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Mit einem Brief fing die Romanze an

Von WLADIMIR KLESCHTSCHOW 23.08.2009, 17:41

KÖTHEN/MZ. - Es war vor 60 Jahren. Am vergangenen Sonntag feierten die Sauers wieder eine Hochzeit - ihre diamantene. Als Gratulant erschien der Köthener Oberbürgermeister Kurt-Jürgen Zander. Ansonsten fand die Feier in einem engeren Kreis statt, wobei nicht nur das Hochzeitsjubiläum, sondern auch ein Geburtstag der Hausherrin begangen wurde: Am 22. August 1927 kam Christa Sauer, geborene Wendt, zur Welt. Ihr Ehemann ist ein Jahr älter.

"Kennen gelernt haben wir uns 1943 in Köthen", erinnert sich Dr. Willi Sauer. "In der damaligen Adolf-Hitler-Straße, der heutigen Weintraubenstraße, gab es einen so genannten Bummel - also eine Flaniermeile. Dort sah ich sie zum ersten Mal."

Das hübsche Mädchen anzusprechen traute sich der schüchterne Willi allerdings nicht. Also schrieb er ihr einen Brief, in dem er seine Adresse mitteilte. Eine gemeinsame Bekannte überbrachte den Brief. So fing die Romanze an, die im Laufe der Jahre noch so manche Prüfung erfahren sollte.

"Ich habe in meinem Leben oft Glück gehabt", sagt Willi Sauer. Und tatsächlich, manches in seiner Biographie lässt vermuten, dass dieser Mann einen fleißigen Schutzengel haben muss. So wurde er zwar 1944 gemustert. Eingezogen wurde Willi Sauer aber erst im August und kam zuerst auf Sylt - in eine Truppe, die heute Marineinfanterie heißen würde. Dann wurde er mit seiner Einheit nach Frankfurt / Oder geschickt, um "die Russen aufzuhalten". "Als wir jedoch ankamen, waren die Russen schon in Frankfurt", so Willi Sauer. Diese Verspätung rettete ihm möglicherweise das Leben.

Nun folgte ein Rückzug in Richtung Berlin. Bei einem Luftangriff warf sich der Soldat Sauer nicht auf die Erde, wie es sich eigentlich gehört, sondern rannte aus irgendeinem Grund los. Und gerade das rettete ihn, während sein Kamerad von einer Bombe getötet wurde. Wachsam war der Schutzengel auch, als Willi Sauers Truppe bei den Kämpfen um die brandenburgische Stadt Damme eingesetzt werden sollte. Sie kam wieder einen Tag zu spät an, als die blutige Schlacht zu Ende war, die vielen Soldaten beiderseits der Frontlinie das Leben kostete. Und als Willi Sauer am 30. April 1945 in die sowjetische Gefangenschaft geriet, gelang es ihm, sich magenkrank zu melden, so dass er bereits im August 1945 nach Hause entlassen wurde. Zuvor war es ihm geglückt, eine Nachricht nach Hause überbringen zu lassen, so dass seine Braut wusste: Willi ist am Leben.

Was macht ein junger Soldat, der einen schrecklichen Krieg überlebt hat, in der Zeit danach? Willi Sauer wurde Neulehrer. Nach einem Lehrgang kam er an die Grundschule in Güsten. Seine junge Frau folgte ihm. Auch sie wurde Lehrerin. Doch eine tückische Krankheit machte ihr einen Strich durch die Rechnung. "Ich musste zu einer Lungenuntersuchung. Danach hieß es: Tuberkulose", erinnert sich Christa Sauer. Es war nicht sicher, ob sie die schwere Krankheit überwindet. "Mein Mann hielt aber zu mir. Das half mir, wieder gesund zu werden." Die ärztliche Empfehlung lautete aber: Keine Überanstrengung." So musste sie den Beruf aufgeben.

Bei Willi Sauer blieb es aber nicht beim Grundschullehrer. Irgendwann landete er am Institut für Lehrerbildung, später Pädagogische Hochschule Köthen. Der sportliche junge Mann war verantwortlich für die Sportausbildung der künftigen Lehrer. An der Hochschule blieb er bis zu seinem Ausscheiden in den Ruhestand 1991. Da war er aber auch schon längst ein promovierter Dozent.

Das Ehepaar Sauer wohnt in der Uhlandstraße, einer ruhigen Ecke von Köthen. "Die Nachbarn sind nett", sagt Christa Sauer. "Es wird gegenseitig geholfen." Das Haus hat ein Wohnzimmer mit einem schönen Blick in einen kleinen Garten. Der Sohn Dietmar Sauer, ein Architekt, gestaltete die Räume so, dass seine Eltern trotz ihres hohen Alters zurecht kommen. Beide sind nicht mehr die gesündesten, jeder hat eine Pflegestufe.

Nach der Wende machten sie eine Reise nach Kreta. Sonst lockt das Ausland die beiden nicht. In ihrer Freizeit profitieren sie gegenseitig von ihren Interessen. "Ich schwärme für Geschichte, er ist ein Hobby-Ornithologe", berichtet Frau Sauer. Auch schöne Künste faszinieren die Eheleute.

Manchmal tauschen sie Erinnerungen an die gemeinsamen Jahre aus. "Auch unser Enkel Michael fragt manchmal: Was hast du im Krieg gemacht, Opa?", so Willi Sauer. Damit seine Erfahrungen nicht verloren gehen, schrieb der Senior vieles auf, ließ die Papierbögen nebst einigen Illustrationen binden. So entstand ein Buch. Erinnerungen an den 2. Weltkrieg sind darin ebenso vertreten wie zum Beispiel die erste Lohnabrechnung als Lehrer in Güsten: 253,34 Reichsmark Grundlohn plus 39,50 Reichsmark Wohngeld.

Anlässlich des Jubiläums wurde ein Foto-Album angeschaut, das auch das Hochzeitbild vor der Agnus-Kirche enthält. "Das Brautkleid war geborgt", weiß Christa Sauer noch. An den Jungen auf dem Bild können sich die Eheleute noch erinnern. Wer aber die beiden kleinen Blumenmädchen waren, wissen die Sauers nicht mehr. 60 Jahre sind eben eine lange Zeit.