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Minderjährige Flüchtlinge Minderjährige Flüchtlinge: Ohne Eltern in Anhalt-Bitterfeld angekommen

Von helmut dawal 05.01.2016, 09:17
Für unbegleitete minderjährige Ausländer gilt eine besondere Fürsorgepflicht. Sie werden nicht in großen Gemeinschaftsunterkünften, sondern meist in Kinderheimen oder im betreuten Wohnen untergebracht.
Für unbegleitete minderjährige Ausländer gilt eine besondere Fürsorgepflicht. Sie werden nicht in großen Gemeinschaftsunterkünften, sondern meist in Kinderheimen oder im betreuten Wohnen untergebracht. Archiv/DPA Lizenz

köthen - Im Landkreis Anhalt-Bitterfeld leben gegenwärtig (Stand 21. Dezember 2015) 39 unbegleitete minderjährige Ausländer. Es handelt sich dabei um Jugendliche, die allein, ohne Begleitung von Eltern oder Angehörigen, aus Krisengebieten nach Deutschland geflüchtet sind. Darüber informierte Andreas Bordnikow in einem MZ-Gespräch. Der 33-Jährige, von Beruf Diplom-Verwaltungswirt, arbeitet seit dem 19. Oktober 2015 bei der Landkreisverwaltung als Amtsvormund und ist ausschließlich für diese ausländischen Jugendlichen zuständig.

45 Prozent der Jugendlichen kommen aus Syrien, 37 Prozent aus Afghanistan. Der Rest stammt aus Burkina Faso, Irak, Iran und Somalia. Es sind allesamt Jungen, zwischen 13 und 17 Jahre alt, teilte Bordnikow mit. Untergebracht sind sie an vier Orten. 22 leben in der ehemaligen Öko-Domäne Bobbe, sechs in Zerbst, sechs in Köthen und fünf in Holzweißig. Mit der Betreuung vor Ort hat der Landkreis freie Träger beauftragt. „Die Träger sind nicht neu in diesem Geschäft. Sie verfügen über langjährige Erfahrung bei der Betreuung von Minderjährigen“, sagte Andreas Bordnikow. So erfolgt die Betreuung in Bobbe durch die Stiftung Evangelische Jugendhilfe St. Johannis Bernburg und in Köthen durch das Evangelische Kinder- und Jugendhilfezentrum der Jakobsgemeinde (Kinderheim Arche). In Zerbst ist das Albert-Schweitzer-Familienwerk zuständig und in Holzweißig die Caritas. Die ersten ausländischen Jugendlichen kamen bereits am 23. November im Landkreis an und wurden zunächst in Deetz auf dem Jugendbauernhof untergebracht. Das rührte daher, dass in den Einrichtungen noch nicht alle Voraussetzungen zur Aufnahme der Kinder gegeben waren, wie Jugendamtsleiter Peter Grimm zur jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses informierte. Es gab nach seiner Schilderung einen Versorgungsengpass bei Möbeln, Betten und Matratzen. In der Öko Domäne Bobbe fehlte zudem eine Küche. Diese Probleme sind aber behoben.

Unkomplizierte Zusammenarbeit zwischen den Ämtern

Zugewiesen wurden die Jugendlichen dem Landkreis durch die Jugendämter Halle und Harz. Letzteres hat eine Außenstelle in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (Zast) Halberstadt. Zwischen den Ämtern gebe es eine unkomplizierte Zusammenarbeit, vieles werde telefonisch geklärt, so dass zügig gehandelt werden könne, schilderte Bordnikow.

Am 1. November 2015 ist das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher in Kraft getreten. Ziel des Gesetzes ist die deutschlandweite Verbesserung der Situation von jungen Flüchtlingen. Das Gesetz soll eine dem Kindeswohl entsprechende, bedarfsgerechte Unterbringung, Versorgung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen sicherstellen. Das Gesetz regelt eine landesinterne und bundesweite Aufnahmepflicht der Länder, die sich am Kindeswohl und dem besonderen Schutzbedürfnis von unbegleiteten Minderjährigen ausrichtet.

