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Vom Obdachlosenheim in die Innenstadt Köthen: Familie Ritter statt im Obdachlosenheim nun bei Schäfers in der Halleschen Straße

Von Martin Tröster 09.05.2019, 07:06
Karin Ritter vor der Bäckerei-Filiale in der Köthener Innenstadt.  Tagsüber darf sie nicht mehr im Obdachlosenheim leben. 
Karin Ritter vor der Bäckerei-Filiale in der Köthener Innenstadt.  Tagsüber darf sie nicht mehr im Obdachlosenheim leben.  Ute Nicklisch

Köthen - Montagmorgen, kurz nach acht Uhr in der Filiale der Bäckereikette Schäfer’s in der Halleschen Straße in Köthen. Karin Ritter bestellt einen Kaffee.

„Die haben mich grad’ rausgeworfen“, spricht die Frau in ihr Handy, die mit ihrer berüchtigten Familie samt einigen kriminellen Mitgliedern seit 25 Jahren von Stern TV begleitet wird.

Kurze Zeit später kommt ein Familienmitglied und setzt sich zu ihr, wenig später ist ihr Sohn da, mit Begleitern. Sie werden den Großteil des Tages in und vor der Bäckerei verbringen, zwischendurch geht es ins benachbarte Café Venezia.

„Die sind den ganzen Tag da“, sagt jemand, der einen regelmäßigen Blick auf die Bäckerei-Tische hat. Er ist nicht der einzige, der das bestätigt.

Vor zwei Wochen hat die Stadtverwaltung Ernst gemacht: Die Obdachlosenunterkunft in der Augustenstraße ist jetzt zwischen 8 und 18 Uhr geschlossen. Tagsüber müssen Karin Ritter und die anderen Bewohner nun sehen, wo sie bleiben.

Es handelt sich dabei um eine „Lex Ritter“, also eine Regelung, die die Obdachlosen der Stadt der Familie Ritter zu verdanken haben: Immer wieder war es in der städtischen Obdachlosenunterkunft zu Gewalt und Sachbeschädigung gekommen, unter anderem soll erst im Frühjahr ein Obdachloser von Mitgliedern der Familie Ritter attackiert worden sein.

Köthen: Obdachlosenheim in Augustenstraße tagsüber geschlossen

Seit zwei Wochen ist die Unterkunft in der Augustenstraße nach Renovierungsarbeiten wieder nutzbar, und Karin Ritter samt einigen Mitgliedern ihrer Familie verbringen ihre Tage in der Innenstadt. Begeistert zeigen sich die Mitarbeiter der Bäckerei nicht gerade, wenn man sie auf ihre neuen Dauergäste anspricht. Viel wollen sie dazu aber nicht sagen. „Das Verhalten von Karin Ritter ist allerdings einwandfrei“, sagt eine Mitarbeiterin.

Sie bestelle und bezahle den gesamten Tag etwas. Auch die anderen Mitglieder verhielten sich weitgehend ordentlich, äßen gerne Bockwurst. Nur haben es die Mitarbeiterinnen noch nicht gewagt, einen Sohn von Karin Ritter und dessen Begleiter aufzufordern, kein mitgebrachtes Bier vor der Bäckerei am Tisch zu trinken. Aus Angst, wie eine zugibt. Im Café Venezia möchte sich niemand aus der Belegschaft zu den neuen Dauergästen äußern, Begeisterung verströmt allerdings auch niemand.

„Irgendwo muss die Frau sich ja aufhalten“, zeigt jedoch eine Mitarbeiterin eines Innenstadtgeschäfts Verständnis für Karin Ritter. „Man kann die doch nicht einfach auf die Straße setzen.“

Ritter-Söhne beschallen Köthener Altstadt mit rechter Musik

Am Montag erklang im Umfeld eines Ritter-Sohns lautstark Musik vor der Bäckerei. Zum Beispiel hörten sie ein Lied der Band „Sleipnir“. Unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung hält die Band für rechtsextrem. Während das Lied durch die Köthener Altstadt hallte, liefen zahlreiche Schüler an der Bäckerei vorbei.

Oberbürgermeister Hauschild verteidigt den Schritt, die Ritters und andere Obdachlose tagsüber ausquartiert zu haben: „Wir haben die Qualität eines Heimes geschaffen, wo wir nur in der Nacht Unterkunft haben.“ Mit Sicherheitsdienst, der etwa 20.000 Euro im Monat kostet. „Wenn jemand der Auffassung ist, dass jemand gesundheitlich nicht in der Lage ist, sich draußen aufzuhalten, muss es eine andere Möglichkeit geben“, sagt Hauschild.

Ritter-Abordnung mit Bier und Musik im Rathaus Köthen

Gegenüber der MZ sagte Karin Ritter, sie sei lungenkrank, weshalb ihr eine Unterkunft zustehe, die sie den gesamten Tag nutzen könne. Um eine Unterkunft für Karin Ritter einzufordern, haben ihre Söhne und eine Enkelin am Montag den OB im Rathaus aufgesucht - ohne Anmeldung, dafür laut Hauschild mit Bierflasche in der Hand und mit lauter Musik.

Im Fall Karin Ritter habe man einen Amtsarzt um eine Diagnose gebeten. Sollte sich zeigen, dass sie gesundheitlich entsprechend geschwächt sei, müsse sich der Landkreis um ihre Unterbringung kümmern, nicht mehr die Stadt, so der OB.

„Wir würden im Falle einer solchen Einschätzung allerdings Hand in Hand mit dem Kreis arbeiten“, sagt Hauschild. Den Hinweis auf die Musik der rechtsextremen Gruppe nehme er ernst, sagt er, als er mit der Beobachtung der MZ konfrontiert wird. (mz)