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Köthen Köthen: «Susanne war RAF»

Von katrin noack 01.05.2012, 18:13

köthen/MZ. - Sie war der Schrecken in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Rote Armee Fraktion (RAF) erschütterte die Bundesrepublik der 70er Jahre mit Überfällen, Sprengstoffattentaten, aber vor allem mit zahlreichen brutalen Morden an bekannten Persönlichkeiten des Landes. Ein Mitglied der Terrororganisation war Susanne Albrecht, die nach ihrem Ausstieg aus der RAF in der DDR Unterschlupf fand. Ein Jahr lang, von 1985 bis 1986, lebte sie als Ingrid Becker mit Mann und Kind in Köthen und und unterrichtete an der damaligen Ingenieursschule.

Freundschaft zerbricht am Attentat

Diesen Umstand nahmen die Neue Fruchtbringende Gesellschaft und die Kreisvolkshochschule zum Anlass, der früheren RAF-Terroristin im Rahmen von "Anhalt 800" und dem "Sprachforum" eine Veranstaltung zu widmen. Am Donnerstagabend luden sie Julia Albrecht Corinna Ponto zu einer Lesung ihres gemeinsamen Buches "Patentöchter" in die Köthener Martinskirche ein.

Die beiden Frauen stehen für die Tragödie, die mit dem Terror der RAF verbunden ist. Julia Albrecht ist die jüngere Schwester von Susanne Albrecht. Corinna Ponto die Tochter des Bankiers Jürgen Ponto, der von der der RAF unter maßgeblicher Beteiligung Susanne Albrechts 1977 in seinem eigenem Haus ermordet wurde. Beide Familien waren bis zum Attentat miteinander eng befreundet. An dem Mord zerbrach die Freundschaft. Erst im Jahr 2007 wagte Julia Albrecht eine Annäherung an die frühere Bekannte Corinna Ponto und schrieb ihr einen Brief. Diese antwortete. Der Briefwechsel beider Frauen ist als Buch "Patentöchter" 2011 veröffentlicht worden.

An diesem persönlichen Versuch einer Aufarbeitung der Ereignisse ließen die Frauen auch das Köthener Publikum teilhaben. Im Wechsel trugen sie Passagen der eigenen Briefe vor und stellten zwei verschiedene Perspektiven zu dem Attentat, dem Verschwinden, der Gefangennahme und schließlich des Prozesses gegen Susanne Albrecht dar. Um Opfer oder Täter ging es nicht, sondern vielmehr um das persönliche Ringen mit den Ereignissen.

So beschrieb Corinna Ponto die Rücksichtslosigkeit der RAF gegenüber ihrer Familie, die es wagte, sogar bei der gut bewachten Trauerfeier für den ermordeten Jürgen Ponto einen Sprengsatz in dessen Haus zu legen und damit der Mutter die letzte Kraft raubte. "Sie wurde ohnmächtig, sie konnte nicht mehr", schilderte die Tochter.

Und sie beschrieb die eigene Lähmung und Sprachlosigkeit, als Susanne Albrecht im Jahr 1990 festgenommen wurde und sie selbst in Dessau als Opernsängerin arbeitete. "Ich hatte Angst. Die Geschichte hatte mich eingeholt. Berlin-Mahrzahn war nur gut hundert Kilometer entfernt", zitierte Corinna Ponto ihre Erinnerungen.

Auf der anderen Seite die Sicht der Schwester. An das Verschwinden Susanne Albrechts erinnerte Julia Albrecht mit den Worten: "Meine Schwester war aus der Welt gefallen, das war für mich schwer zu ertragen." Sie schilderte die verschiedenen Reaktionen in der Familie der Terroristin. Die des Vaters, der das Attentat als Angriff gegen sich selbst empfand und die, die eigene, die vor allem den Verlust der großen Schwester war, die verschwunden war und ständig präsent auf Fahndungsplakaten.

Julia Albrecht beschrieb auch das Hoffen der Familie darauf, dass die eigene Tochter vielleicht gegen ihren Willen gehandelt haben könnte und später beim Besuch der inzwischen verhafteten Susanne Albrecht die bittere Erkenntnis: "Susanne war RAF".

Publikum lobt mutiges Buch

Das Publikum lauschte gebannt diesem schriftlichen Versuch der Aufarbeitung, in dem viel reflektiert wird, auch über die eigene Rolle in den Ereignissen. In der nicht beschönigt wird, aber auch nicht verurteilt. Am Ende der Lesung sprachen die Zuschauer beiden Frauen ihre Anerkennung für dieses mutige Buch aus. "Sind sie nun also beide Opfer", fragte Günter Queitsch nach der Lesung. Der Köthener, der vor allem wegen der historischen Verbindung Susanne Albrechts und Köthens gekommen war, war von den Schilderungen beeindruckt und vor allem davon, "das zu hören", sagte er nach der Lesung.