Stimmung in Köthen Köthen: Nach Todesfall sind Gefühle und Meinungen der Einwohner tief gespalten

Köthen - Am Morgen danach sind einige der Grablichter schon erloschen, andere flackern noch. Die am Fuß einer Linde abgelegten Blumen fangen langsam an zu welken. Ein Hauch von Vergänglichkeit liegt über dem Platz, der solch eine traurige Berühmtheit erlangt hat.
Es ist der Ort, an dem ein 22-Jähriger nach einer körperlichen Auseinandersetzung mit zwei afghanischen Flüchtlingen ums Leben kam. Die Tat hat das Köthener Gemeinwesen tief getroffen: Hier ist der gewaltsame Tod von Markus B. das beherrschende Thema der öffentlichen Diskussion.
Köthen: Einige zweifeln an Todesursache
Nur zwei Schülerinnen aus dem Viertel trauen sich auf den schönen Spielplatz, der direkt am Tatort liegt. Wenige Meter von dem großen Baum entfernt, an dessen Fuß mehrere Dutzend Grablichter brennen, schaukeln die Halbwüchsigen und beobachten mehrere Aufnahmeteams von Fernsehstationen und Videokanälen. Ab und zu rollt ein Mannschaftswagen der Bereitschaftspolizei vorbei, dem Kennzeichen nach aus Baden-Württemberg. Ein Polizist filmt den Schauplatz des Geschehens. Dann herrscht wieder Ruhe. Die Vögel zwitschern.
Einerseits sind die beiden Mädchen schrecklich neugierig, was heute hier passiert. Sagen wollen sie eigentlich nichts. Andererseits schreien die Vorstadtkinder, das, was ihnen ihre Eltern vielleicht mit auf den Weg gegeben haben: „Haut ab, ihr Fernseh-Spastis.“ Und etwas leiser dann: „Kanaken raus.“
Auch Sprüche über die „Lügenpresse“ kommen ihnen ganz leicht über die Lippen. Nach einigem Zögern verraten sie: Sie würden den Verstorbenen kennen, seien in Sichtweite gewesen und wüssten von daher: „Es ist alles ganz anders, als es in der Zeitung steht.“
Zweifel an der Todesursache treiben auch zwei Bewohner aus einem nahe gelegenen Eckhaus um. Der Mann und die Frau, beide in mittleren Jahren, machen kein Hehl aus ihrer Gedankenwelt. Sie wären nicht dabei gewesen, sondern auf Nachtschicht.
Ausländeranteil im Kreis Anhalt-Bitterfeld liegt bei 3,5 Prozent
Aber vom Hörensagen heißt es im Viertel, so diktieren sie dem Reporter mit dem Brustton der Überzeugung in den Block: Das Opfer sei nicht an Herzversagen verstorben, wie die Polizei behauptet. Eine Hirnblutung habe es das Leben gekostet, ausgelöst durch Schläge und Tritte der Angreifer. Es habe noch gerufen: „Hört auf, hört auf!“ Den Hinweis auf die anderslautende Meinung der Gerichtsmediziner, die in den Medien wiedergegeben wird, wischen die Gesprächspartner mit einer Handbewegung weg.
Von der Tafel kommt Claudia, eine Frau, die sich dort mit Lebensmitteln für die Woche eingedeckt hat. Sie sagt: „Ich war neugierig, wo sich der Kampf abgespielt haben soll.“ Eigentlich kommt sie aus dem Stadtteil Rüsternbreite, aber die Probleme seien dort nicht anders als hier am Karlsplatz: Es sei das Beste, sagt sie, wenn alle Ausländer aus Deutschland verschwänden. Köthen sei, wenn sie am Markt unterwegs sei, für sie keine deutsche Stadt mehr.
Der Ausländeranteil im Kreis Anhalt-Bitterfeld liegt allerdings bei nur 3,5 Prozent. Solche Einwände lässt die Langzeitarbeitslose nicht gelten. Für sie zählt nur eins: „Die Flüchtlinge kriegen genauso viel an Stütze wie ich - und das ist ungerecht.“ Ein junger Mann gibt ihr Recht und verwahrt sich dagegen, ein Nazi zu sein. Das, was Horst Seehofer gesagt habe, stimme aber. Damit meint er den umstrittenen Ausspruch des Bundesinnenministers, dass die ungelöste Flüchtlingsfrage die Mutter aller Probleme sei. Das letzte Wort des Lehrlings: „Merkel muss weg.“
„Köthen ist weder ein sozialer noch ein rechter Brennpunkt“
Einer der wenigen Köthener, die sich am frühen Montagnachmittag auf dem Karlsplatz blicken lassen und bereit sind, ihre Meinung zu dem schrecklichen Vorfall mit Namen und Absender kund zu tun, ist Dennis Krüger.
