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Jobsuche  Jobsuche: Für Behinderte ist es häufig schwer Arbeit zu finden

Von Doreen Hoyer 09.10.2016, 12:10

Edderitz/Köthen - Philipp Becker kommt mit Freude zur Arbeit. „Ich bin gern hier“, sagt der 18-Jährige. Philipp macht bei der Firma MfL Mischfutter und Landhandel eine Ausbildung zum Fachlageristen. Dass sein neuer Azubi lernbehindert ist, war für Waldemar Stary kein Grund, den 18-Jährigen nicht einzustellen.

Philipp habe schon zuvor als Praktikant bewiesen, dass er viel könne, so Stary. „Er bekommt hier auch keine Spezial-Behandlung. Wir gehen ganz normal mit ihm um.“ Zu Philipps Aufgaben gehören das Befüllen, Kennzeichnen und Einlagern der Futtersäcke. Er gibt die Ware auch an Kunden heraus. Da kann es zwar mal vorkommen, dass er sich vertut und den falschen Sack ins Auto lädt. „Aber so etwas passiert eher selten“, sagt Stary. Um auf Philipps Lernschwierigkeiten einzugehen, erhält er zusätzlich zur Berufsschule extra Unterstützungsunterricht.

Gabelstaplerschein erworben

Es sei wichtig, die Fähigkeiten behinderter Menschen anzuerkennen, meint Sabine Edner, Chefin der Arbeitsagentur Dessau-Roßlau-Wittenberg. Darum bemüht sich die Agentur auch, Firmen und behinderte Arbeitnehmer zusammenzubringen. Im Falle von Philipp Becker zum Beispiel zahlt sie einen Ausbildungszuschuss an das Unternehmen. Er beträgt 70 Prozent des Lehrlingsgehaltes, das Philipp in seinem letzten Ausbildungsjahr erhalten wird. „Wir hätten ihn aber auch ohne das als Azubi genommen, denn wir sind sehr zufrieden mit ihm“, betont Stary und verweist darauf, dass der 18-Jährige vor Kurzem die Prüfung zum Gabelstaplerschein bestanden hat. „Staplerfahren macht mir auch besonders Spaß“, erzählt Philipp.

Doch längst nicht alle Menschen mit Behinderungen finden eine passende Stelle. Nach Informationen der Arbeitsagentur gibt es in Anhalt-Bitterfeld derzeit etwa 370 schwerbehinderte Arbeitslose - das sind 4,7 Prozent aller Arbeitslosen im Kreis. Eigentlich sind Firmen mit 20 Mitarbeitern und mehr verpflichtet, fünf Prozent ihrer Stellen mit Schwerbehinderten zu besetzen.

Doch nicht alle halten sich daran. In Anhalt-Bitterfeld müsste es nach dieser Regel knapp 1 400 Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung geben - etwa 600 dieser Pflichtstellen sind jedoch nicht besetzt. Viele Firmen zahlen lieber eine Ausgleichsabgabe, die bis zu 290 Euro im Monat betragen kann, statt einen Mitarbeiter mit Handicap anzustellen.

Vielfältige Fähigkeiten

Diese Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2014, aktuellere werden erst Anfang 2017 erhoben. Für das Jahr 2014 mussten in Anhalt-Bitterfeld 257 Arbeitgeber eine Ausgleichsabgabe entrichten.

„Viele Menschen denken beim Stichwort Behinderung automatisch an Rollstuhlfahrer“, sagt Edner. Dabei gebe es viele verschiedene Formen von Behinderung, entsprechend vielfältig seien die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen.

Petra Kirchner zum Beispiel kümmert sich bei der Firma Gastro Profi International in Köthen um den Schriftverkehr des Unternehmens und bearbeitet Reklamationen. Das Unternehmen verkauft Großküchen-Ausstattung in Deutschland, aber auch europaweit. Zwar ist die 56-Jährige gehbehindert und hört schlecht. Aber Betriebsleiter Ali Gönen ist hochzufrieden mit Kirchners Leistung. Er habe gleich gesehen, wie motiviert die Frau aus Holzweißig sei. „Ich habe gesagt: Wir geben ihr eine Arbeit, die Spaß macht und belasten sie so, wie es passt.“

Hätte Petra Kirchner es sich gewünscht, Gönen hätte ihr ein extra Arbeitszimmer eingerichtet. Doch sie sitzt lieber mit anderen Kollegen zusammen. „So bin ich näher dran, das ist mir lieber“, erzählt Kirchner.

Sie sei „unheimlich dankbar“ für ihre Arbeit, berichtet Petra Kirchner. Seit 2013 habe sie intensiv nach neuer Arbeit gesucht, doch immer nur Absagen erhalten. „Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben.“

Der Probe folgt die Einstellung

Doch es fand sich etwas für sie: Von April bis Juni 2016 war Petra Kirchner im Rahmen einer sogenannten Probebeschäftigung bei Gastro Profi. Die Lohnkosten während dieser Probebeschäftigung übernimmt komplett das Jobcenter. „Die Arbeitgeber können dabei schauen, ob die Aufgaben passen. Und die Arbeitnehmer können ihre eigene Leistungsfähigkeit testen“, sagt Inklusionsvermittlerin Susan Wycik.

Wenn es für beide Seiten passt, wird der Arbeitnehmer mit Behinderung nach der Probebeschäftigung eingestellt. So wie Petra Kirchner, die nun 30 Stunden pro Woche in Köthen arbeitet. Das Jobcenter fördert solche Arbeitsverhältnisse unter anderem mit Eingliederungszuschüssen, die bis zu 70 Prozent der Lohnkosten betragen können.

Wenn er freie Stellen zu besetzen habe, kämen häufig kerngesunde Bewerber, die erstmal aufzählen, welche Aufgaben sie nicht machen wollen, erzählt Betriebsleiter Gönen. Seine Tochter Zeynep, die ebenfalls bei Gastro Profi arbeitet, bestätigt dies. Petra Kirchner merke man dagegen deutlich ihren Ehrgeiz und Fleiß an.

Das weiß auch Jobcenter-Sprecherin Helgard Neumann: „Menschen mit Behinderung sind meist hochmotiviert. Wenn sie eine Chance bekommen, wollen sie sich beweisen.“ Für Arbeitgeber wiederum sei das eine große Chance, gute Mitarbeiter zu finden. (mz)