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Kandidaten im Gespräch Kandidaten im Gespräch: Steffen Reisbach (Freie Wähler) - Politik ohne Zuckerguss

07.09.2017, 10:39
Ein Präsident für den Bundestag: KSV-Chef und Freier-Wähler-Kandidat Steffen Reisbach auf dem Sportplatz am Köthener Ratswall.
Ein Präsident für den Bundestag: KSV-Chef und Freier-Wähler-Kandidat Steffen Reisbach auf dem Sportplatz am Köthener Ratswall. Ute Nicklisch

Köthen - Steffen Reisbach steht mitten auf dem Sportplatz am Ratswall. Hier hat der Vorsitzende des Köthener Sportvereins sein zweites Zuhause.

Seine politische Heimat sind die Freien Wähler. MZ-Redakteur Matthias Bartl sprach mit Steffen Reisbach über dessen Kandidatur zur Bundestagswahl 2017.

Herr Reisbach, in Ihrem Wahlkampf betonen Sie im Gespräch oder in den sozialen Medien immer wieder: Ich hole mir meine Stadt zurück! Wie ist das gemeint?
Steffen Reisbach: Das ist zum Teil spaßig gemeint, weil ich damit ja den Wahlslogan einer anderen Partei persifliere, zu der ich mich ja auch als „Wahre Alternative“ bezeichne.

Aber er ist auch ernst gemeint, was die Wahl angeht. Die Kreisstadt Köthen hat seit vielen Jahren keinen Abgeordneten mehr in Berlin gehabt, der auch tatsächlich aus Köthen kam. Das will ich ändern.

„Man kann auch als krasser Außenseiter Akzente setzen“

Rechnen Sie sich denn tatsächlich Chancen aus?
Steffen Reisbach: Ich bin Realist genug, um zu wissen, dass ich auch mit Listenplatz 4 als krasser Außenseiter in die Wahl gehe. Aber man kann auch als krasser Außenseiter Akzente setzen, die Wähler zum Nachdenken bewegen.

Die Freien Wähler sind definitiv näher am Bürger dran. Sie haben keine Versorgungsjobs zu vergeben. Wer sich bei ihnen engagiert, der macht das nur, um vor Ort Veränderungen, Verbesserungen für die Bürger zu erreichen.

Sie sitzen seit einiger Zeit im Stadtrat von Köthen, leiten dort die Fraktion Bürgerinitiative Anhalt-Köthen/Freie Wähler. Wie bewerten Sie die dort gesammelten Erfahrungen im Hinblick auf Ihr Ziel, in den Bundestag einzuziehen?
Steffen Reisbach: Als notwendig, um die soziale Verantwortung von Politik zu verstehen. Oder vielmehr die grassierende Nichtverantwortung. Wenn ich ehrlich bin, dann waren die drei Jahre, die ich bislang im Stadtrat sitze, für mich erschütternd.

Die Fraktion und ich befinden uns quasi in permanenter Notwehrsituation, weil im sozialen und im Sportbereich immer mehr abgebaut wurde und wird. Wir erleben regelmäßig Einschnitte in das soziale Netz – und das ist ja nur die Fortsetzung dessen, was seit Jahren im Bundestag passiert, als Folge der Agenda 2010 und von Hartz IV.

Steffen Reisbach möchte sich gegen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft engagieren

Wäre der soziale Bereich ein Arbeitsfeld für Sie im Bundestag?
Steffen Reisbach: Auf alle Fälle. Im Köthener Sportverein habe ich jeden Tag mit Kindern zu tun, deren Eltern sich viele Dinge nicht leisten können, im Extremfall gar nichts.

Und so wie ich im Verein gegen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft agiere, so würde ich das auch im Bundestag tun. Ich will Schwachen, die sich nicht selbst helfen können, eine Stimme sein. In einer Gesellschaft dürfen die Schwächeren nicht ohne Hilfe bleiben.