Der junge Köthener, der gegenwärtig seinen Dienst als Soldat versieht, steht sichtlich unter dem Eindruck des Ereignisses. Trotzdem meint der 24-Jährige: „Köthen ist weder ein sozialer noch ein rechter Brennpunkt, so etwas kann sicher auch anderswo passieren.“ Aber, so sieht er es, ohne den Hype um die Ereignisse in Chemnitz wären nie und nimmer 2 500 Leute in Köthen auf die Straße gegangen, um ihre Trauer zu bekunden.
Trauer herrscht auch in der Werkstatt für behinderte Menschen der Lebenshilfe in Köthen, denn hier hat Markus B. gearbeitet. Holger Schiedewitz, Geschäftsführer der gGmbH, beschreibt den Verstorbenen als unauffällig und umgänglich. Nach der Schule habe Markus B. bei der Lebenshilfe am sogenannten Berufsbildungsbereich teilgenommen, so Schiedewitz. Später habe der junge Mann dann im Bereich Möbelmontage gearbeitet.
„Es lief alles ganz normal. Man könnte nichts Negatives über ihn sagen“, so der Geschäftsführer. Markus B. habe ordentliche Arbeit geleistet und sei mit seinen Kollegen gut ausgekommen. „Wir werden ihn auf der Arbeit auf jeden Fall vermissen.“ Für Kollegen von Markus B., die die Vorfälle besonders belasten, stehe bei der Lebenshilfe der Soziale Dienst zur Unterstützung bereit.
Markus B. hat die Angelika-Hartmann-Schule in Köthen besucht, eine Förderschule für Geistigbehinderte. „Er war ein angenehmer und verlässlicher Schüler“, erinnert sich eine Lehrerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Seine Mitschüler hätten ihn geschätzt. Der Junge sei selbstständig und sozial gewesen, aber nicht immer einfach.
„Hätte ein Zeichen von den in Köthen lebenden Asylbewerbern kommen müssen“
Zur Stimmungslage in Köthen gehört auch die Diskussion darüber, ob von den hier lebenden Asylbewerbern und Flüchtlingen angesichts des schrecklichen Vorfalls am Sonntag nicht ein Zeichen hätte kommen müssen, ein Signal nach dem Motto: „Diese beiden Verbrecher gehören nicht zu uns“, wie es in einem Facebook-Eintrag heißt. Man selbst habe den Migranten geraten, zu Hause zu bleiben, schreibt Pfarrer Martin Olejnicki als Antwort darauf, eben weil man seitens der Polizei Hinweise auf gewaltbereite Rechte in der Stadt erhalten habe.
Diskutiert wird auch der vermeintliche Tathergang am späten Samstagabend, nicht zuletzt unter dem Aspekt, dass die beiden Afghanen, die der Tat dringend verdächtig sind, offensichtlich nicht zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Der 18-Jährige hat, so lange er noch ein unbegleiteter minderjähriger Ausländer war, in einer kirchlichen Einrichtung in Köthen gewohnt, der andere, der zwei Jahre älter ist, hat seine Zeit als Minderjähriger ebenfalls unter Betreuung der Kirche verbracht.
„Wenn man durch die Stadt geht, spürt man Trauer, Entsetzen und Sorge.“
„Beide“, so sagt Diane Gardyan, Leiterin des Amtes für Ausländerangelegenheiten beim Landkreis Anhalt-Bitterfeld, „sind schon auffällig geworden. Was wir dazu haben, ist nicht abschließend, vieles ist noch offen.“ Die beiden Afghanen, die sich in Polizeigewahrsam befinden, wurden zunächst als Jugendliche von den Mitarbeitern der jeweiligen Einrichtung betreut. In der Einrichtung, in der der heute 20-jährige nach seiner Ankunft in Köthen untergebracht war, hat der Heimleiter auf Anfrage der MZ keine rechte Erinnerung an den jungen Afghanen, in der zweiten Einrichtung ist der Heimleiter außer Haus.
Geprägt ist die Stimmung davon, dass man keine Angriffspunkte dafür liefern will, dass sich Köthen in ein zweites Chemnitz verwandelt. Am Sonntag hatte man in der Jakobskirche zu einer Trauerveranstaltung eingeladen, auf der OB und Kirchenvertreter deutlich machten, dass es darum gehen müsse, sich in der Trauer um den Toten nicht fremdbestimmen zu lassen und die Gemeinschaft zu bewahren.
Beim Friedensgebet in St. Jakob am Montagabend, an dem Ministerpräsident Reiner Haseloff teilnahm, fasste Pfarrer Olejnicki die Gefühle zusammen, die Stadt und Bürger derzeit bewegen: „Wenn man durch die Stadt geht, spürt man Trauer, Entsetzen und Sorge. Trauer über den Tod eines erst 22-jährigen Mannes; Entsetzen darüber, wie Gewalt in unserer Mitte eskalieren kann; Sorge vor dem, was in den nächsten Tagen passieren könnte.“ (mz)