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Nach dem Hochwasser in Diebzig Nach dem Hochwasser in Diebzig: Kein Einzug zum Weihnachtsfest

Von ute nicklisch 03.12.2013, 18:51
Nachbarin Gundula Wagner (l.) bringt Steffi Seidel die fertige Wäsche ins Haus. Nach oben in die provisorische Stube geht es über eine Leiter.
Nachbarin Gundula Wagner (l.) bringt Steffi Seidel die fertige Wäsche ins Haus. Nach oben in die provisorische Stube geht es über eine Leiter. ute nicklisch Lizenz

diebzig/MZ - Ein Blick aus dem Fenster hinüber zum Nachbarn im Mühlenweg verrät: Der Wohnwagen steht nicht mehr davor, die müssen wohl eingezogen sein. „Man ist schon ein bisschen neidisch, aber natürlich gönnen wir es ihnen“, gesteht Werner Seidel. In seinem Haus dagegen, das idyllisch gelegen im Diebziger Pförtlingsgraben steht, ist an einen normalen Wohnalltag noch lange nicht zu denken.

Fernseher wird nicht vermisst

Das Hochwasser im Frühsommer hatte sein Haus so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass bis auf die Grundmauern und den sandigen Untergrund alles entkernt werden musste. 40 Zentimeter hoch stand die braune Brühe wochenlang in Wohnzimmer und Küche. „Es erschien einem alles so unwirklich“, schildert Steffi Seidel ihre Empfindungen, als sie ihr Kleinod vom Wasser eingeschlossen vorfand. Während der Evakuierung wohnten die Seidels bei Verwandten in Großpaschleben. Als jedoch das Wasser gewichen war, quartierten sie sich im Obergeschoss ihres Häuschens ein. Viel Platz bleibt da bei einer gesamten Wohnhausfläche von 110 Quadratmetern nicht. Zudem ist ihr Quartier lediglich über eine Leiter zu erreichen. Dinge wie Fernseher seien eingelagert und auch sonst lerne man sich einzuschränken. „Wir vermissen das Fernsehen nicht. Dafür erzählen wir viel mehr miteinander“, findet Steffi Seidel immer wieder positive Aspekte an ihrer Situation.

Am 8. Juni 2013 begann in Diebzig wegen des aus Richtung Breitenhagen und Groß Rosenburg herannahenden Hochwassers die Evakuierung. Sie dauerte über zwei Wochen und damit länger als in anderen Orten. Erst am 24. Juni wurde die Evakuierung aufgehoben. Fast alle Grundstücke in Diebzig wurden überflutet. Den Diebzigern sind erhebliche Schäden an ihren Häusern entstanden. Doch auch die Landwirtschaftsbetriebe mussten große Einbußen hinnehmen. Allein beim Spargel entstand der Agrargesellschaft Wulfen ein Verlust von rund 500 000 Euro.

Fünf Monate sind bereits seit dem Hochwasser verstrichen und seit zwei Wochen erst haben die Rohbauarbeiten in ihrem Heim begonnen. Eine von der Versicherung beauftragte Sanierungsfirma begann zwar schon im Sommer mit der Entkernung. Hierbei jedoch kam es schon zu ersten Komplikationen. Nach der Entfernung der Bodenplatte wurde das Fundament beschädigt, so dass letztendlich das komplette Fundament des kleinen Landhauses entfernt werden musste. Nach wiederholten Ermahnungen gingen die Arbeiten schleppend voran. Im Anschluss nahmen Trockner über mehrere Woche das Haus in Beschlag. Diese Zeit nutzten die Seidels zu einem Besuch ihres Sohnes samt neu angekommenen Enkelkind in Kanada. Zwar konnten sie etwas Kraft und Ablenkung schöpfen, bis sie bei ihrer Rückkehr nach Diebzig fest stellen mussten, dass nichts voran ging. So strichen die Wochen der warmen Jahreszeit ins Land und nichts passierte. Hinzu kamen Unstimmigkeiten mit der Versicherung in Bezug auf die zusätzlich entstandenen Kosten. Obwohl man sich bewusst für eine Form der Versicherungsleistung ohne finanzielle Begrenzung entschied und somit den entsprechenden Beitrag bezahlte.

Nachdem die kalte Jahreszeit immer näher rückte, engagierten die Seidels schließlich selbst die ausführenden Gewerke auf Empfehlungen ihrer Nachbarn. „Wir wollten auf jeden Fall Handwerker aus der Umgebung“, erklärt Werner Seidel, der selbst seit über zwanzig Jahren als Gas-und Wasserinstallateur auf Montage arbeitet. Steffi Seidel ist als Vermessungsingenieurin in einem Dessauer Büro tätig und regelt so unter der Woche alles allein.

Obwohl den beiden Wahldiebziger manchmal zum Weinen zu Mute war, scheinen sie ihren Humor niemals verloren zu haben. So überlegte man witzelnd, ob vielleicht Feuchtraumsteckdosen eingebaut werden sollten oder schwimmendes Parkett verlegt werden sollte. Auch die Anschaffung eines Bootes für das nächste Hochwasser wurde bereits in Erwägung gezogen. „Jeder geht mit der Situation ganz unterschiedlich um“, hat die 55-jährige erfahren.

Auch die Hilfsbereitschaft untereinander sei „wie in einer Kommune“, erzählt der quirlige Hausbesitzer. Da auch zahlreiche benachbarte Häuser betroffen waren, wurde so die Wäsche gemeinsam in einer Waschmaschine gewaschen oder auch die Mahlzeiten zusammen für alle gekocht. „Erst heute morgen bekamen wir wieder frischen Kuchen“, erzählt Steffi Seidel von rührenden Fürsorge der Familie Heidenreich.

Obwohl Heidenreichs nur ein paar Meter entfernt im übernächsten Haus wohnen, blieben sie auf Grund einer erhöhten Bauweise vom Wasser fast verschont. Die benachbarte Familie Friedel dagegen hatte es mindestens genauso stark erwischt. Die aus Baden-Württemberg stammende Familie baute fast zeitgleich mit den Seidels dort ihr Häuschen.

Psyche war zeitweilig am Boden

Während man anfangs noch auf ein Weihnachtsfest im eigenen Haus hoffte, so rechnen die Bewohner des Pförtlingsgrabens inzwischen mit einer Fertigstellung im März. „Ich habe am 5. März Geburtstag. Den möchte ich gern wieder in unserem Haus feiern“, hat sich Steffi Seidel zum Ziel gesetzt. Und obwohl zeitweise die Psyche am Boden war, so kam den Seidels nicht ein einziges Mal der Gedanke des Aufgebens. „Schöner als hier kann man doch gar nicht wohnen“, sagt der 58-jährige Wahldiebziger und schwärmt von den wunderbaren Sonnenaufgängen, den seltenen Vögeln und der Natur. Vor 26 Jahren entschloss sich die in Köthen wohnhafte Familie genau dort ihr Häuschen zu bauen. Seitdem haben sie den Entschluss nie bereut. Nicht nur die idyllischen Lage zählt für sie, sondern auch die intakte Dorfgemeinschaft, in die sie sich wunderbar eingelebt haben.

Die Nachbarschaftskommune mit Werner und Steffi Seidel, Maria Friedel, Dieter Würker-Friedel und Gundula Wagner (v.l.) trifft sich bei Seidels zum Kaffee.
Die Nachbarschaftskommune mit Werner und Steffi Seidel, Maria Friedel, Dieter Würker-Friedel und Gundula Wagner (v.l.) trifft sich bei Seidels zum Kaffee.
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