Köthener Kleingartenverein Köthener Kleingartenverein: Lauben aus Fisch-Kisten

Köthen/MZ - „Im strengen Winter 1946/47 war eine Fläche Gerste vom Kirchgut Wülknitz völlig ausgewintert. Diese lag in südlicher Richtung von Köthen am so genannten Zollhaus hinter der Köthener Stadtgrenze an der Edderitzer Straße“, so wird in der Chronik der Kleingartenanlage „Zollhaus “ jenes Terrain beschrieben, auf dem sich kurz darauf die ersten Kleingärtner ansiedelten.
Not war groß
Es waren vor allem Heimatvertriebene aus dem Sudetenland, aus Ostpreußen oder Oberschlesien die 1945 als Flüchtlinge unter anderem auch nach Köthen kamen.
In dieser Woche veröffentlicht die MZ zum 30. Mal eine Geschichte im Rahmen der Serie „Leser erzählen eine Geschichte“. Wir freuen uns über den regen Zuspruch, den diese Serie, die zugleich ein Stück Heimatgeschichte erzählt, findet. Das ermutigt uns, die Serie fortzusetzen. Melden kann man sich bei: Ute Hartling-Lieblang, Tel. 03496/3099622, oder [email protected].
Die Not war groß, es fehlte am Lebensnotwendigsten. Die Umsiedler kamen meist aus katholischen Gebieten und wandten sich in ihrer Not an den damaligen Seelsorger der katholischen Gemeinde, Pfarrer Franz Schulte. Der sah eine Möglichkeit zu helfen, darin, diesen Menschen Land zu geben, auf dem sie selbst etwas anbauen konnten, um ihren Hunger zu stillen. Durch geschickte Verhandlungen mit dem damaligen russischen Kommandanten sei es gelungen, vom Wörbziger Versuchsgut zehn Hektar Ackerland zur Verfügung zu stellen. Da diese Fläche aber zu abseits der Stadt lag, kam es später zu dem Flächentausch am Zollhaus.
Überlieferungen werden weitergegeben
Seit 2007 befasst sich Siegfried Hauschild (von 1990 bis 2006 Vorsitzender des Vereins) mit der Geschichte der Anlage und kann darüber viel erzählen. „Es wäre schön, wenn auch das einmal für die Zeitung aufgeschrieben werden würde“, so der 79-Jährige, der der MZ seine Recherchen zur Verfügung stellte. Vieles, was überliefert ist, stammt von dem inzwischen verstorbenen Mitglied Karl Drückeferken, sagt Hauschild, der ab 1951 eine Parzelle in der Anlage „Zollhaus“ bewirtschaftete.
Wie Drückeferken, der aus Annaburg stammte, ist auch Siegfried Hauschild nicht in Köthen geboren, sondern in Gera. 1972 kam er als Assistent an die Köthener Hochschule, Sektion Pädagogik, die sich damals noch in der Thälmannstraße (heute Weintraubenstraße), befand. In Köthen promovierte Hauschild und wurde Lektor. 1979 entschloss er sich mit seiner Frau Irmgard (78) nach Köthen zu ziehen. Da beide passionierte Hobby-Gärtner sind, dauerte es nicht lange, bis sie sich einen Garten am „Zollhaus“ nahmen, wo sie auf 400 Quadratmetern auch heute noch Gemüse anbauen, Obst und Beeren ernten. Zur Familie gehören inzwischen zwei Kinder und drei Enkel. „So lange wir es noch können, geben wir den Garten nicht auf“, schwören die Hauschilds, die in einer Neubauwohnung am Biendorfer Bogen zu Hause sind. Sport und Gartenarbeit halten sie jung.
Eigentümer von Grund und Boden
Seitdem Siegfried Hauschild 2006 den Vorsitz des Vereins abgegeben hat, findet er mehr Zeit, sich der Chronik zu widmen, die er inzwischen um die Jahre seit 1980 ergänzt hat. Vor zwei Jahren, als die Anlage ihren 65. Geburtstag feierte, hat Hauschild einen Rückblick gehalten. Da blieb natürlich der Blick in die Geschichte nicht aus. Als Gründungsdatum ist der 17. April 1947 verbrieft. Doch damals verfügte man noch nicht über den nötigen Grund und Boden. Am 12. Juni 1948 wurde der Kauf des Bodenreformlandes dann vollzogen. Was dem Verein nach der Rückübertragung infolge der politischen Wende heute einen Sonderstatus verschafft. „Wir sind im Unterschied zu anderen Kleingartenvereinen Eigentümer des Grundes und Bodens“, erklärt Hauschild.
