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Mehr als ein Rauschmittel Mehr als ein Rauschmittel: Hanf aus Anhalt-Bitterfeld soll zum Dämmstoff werden

Von Helmut Dawal 15.08.2017, 05:02
Das Hanffeld bei Prosigk dient Versuchszwecken.
Das Hanffeld bei Prosigk dient Versuchszwecken. Archiv/Dawal

Köthen - Der Anbau von Hanf wird oft sehr misstrauisch beäugt. Viele bringen die Pflanze nur in Verbindung mit dem berauschenden Haschisch. Was viel zu kurz gedacht ist. Hanf lässt sich auch anders verwenden, beispielsweise als Dämmstoff in der Bauwirtschaft.

Dafür gibt es zwei neuartige Produkte, die in der Canatur innova GmbH entwickelt wurden, die ihren Sitz in Brehna hat. Die neuen Erzeugnisse heißen Canapor und Canatherm, sind patentiert und haben Produktionsreife erlangt.

Was jetzt noch fehlt, ist eine Fabrik, in der die beiden Dämmstoffe hergestellt werden. Und Investoren, die bereit sind, mit in dieses Projekt zur Nutzung nachwachsender Rohstoffe einzusteigen.

„Wir wollen den Hanf zu hundert Prozent nutzen“

„Wir stehen in den Startlöchern“, sagt Andreas Rauer. Der Köthener, von Beruf Ingenieur für Elektrotechnik, ist seit 1994 mit Canatur-Geschäftsführer Dr. Rolf Schneider befreundet. Schneider ist Diplom-Agrar-Ingenieur und Spezialist im Bereich des Anbaues und der Weiterverarbeitung von nachwachsenden Rohstoffen.

Er hat die Entwicklung der neuartigen Dämmstoffe maßgeblich vorangetrieben, dazu auch mit dem Fraunhofer-Institut zusammengearbeitet. Andreas Rauer war von dem Projekt fasziniert und brachte sein technisches Wissen in das Vorhaben ein.

Bislang, erläutert Rauer, werden in der Industrie vom Hanf nur 25 Prozent verarbeitet, nämlich die Fasern. Die anderen drei Viertel der Pflanze, die holzähnlichen sogenannten Schäben, werden als Tiereinstreu verwendet, beispielsweise in Pferdeställen. „Wir gehen in der Verarbeitung einen Schritt weiter. Wir wollen den Hanf zu hundert Prozent nutzen und auch die Schäben wertschöpfend verarbeiten.“

Hanf-Dämmplatten sind atmungsaktiv, was gut für das Raumklima ist

Das ist mit beiden Produkten gelungen. Canatherm besteht je zur Hälfte aus Hanffasern und Schäben, ist eine weichere Dämmplatte, die beispielsweise in Zwischensparren verbaut werden kann. Canapor hingegen wird komplett aus Schäben hergestellt, und ist deutlich härter.

„Die kann ich direkt als Dämmplatte nehmen und Putz auftragen. Mit einem Ständerwerk ist sie auch als Zwischenwand geeignet“, erläutert Rauer. Der Vorteil: die Hanf-Dämmplatten sind atmungsaktiv, was gut für das Raumklima ist, und sie haben gute Schalldämmwerte.

Im Jahr 2007 wurde mit dem Projekt begonnen, erfolgten zahlreiche Tests. „In einem Technikum in Italien, das über geeignete Maschinen verfügt, haben wir Nullserien produziert“, schildert Rauer. Das Material wurde ausgiebig getestet und weiter verbessert. „Jetzt sind wir so weit. Die Technologie steht, auch die Maschinenlieferanten haben wir gefunden.“

Rund 30 Millionen Euro sollen in den Hanfanbau und die Verarbeitung investiert werden

Entstehen soll die Fabrik mit 60 bis 65 Arbeitsplätzen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Der genaue Standort steht noch nicht fest. Rund 30 Millionen Euro sollen investiert werden. Für das Vorhaben hat das Bundesumweltministerium 4,1 Millionen Euro Fördermittel aus dem Umweltinnovationsprogramm bereit gestellt. Auch das Land Sachsen-Anhalt hat Rauer zufolge eine Förderung zugesagt.

Geplant ist, in der Fabrik jährlich rund 30.000 Tonnen Hanf zu verarbeiten. Der soll auf den Feldern der Region heranwachsen. Es werden etwa 3.000 bis 4.000 Hektar benötigt, um die geplante Hanfmenge zu bekommen.

„Der Hanfanbau ist für die Landwirte ein interessantes Projekt“, sagt Herbert Hartung. Der Ex-Landtagsabgeordnete der CDU aus Cösitz kennt seit längerem das Canatur-Vorhaben und hilft mit, dafür die Werbetrommel zu rühren und Kontakte zu den hiesigen Bauern zu knüpfen. So organisierte Hartung beispielsweise im Vorjahr eine Informationsveranstaltung in Quellendorf, wo das Hanf-Projekt vorgestellt wurde.

Feuchte Böden sind für den Hanfanbau ideal

Gerade feuchte Böden, die für andere Kulturen nicht geeignet sind, seien für den Hanfanbau ideal. Der Hanf, so Hartung, brauche weniger Stickstoffdünger und kein Pflanzenschutzmittel, Unkraut habe auf einem Hanfschlag trotzdem keine Chance.

„Für die Landwirte ist der Anbau von Hanf ein lohnendes Geschäft“, ist Hartung überzeugt. Auf einem Schlag am Ortsausgang von Prosigk in Richtung Gnetsch befindet sich gegenwärtig ein Hanffeld, das im Auftrag von Canatur zu Testzwecken angelegt wurde.

Dämmplatten aus Hanf sparen Energie und isolieren vor Schall vom Nachbarn

Die Dämmplatten, die in den Nullserien entstanden, haben die Erwartungen der Entwickler erfüllt. „Ich habe es bei mir zu Hause verarbeitet. Seitdem höre ich meine Nachbarn nicht mehr“, schildert Andreas Rauer. Auch bei der Wärmedämmung hat das Material hervorragende Eigenschaften. „Im Winter ist die Abkühlung nicht so groß, und im Sommer hält sich die Aufheizung in Grenzen“, sagt Rauer.

Die Dämmplatten aus Hanf haben auch die Experten im Bundesumweltministerium überzeugt. Durch die Verwendung dieser Produkte sei es möglich, circa 33.000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr einzusparen. „Durch die vorteilhaften Dämmeigenschaften können zudem erhebliche Energieeinsparungen bei der Raumklimatisierung erreicht werden“, heißt es in einer Mitteilung des Ministeriums. (mz)

Andreas Rauer (l.) und Herbert Hartung präsentieren Dämmstoffteile aus der Testproduktion. Was durch Rauers Hand rieselt, sind die Hanfschäben. Bislang werden sie als Einstreu in Ställen verwendet. Künftig sollen sie mit verarbeitet werden.
Andreas Rauer (l.) und Herbert Hartung präsentieren Dämmstoffteile aus der Testproduktion. Was durch Rauers Hand rieselt, sind die Hanfschäben. Bislang werden sie als Einstreu in Ställen verwendet. Künftig sollen sie mit verarbeitet werden.
Heiko Rebsch