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Rechenschwäche ist im Vormarsch

Von ANNE PASSOW 21.10.2008, 16:18

KÖTHEN/MZ. - "Insgesamt beobachte ich von Jahr zu Jahr eine Zunahme der Probleme, die Kinder im schulischen Bereich und in ihrem Verhalten aufzeigen", berichtet Al-Manssour der MZ. Probleme im schulischen Bereich, das können Lernstörungen oder Probleme in der Schulfähigkeit sein, also die Fähigkeit der Kinder, den Schulalltag erfolgreich zu bewältigen.

Das kann auch eine Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) oder eine Rechenschwäche sein. Während im Altkreis Köthen die Zahl der Kinder, die mit LRS beim Schulpsychologen angemeldet wurden, in den vergangenen Jahren eher konstant geblieben sei, habe sich die Zahl derer, die mit einer Rechenschwäche kamen, vervielfacht, so Al-Manssour: "Es haben sich etwa 40 bis 50 Prozent mehr Kinder mit einer Rechenschwäche bei uns angemeldet."

Probleme, die auch Horst Binkau kennt. Der Köthener ist Inhaber der Nachhilfeschule "Lernen ohne Stress" in Köthen. "Die Zahl der Kinder, die mit LRS oder Konzentrationsstörungen zu uns kommen, hat in den letzten Jahren zugenommen", sagt er und gibt zu bedenken, dass das nur die Spitze des Eisberges sei: "Die, die wirklich Probleme haben, werden von ihren Eltern häufig gar nicht zur Nachhilfe geschickt."

Seine Frau Radegundis Binkau, die auch in der Nachhilfeschule tätig ist, erzählt davon, dass es bei immer mehr Schülern im Textverständnis und beim flüssigen Lesen hapern würde. "Mit LRS oder Konzentrationsschwierigkeiten kommen vor allem Grundschulkinder zu uns. Schüler der fünften bis neunten Klasse haben häufig Probleme mit der Aufnahmefähigkeit", so Radegundis Binkau.

Auch Binkaus Kolleginnen Karin Hofmann und Christa Nagel vom "Studio für Nachhilfe und spezielle Förderung" erleben so etwas täglich. "Wir hatten schon Schüler aus der neunten Klasse hier, die kaum lesen und schreiben konnten", berichtet Hofmann.

Aktuell kümmere sich eine Spezialkraft für LRS ihres Nachhilfestudios um vier Kinder. "Weil uns aufgefallen ist, wie schlecht die Leseleistungen vieler Kinder und Jugendlicher sind, haben wir eine Leseschule eingerichtet", erzählt Christa Nagel. Sie fügt aber gleich hinzu, dass sich - trotz der augenscheinlichen Notwendigkeit einer solchen Einrichtung - keine Interessenten dafür gefunden hätten.

Woher kommt es aber, dass Kinder und Jugendliche diese Probleme in der Schule haben? "Eine Ursache liegt sicherlich zu Hause", so Issa Al-Manssour. Zu viel Verwöhnung in der Erziehung könne eine Ursache für Probleme wie LRS sein. "Ich bin zwar Psychologe, aber 60 bis 70 Prozent meiner Fälle sind Erziehungsfälle", betont Al-Manssour.

Eine Einschätzung, die auch Radegundis Binkau teilt: "Wenn Kinder nicht von klein auf an Bücher herangeführt werden, dann kann das auch eine Ursache für eine Leserechtschreibschwäche sein." Kinder, die Probleme mit der Konzentration hätten, fehle es häufig an Bewegung. "Kinder müssen herumtollen, um ausgeglichen zu sein", so Binkau, die in ihren Nachhilfestunden auch häufig gegen Ablenkungsfaktoren wie MP3-Player oder Handys angehen muss.

Und Christa Nagel berichtet: "Ich beobachte, dass die Motivation der Schüler insgesamt deutlich nachgelassen hat." Sie habe mit vielen Jugendlichen zu tun, die die Einstellung hätten, am Ende sowieso Hartz 4 zu beziehen.

"Mädchen erzählen uns oft, sie wollten Top-Model werden oder einen Millionär heiraten", so Nagel, die gemeinsam mit ihrer Kollegin versucht, ihren Schützlingen eine etwas realistischere Einschätzung ihres zukünftigen Lebens zu vermitteln.

Karin Hofmann fasst dieses Vorhaben in einem Satz zusammen: "Wir wollen den Jugendlichen zeigen, dass sie sich durch Wissen einen Vorsprung erarbeiten können und dass das ihre Chance auf dem Arbeitsmarkt ist."