Wenn man Hilfe geben will, muss man dazu die Kraft haben. Bedeutet das auch aus der Sicht der Freien Wähler, die Wirtschaft zu stärken?
Steffen Reisbach: Und dafür zu sorgen, dass der wirtschaftliche Erfolg auch bei allen gerecht ankommt. Die verschiedenen Bundesregierungen haben in den zurückliegenden Jahrzehnten ja durchaus in den deutschen Osten investiert, haben Autobahnen und Bundesstraßen gebaut.

Immerhin ist Infrastruktur eine Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung.
Steffen Reisbach: Schon. Aber bei genauem Hinsehen wird sichtbar, dass wir nahezu flächendeckend zum Transitland geworden sind und zum Verkaufsgebiet. Was wird denn hier großartig produziert? Was wir benötigen, ist eine richtige Ansiedlungsinitiative für den Osten, die Ansiedlung von produzierendem Gewerbe.

Was wir benötigen, ist eine grundsätzliche Änderung. Was wir benötigen, ist Bürokratieabbau. Großkonzerne und Banken müssen seitens des Staates viel straffer an die Kandare genommen werden. Und wir sind gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA – da werden nur die Arbeiter gegeneinander ausgespielt. Ich finde das widerlich.

Freie Wähler setzen sich für ein Einwanderungsgesetz ein

Zentrale Themen in diesem Wahlkampf sind Zuwanderung, Integration, innere Sicherheit. Wie stehen Sie dazu?
Steffen Reisbach: Zum einen sind die Freien Wähler für ein Einwanderungsgesetz. Was den Fachkräftemangel angeht, so er denn auf die Wirtschaft durchschlägt, so sollten wir ihn mit Unterstützung anderer europäischer Länder beheben.

Was etwa die Zuwanderung aus Afrika angeht, so hat die EU – also auch Deutschland, also auch Frau Merkel – diese mit verursacht, indem sie die Textilindustrie, Landwirtschaft, Fischerei in Afrika regelrecht ruiniert hat und damit die Lebensgrundlage vieler Menschen. Und was Integration angeht: Die existiert nicht, jedenfalls nicht in der Masse.

Was nicht wundert, denn erstens benötige ich für Integration Arbeit und Einkommen und zweitens kann ich Leute, die mit Vorstellungen aus dem Mittelalter hier ankommen und deren Mentalität sich von unserer komplett unterscheidet, nicht integrieren.

Mich wundert ohnehin, dass unsere emanzipierten Frauen nicht über Tische und Bänke gehen, bei dem Frauenbild, das auf diese Weise hier wieder Einzug gehalten hat. Aber trotz allem: Für mich ist nicht die Flüchtlingspolitik der Knackpunkt, sondern der Sozialabbau. Der im Übrigen mit Schröder und Fischer angefangen hat.

Können Sie nachvollziehen, dass mancher Sie sich nicht im Bundestag vorstellen mag?
Steffen Reisbach: Klar. Ich ecke gern an, da macht man sich nicht viele Freunde. Ich bin nicht der Typ für Kompromisse und streite mich gern. Ich halte mich aber auch zurück, wenn mein Wissen nicht ausreicht. Der letzte, der alles wusste, wurde ans Kreuz genagelt.

(mz)

Steffen Reisbach ist in Köthen geboren, wo er auch lebt. Reisbach ist 49 Jahre alt, verheiratet und Vater dreier Kinder, darunter einer schwer behinderten Tochter, die in der Familie betreut und gepflegt wird.

Reisbach hatte ursprünglich Rohrleitungsbau gelernt, sattelte nach der Wende zum Sport- und Fitnesskaufmann um. Seit mehreren Jahren ist er der Präsident des Köthener Sportvereins 2009 und betreibt selbst noch aktiv Kraftsport.

Sport ist eines seiner Hobbys, dazu kommt noch das Fotografieren. Steffen Reisbach ist Schalke-Fan und macht am liebsten in Ostdeutschland Urlaub.