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Museumsgespräch Köthen Museumsgespräch Köthen: Mit Haube Warze und Energie

Von steffen dörre 30.05.2013, 17:56
Im Schloss lauschen die Zuhörer Ausführungen Jan William Howarts (2.v.r.) und Monika Knofs (re.) über Witwe Aue (kl. Bild).
Im Schloss lauschen die Zuhörer Ausführungen Jan William Howarts (2.v.r.) und Monika Knofs (re.) über Witwe Aue (kl. Bild). heiko Rebsch Lizenz

köthen/MZ - „Ausgangspunkt war dieser kleine Zettel.“ So eröffnete Museumsmitarbeiter Jan William Howard vor etwa 30 Gästen das jüngste Museumsgespräch, das sich mit der Frage beschäftigte: „Wer war Witwe Aue?“

Der Name: Den meisten wohl bekannt durch den Witwe-Aue-Weg in der Rüsternbreite. Schon am Eingang bekommt sie ein Ölbildgesicht: Eine alte Dame des 19. Jahrhunderts, mit Spitzenkragen, Haube und Warze neben der Nase – wie sie ins Klischeebild dieser Zeitepoche passt. Und dann gibt es da eben noch die Tasse, auf die jener winzige, alte Zettel verweist, der Howard über 15 Jahre umtrieb: „Tasse aus der Biedermeierzeit, 1928, für sechs Mark gekauft…“

Nur die Tasse selbst, die war nicht auffindbar. Bis eines Tages die Blicke in einer Vitrine hängen-blieben – und sich die Geschichte der Tasse mit dem Zettel verband. Aufgemalt: die Häuser 17 und 18 der Wallstraße. Vor der Tür: Johanne Wilhelmine Aue. Durchs Fenster zu sehen: zwei Schriftsetzer bei der Arbeit. 2012 nahezu wundersam wiederentdeckt, zeigt die Tasse nicht nur eine seltene Ansicht Köthener Fachwerks, sondern auch die Momentaufnahme einer Köthener Bürgerin, die über vier Jahrzehnte die Köthener Druck- und Verlagslandschaft bestimmte.

Geboren am 2. Februar 1766 als älteste von drei Töchtern des Druckermeisters Schwarzkopf, war Johanne Wilhelmine Bewohnerin jener Häuser, über deren Umfeld Stadtarchivarin Monika Knof einiges zu berichten wusste. Dass für die Bebauung vor dem Walle eigens die Stadtmauer durchbrochen wurde etwa. Oder dass die Nummerierung mehrfach wechselte, die damalige Nr. 1 die heutige Tchibo-Filiale ist, während die heutige Nummerierung von der anderen Seite her beginnt – von Deichmann aus. Dass die Grundstücke zur Fasanerieseite ursprünglich Gartengrundstücke waren, und dass die auf edlem Porzellan verewigten Bauten sich schräg gegenüber der heutigen Einfahrt zur Tiefgarage befanden. Dass an der Schwelle zum 18. Jahrhundert die Gebrüder Aue eine Lesebibliothek und einen Buchhandel dort führten, von denen einer am 15. Januar 1799 Johanne Wilhelmine heiratete – und schon 1804 verstarb und sie so mit gerade 37 Jahren zur Witwe und Erbin der Gebäude machte, in denen sich damals die einzige Cöthen’sche Druckerei befand, in der auch Zeitung „gemacht“ wurde.

„Die Cöthener Zeitung war ein Intelligenzblatt“, so führt Howard den Vortrag weiter, „und als solches konnte sie 1810 der napoleonschen Verbotswelle entgehen.“ Als Intelligenzblatt bezeichnete man damals rein informative Anzeigenblätter ohne politische „Richtung“. Veröffentlichungen des Landesherren über Ordensverleihungen, Hoftrauer oder die Besetzung staatlicher Stellen folgten überregionale Kurznachrichten aus Preußen . Termine von Gottesdiensten, Tauf-, Konfirmations- und Sterbeverzeichnissen folgten gewerbliche Anzeigen etwa aus der Gastronomie, Schlachtetagen, Unterhaltungsabenden. Auch Hausverkäufe, Geldverleih oder Markttage konnte man in der Zeitung finden. Ab 1840 wurde auch der Eisenbahnfahrplan veröffentlicht. Bis zu ihrem Tode 1850 war Witwe Aue somit, wenn nicht „Macherin“, so doch Prinzipalin der Zeitung, Verlegerin und Buchhändlerin – „eine Leistung; in dieser Zeit, über 46 Jahre, und das als Frau“, wie Howard betonte. Nach ihrem Tod führte Paul Schettler die Druckerei mit allen Privilegien fort – aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Witwe Aue
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