Zugleich wird das Mindestalter zur Begründung der Handlungsfähigkeit im Asylverfahren von 16 auf 18 angehoben. Dadurch bekommen auch 16- und 17-Jährige für das komplexe Asylverfahren einen gesetzlichen Vertreter und werden nicht länger wie Erwachsene behandelt.

Wird die Ankunft unbegleiteter minderjähriger Ausländer dem Landkreis angekündigt, beginnt ein großes bürokratisches Prozedere mit vielen Formalien. „Zunächst erfolgt die Inobhutnahme der Jugendlichen durch den allgemeinen sozialen Dienst, das sind Sozialarbeiter unseres Jugendamtes“, erläuterte Bordnikow. Danach werde beim Amtsgericht der Vormund bestellt. Unterbringung, Versorgung, Ausstattung mit notwendigen Dingen wie beispielsweise Winterkleidung, Gesundheitsuntersuchung und Schutzimpfung sind weitere Maßnahmen, die erfolgen müssen. „Unser erster Schritt besteht aber darin, die Jugendlichen schnell von der Straße zu holen und sie in einer Einrichtung unterzubringen“, betonte Andreas Bordnikow. Wenn das durch sei, könne die ausländerrechtliche Erfassung erfolgen. Der Amtsvormund bereite das komplette ausländerrechtliche Verfahren vor und prüfe, welcher Asylantrag gestellt werden müsse. „Das ist einer der kritischsten Anträge überhaupt im ganzen Verfahren. Wenn man den falschen stellt, könnte das Kind mitunter eine dreijährige Sperre bekommen. Und man riskiert eine Ausreise, die das Kind vielleicht ins Elend stürzt“, erläuterte der Amtsvormund. Bearbeitet und entschieden werde der Antrag beim Bundesamt für Migration.

Er müsse sich um vielerlei Probleme kümmern. „Denn wenn die Jugendlichen ankommen, ist für sie noch nichts geregelt.“ Sie haben im Regelfall keine Ausweisdokumente dabei und verfügen auch nicht über eine Krankenversicherung. Das und anderes mehr müsse geklärt werden. Krankenversichert seien die Jugendlichen bei der AOK, von der sie auch eine Chipkarte bekommen. „Die gesundheitliche Betreuung wird aber nicht aus dem Topf der AOK-Versicherten bezahlt“, betonte Abdreas Bordnikow.

Flucht vor den Taliban

Die jungen Leute verlassen ihre Heimat aus ganz unterschiedlichen Gründen, hat Bordnikow in persönlichen Gesprächen erfahren. Manche werden beispielsweise mit 15 oder 16 Jahren losgeschickt, da seien sie schon relativ eigenständig. Los geschickt würden sie in der Hoffnung, dass die Familie nachziehen könne. Bei den jungen afghanischen Flüchtlingen gehe es überwiegend darum, dass die Taliban in den von ihnen kontrollierten Gebieten Kindersoldaten rekrutieren und sich viele Jungen dem entziehen wollen und fliehen. Manche Jugendliche, so Bordnikow, äußern sich zu ihren Gründen nicht.

Die Jugendlichen aus Syrien und Afghanistan seien „sehr westlich orientiert“, schätzte der Amtsvormund ein. Sie würden sich von deutschen Jugendlichen kaum unterscheiden. „Einige sind ein bisschen aufgedreht, andere etwas schüchtern, und es gibt auch ganz normale Jugendliche.“ Sie hätten alle Leistungen frei und bekämen ein kleines Taschengeld von monatlich 40 Euro. „Das Taschengeld soll ihnen beim Selbstständigwerden helfen.“

In den Unterkünften, deren Niveau mit Jugendherbergen vergleichbar sei, stehe das Erlernen der deutschen Sprache an erster Stelle. „Darauf legen wir großen Wert. Innerhalb eines Quartals sollten sie einfaches Touristendeutsch sprechen können“, so Andreas Bordnikow. Auch die Schulpflicht befinde sich auf der Prioritätenliste des Jugendamtes. Sie greife, wenn das sogenannte Clearingverfahren erfolgt sei. In diesem Verfahren verschaffen sich die beteiligten Stellen unter Federführung des Jugendamtes Klarheit über das Alter, den Entwicklungs- und Bildungsstand und die Gesundheit des Kindes oder Jugendlichen, um dann weitere Maßnahmen festzulegen. (mz)