Überall Engpässe
Bei der endgültigen Gründung des Vereins am 24. April 1947 trugen sich 480 Mitglieder ein, davon bekamen dann aber nur 117 eine Parzelle. Der Anfang gestaltete sich schwierig. Die Parzellierung, die teilweise Beräumung des Geländes von Schotter und dazu die extreme Trockenheit des Sommers 1947 werden in der Chronik beschrieben. Außerdem war kein Wasser vorhanden, überall gab es Engpässe. Zum ersten Vorsitzenden wurde Paul Boehm gewählt, der den Vorsitz bis 1952 inne hatte. Unter seiner Ägide musste im Oktober 1951 die angefangene Kleingartenanlage am Zollhaus allerdings wieder geschlossen werden. „Es hieß damals, dass die Rote Armee das Gelände für die Erweiterung der Rollbahn am Flugplatz braucht“, erklärt Hauschild. Das habe sich zwar nicht bewahrheitet, dennoch erfolgte die Verlegung zum heutigen Standort am Großwülknitzer Feldweg. Vielleicht habe man die Kleingärtner einfach nicht so dicht am Flugplatz haben wollen, um dort ungestört zu sein. Die Neugestaltung der Anlage übernahm der hallesche Gartenarchitekt Heinz Sauerzapf. So wie sie damals konzipiert wurde, zeigt sie sich noch heute. „Sieht das nicht aus wie in Sanssouci?“ wurde die MZ einmal bei einem Besuch in der Anlage 2001 gefragt. Und tatsächlich gibt es dort sehr großzügig angelegte Wege, auf denen selbst ein Lkw Platz hat, wie in wohl keiner anderen Köthener Anlage. Das wurde dem damaligen Vorsitzenden Boehm zum Verhängnis. Ihm wurde vorgeworfen, er hätte auf diese Weise wertvolles Ackerland vergeudet, was ihn zur Flucht aus dem Osten veranlasste, wodurch er der Haft entging. Boehm hat aber nach der Wende noch viele Jahre Kontakt zum Köthener Verein gehalten. 2001 traf die MZ den damals 87-Jährigen aus Nordholm gemeinsam mit seinen Töchtern beim Gartenfest in Köthen, wo er bei Hauschilds zu Kaffee und Kuchen eingeladen war. Damals erzählte Boehm, den es 1944 aus Oberschlesien nach Köthen verschlagen hat: „Ich kann mich noch gut an die Gründung erinnern.“ Damals erfuhr die MZ auch, dass die ersten Lauben in der Anlage aus Kisten von Fisch-Bienert gezimmert wurden.
Frau an der Vereinsspitze
Es ist nicht möglich, alle wichtigen Ereignisse aus der Vereinsentwicklung hier aufzuschreiben. Nur einige sollen noch genannt werden: 1955 wurde die Anlage auf 171 Gärten erweitert. 1957 erfolgte der erste Spatenstich für das Vereinsheim, wegen Materialknappheit wurde es erst im Juni 1968 fertig. Dort wurden u.a. Steine vom Abriss der ehemaligen Asylbaracke gegenüber der Knochenmühle verwendet und in harter Arbeit abgeputzt. Später folgten der Bau elektrischer Leitungen und einer Trinkwasserleitung. Nach der Wende bekam die Anlage Telefonanschluss. Mit allerlei Tricks gelang es dem Verein, die Ersparnisse von 4000 Ostmark 1:1 über die Wende zu retten. Am 19. Mai 1990 gab es die ersten freien Vorstandswahlen nach der Wende. Unter Vorsitz von Siegfried Hauschild wurden als erstes die Besitzverhältnisse des Vereins geklärt, der sich jetzt Kleingartenverein Zollhaus nannte. Nach langem Kampf gelang es dem Verein, die Asphaltierung des Feldwegs zur Anlage durchzusetzen, als Anbindung an den Radweg nach Edderitz. Der heutige Vorsitzende Peter Partzek ist der zehnte seit Paul Boehm, wobei zwei Vorsitzende zweimal amtierten. Nur einmal stand eine Frau dem Verein vor.
