen. Zu den ältesten Beerdigungsformen zählt das Hockergrab. Der Leichnam liegt wie ein Embryo mit angezogenen Beinen und gekrümmtem Rücken auf der Seite in einem Steingrab. Warum das so ist, kann nur vermutet werden. Aber dass Begräbnisse in frühen Kulturen eine wichtige Rolle spielten, belegen Hünengräber: bis zu zwölf Meter lange aus großen Gesteinsblöcken zusammengefügte Kammern, die mit Erde bedeckt sind. Sie boten Platz für bis zu hundert Tote.
Skoda mit Leichenanhänger
Geise gönnt sich damit einen enormen Komfort. „Früher“, erzählt René Gaedke, der das Geschäft in der Akener Poststraße seit zehn Jahren als Inhaber führt, „dauerte das seine Zeit, ehe man die Särge zum Friedhof transportieren konnte. Erst mussten die Pferde geholt und angespannt werden.“ Mit dem Stoewer ist das Geschichte. Geise lässt ihn umbauen, und Gaedke vermutet, dass er ihn bis in die 70er Jahre hinein gefahren ist. Später kommt ein Skoda mit Leichenanhänger, noch später sind es amerikanische, französische und schwedische Fabrikate. Aber da hat Sohn Werner schon das Sagen im Geschäft.
Seit 140 Jahren verbindet man in der Elbestadt den Namen Geise mit dem gleichnamigen Bestattungsunternehmen. Und weil man mit Traditionen nicht brechen sollte, findet Gaedke, hält er am Namen fest - und am Firmensitz.
Irgendwann 1874 - so ist es überliefert - gründet Werner Geises Großvater Adolph eine Bau-, Sarg- und Möbeltischlerei. Ein Gründungsdatum gibt es nicht, zumindest kennt es keiner. 1956 soll Werner die Tischlerei von seinem Vater Heinrich übernommen haben.
Zäsur 1970
Dann, 1970, eine schmerzhafte Zäsur: Die Gemeindewirtschaft des Rates des Kreises kümmert sich auf volkseigene Weise auch um das Bestattungswesen. Und Werner Geise spezialisiert sich im Gegenzug auf Rollladenbau. Gaedke weiß: „Er ist damit durch die ganze DDR gefahren und hat seine Produkte angeboten.“ Geises Frau Gertrud bleibt auch zu DDR-Zeiten im Geschäft des Mannes, aber ohne hier etwas zu sagen zu haben. „Die Geises“, schildert der heutige Chef, „haben ihr Geschäft nie im Stich gelassen.“
Nach der Wende fangen sie neu an, firmieren fortan unter dem Namen Beerdigungsinstitut Geise. Es heißt, sie haben wieder zugegriffen und in großen Annoncen publik gemacht, dass man nach 20 Jahren „Zwangspause“ nun wieder da sei. In René Gaedke, der seit 1998 im Geschäft mithilft, finden sie später auch einen Nachfolger. „Werner Geise war wie ein Opa für mich“, sagt der 37-Jährige. Anfangs ist er Aushilfe, packt mit zu und wird irgendwann gefragt: Was hast du für eine Anzugsgröße? Damals legt Werner Geise fest: Du machst bei mir mit. René Gaedke, der aus einer Steinmetzfamilie stammt und „auf Friedhöfen groß geworden“ sei, sagt nicht nein. Er besucht verschiedene Schulungen; „es wurde einfach immer mehr“.
Wie Werner Geise lässt auch der zweifache Vater es sich nicht nehmen, bei jeder Trauerfeier dabei zu sein - „außer ich bin krank oder im Urlaub“. Für ihn gehöre das dazu, es sei eine Form des Anstands, ein Zeichen des gegenseitigen Vertrauens. Er fühlt sich der 140-jährigen Tradition der Familie Geise verpflichtet. Und obwohl er kein geprüfter Bestatter ist, steht für ihn fest: „Es ist ein schöner Beruf.“ Einer, der ihm bei allem Leid, das er jeden Tag sieht, durchaus Freude bereitet.